25.04.2024

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06.07.02 / Rußland/Litauen: Gerangel um Memel

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Juli 2002


Rußland/Litauen: Gerangel um Memel
Duma-Politiker stellt öffentlich Grenzen in Frage
von Hans Heckel

Unerwartet mischen sich in das diplomatische Gezerre um eine Transitregelung zwischen dem nördlichen Ostpreußen und Rußland bedrohliche Untertöne gegenüber Litauen. Der stellvertretende Vorsit- zende des Außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma (des russischen Parlaments), Sergej Schischkarew, stellt öffentlich die völkerrechtliche Grundlage der Zugehörigkeit des Memellandes und sogar der Hauptstadt Wilna zu Litauen in Frage.

In einem Aufsatz für die liberale Moskauer Tageszeitung Nesawisimaja Gasjeta schreibt Schischkarew: "Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Territorium Ostpreußens auf Grundlage der Verträge von Jalta und Potsdam an die Sowjetunion aufgrund ihres Rechts als Siegermacht. Und erst danach fiel auf Entscheidung der stalinistischen Führung der UdSSR, die Litauen "okkupierte", der Kreis Wilna und der Memelkreis in den Bereich der Verwaltungsgrenzen der Litauischen SSR." Jurist Schischkarew hebt hervor, daß die Staatsduma den "Vertrag mit der Litauischen Republik über die Staatsgrenze noch nicht ratifiziert" habe.

Der russische Politiker wirft Wilna vor, durch das im Juni 2000 vom litauischen Parlament, dem Sejm, verabschiedete "Gesetz über die Kompensation von Schäden, die die Litauische Republik durch die sowjetische Besatzung erlitten hat", für die Unklarheiten selbst verantwortlich zu sein.

Wenn die Nachteile, die Litauen durch die Sowjetbesatzung erwuchsen, zu "kompensieren" sind, dann auch die Gewinne aus dieser Zeit - so die Logik des Russen, der die EU-Fähigkeit der Litauer in Zweifel zieht: Dort dürfe doch nur Mitglied werden, wer keine territorialen Probleme mit seinen Nachbarn habe.

Litauen hat den Vorstoß bislang unkommentiert gelassen. Doch dürfte die Angelegenheit hier die Furcht vor russischen Begehrlichkeiten im Baltikum erneut anfachen. Der Verdacht, daß Moskau sich nicht auf Dauer von seinen ehemaligen Ostseebesitzungen verabschieden wolle, blieb unter den Balten stets lebendig.

Die jüngste Annäherung zwischen Moskau und Washington gab neuen Anlaß für zunehmendes Mißtrauen. Einigen sich hier abermals zwei Großmächte über ihre Einflußsphären auf Kosten der Balten? Etwa dergestalt, daß Moskau den Amerikanern freie Hand an den Ölquellen Mittelasiens läßt und Washington dafür russischen Wünschen an der Ostsee gegenüber nachgiebiger wird? Aufgrund ihrer Geschichte registrieren die drei kleinen Völker jede atmosphärische Veränderung äußerst sensibel.

Und Druck kommt gänzlich überraschend auch aus Washington: Ausgerechnet wenige Tage nach dem letzten Bush-Putin-Gipfel forderte der US-Botschafter in Reval die Esten auf, sich endlich ihrer NS-Vergangenheit zu stellen, sie hätten da bislang einiges versäumt. Nach einem Bericht der Jungen Freiheit reagierten die betroffenen Esten konsterniert auf dieses Signal einer plötzlichen Klimaverschlechterung. Betont kühl habe ein US-Unterstaatssekretär auf die Frage eines estnischen Journalisten, was die USA von den sowjetischen Ausrottungsmaßnahmen gegen das estnische Volk hielten, geantwortet: Washington wünsche nicht, "bilaterale estnisch-russische Probleme zu kommentieren".