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06.07.02 / Europa muß seine Hausaufgaben selber machen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Juli 2002


Europa muß seine Hausaufgaben selber machen
Die EU darf nicht die Hände in den Schoß legen und sich auf die Konjunkturlokomotive USA verlassen

Nach Einschätzung des Pariser obersten Rechnungshofes wird dieses Jahr der französische Staatshaushalt ein Defizit zwischen 2,3 und 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufweisen statt der 1,4 Prozent, die von der abgelösten Regierung Jospin vorgesehen waren. Der neue französische Wirtschafts- und Finanzminister Francis Mer, ein ehemaliger Unternehmer, der bislang die größte Stahlfirma der Welt leitete und keine eigentliche politische Erfahrung besitzt, verbarg nicht, daß in diesem Zusammenhang die Aufgabe der Regierungsmannschaft unter der Führung von Jean-Pierre Raffarin schwierig sein wird. Großzügig hatte der bestätigte Staatschef Jacques Chirac während der Präsidentschaftswahlkampagne den Franzosen zahlreiche grundlegende Reformen versprochen, die übrigens auch seitens der Brüsseler Kommission vom französischen Staat gefordert werden. Insgesamt kann man von einer zusätzlichen Verschuldung des französischen Staates von 45 Milliarden Euro, das heißt 15 Milliarden mehr als im laufenden Finanzjahr geplant, ausgehen. Schon beim Ende Juni in Sevilla abgehaltenen EU-Gipfel wurde festgestellt, daß die Finanzlage von Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal trübe ist. Zum Beispiel dürften die portugiesischen Finanzen in diesem Jahr ein Defizit von 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes aufweisen. Der Maastrichter Vertrag und die Behörden der Europäischen Zentralbank verlangen, daß das Defizit der jeweiligen Mitglieder des Eurolands unter der Grenze von drei Prozent liegt.

In Sevilla und kurz zuvor beim Treffen der Finanzminister in Madrid wurde vereinbart, daß die Haushalte 2004 ausgeglichen sein sollten, allerdings unter dem Vorbehalt für Frankreich, daß der Wirtschaftszuwachs die Marke von drei Prozent jährlich erreiche. Unter solchen Umständen werden die Euroland-Mitglieder dazu verpflichtet, ehrgeizige Wirtschaftspolitik zu führen und gute Nachrichten aus der US-Wirtschaft zu erhoffen. Soviel man derzeit wissen kann, möchten Chirac und seine Berater durch eine Senkung der steuerlichen Last für die Unternehmen eine Steigerung der Ausgaben in der zivilen und militärischen Ausrüstungsindustrie und durch eine Verringerung der Zahl der Beamten die Wirtschaft in Gang setzen.

Nach Angaben von "Le Monde" würde, wenn es so weitergeht, die aus den Gehältern und Pensionen der Beamten resultierende Last 2040 neunzig Prozent des staatlichen Haushalts einnehmen. Für 2002 wird dieser Anteil auf 44 Prozent geschätzt. Demzufolge kann man jetzt mit einer Zeit der Abmagerung des französischen Staates rechnen, obwohl eine Zunahme der Ausgaben in einigen öffentlichen Bereichen wie dem Justizwesen, der Polizei und der Rüstungsindustrie unabdingbar erscheint.

Trotz widersprüchlicher Presseberichte, die manchmal von einer Rückkehr des wirtschaftlichen Wachstums sprechen, wird längere Zeit die Regierung Raffarin mit der Erbschaft der sozialistischen Regierung konfrontiert sein. Wirtschaftswissenschaftler gehen davon aus, daß die trotz der Anschläge des 11. September 2001 festzustellende Konsolidierung der US-Wirtschaft nur allmählich auf Europa übergreifen wird. Der Pariser Wirtschaftskorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" vertritt die Ansicht, die europäischen Schatzmeister wünschten sich in diesem Zusammenhang, daß der Euro gegenüber dem US-Dollar schwach bleibe, was die Exportwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, die stark von den Wechselkursen abhänge, erleichtern würde. Eine gesunde deutsche Ökonomie würde die europäische Wirtschaft nach oben ziehen, obgleich prozentual Deutschland noch stärker als Frankreich verschuldet ist und für seine Energieversorgung und die Inflationsbekämpfung einen hohen Wechselkurs des Euro vorziehen könnte. Wirtschaftlich klingt die europäische Prognose ziemlich unbeständig, um so mehr, als Euroland-Mitglieder wie Irland (bei der Inflation) und Italien und Griechenland (bei der Staatsverschuldung) die Maas-trichter Kriterien grob verletzen.

In einem langen Beitrag, der nach Bekanntgabe des erhöhten französischen Defizits im konservativen "Figaro" veröffentlicht wurde, führt ein bekannter Wirtschaftswissenschaftler, Prof. Dr. Michel Didier, aus, die notwen-dige Drei-Prozent-Wirtschaftswachstumsrate könne nur durch eine stärkere Produktivität des einzelnen erreicht werden. Dies bedeute, daß die Franzosen und auch die anderen Europäer mehr pro Woche und länger in ihrem Arbeitsleben arbeiten müßten und die Staaten mehr Geld für die Forschung und Investitionen auszugeben verpflichtet werden sollten. Was Frankreich speziell anbetrifft, bleibt gegenwärtig da- hingestellt, ob die bürgerliche absolute Mehrheit der Nationalversammlung und die Regierung Raffarin tatsächlich den Mut haben werden, trotz des zu erwartenden Grolls der Gewerkschaften die notwendigen Maßnahmen durchzuführen. P. Campguilhem