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06.07.02 / Deutsch-polnische Schulbuchkonferenz: Bewußtsein bleibt stumpf

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Juli 2002


Deutsch-polnische Schulbuchkonferenz: Bewußtsein bleibt stumpf
Schlechte Noten für deutsche Geschichtsbücher
von Karlheinz Lau

Der Umgang mit einst stark umstrittenen Themen der deutsch-polnischen Beziehungen hat sich weitgehend normalisiert. Diese Beobachtung unterstrich am 6. Juni in Wittenberg eine Äußerung von Janusz Reiter, seines Zeichens früherer polnischer Botschafter in Deutschland.

Anläßlich des 30jährigen Bestehens der gemeinsamen Schulbuchkommission sprach Reiter in seinem Festvortrag in bezug auf den Erwerb ostdeutscher Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg unmißverständlich vom "Ende der Lüge von den wiedergewonnenen Gebieten".

Um neuerlichen Legendenbildungen vorzubeugen, müßten beide Völker über ein fundiertes Wissen zu den letzten beiden Jahrhunderten verfügen, in deren Verlauf Polen und Deutsche "auseinandergerissen" worden seien.

Jede Generation entwickele ihr Geschichtsbild neu, so Reiter. Die Erlebnisgenerationen des Weltkriegs und der Vertreibungen seien heute am "Abtreten", und die Nachfolgenden stellten ihre Fragen an die Geschichte mit veränderten Maßstäben. Das sei eine ganz normale Entwicklung. Man müsse nur darauf achten, daß sich die jeweilige Beurteilung historischer Sachlagen an den Fakten orientiere.

Zur Diskussion über das geplante Zentrum gegen Vertreibungen verlieh der Referent seinem Bedauern Ausdruck, daß Polen bislang offenbar nicht auf "gleicher Augenhöhe" gefragt worden sei. Dieses "Manko" sei ein Grund für die weit verbreitete Ablehnung in seinem Lande. Die beiden wichtigsten Fürsprecher des Zentrums, Erika Steinbach und Peter Glotz, forderte Reiter daher auf, das polnische Informationsdefizit schnellstmöglich zu beseitigen.

Wie viele Informationsrückstände noch immer die deutsch-polnische Schulbuchlandschaft kennzeichnen, wurde den Teilnehmern der vom 4.-7. Juni in der Lutherstadt abgehaltenen Konferenz mit zunehmender Dauer immer deutlicher. Für die Sektion Geschichte hatte man sich das Thema "Deutsch-polnische Erinnerungsorte" und für die Geographie den "Transformationsprozeß" in Polen sowie in den neuen Bundesländern gewählt.

Beim letzteren Thema ging es vor dem Hintergrund des nahenden EU-Beitritts vor allem um die wachsenden Schwierigkeiten der polnischen Landwirtschaft mit ihren verhältnismäßig kleinen Betrieben und den niedrigen technischen Standards. Die polnischen Gäste betonten die Gefahr einer breitangelegten politischen Radikalisierung EU-feindlicher Bauern.

Außerdem war zu erfahren, daß in neuen polnischen Erdkunde-Büchern erstmals die ethnischen Minderheiten des Landes mit ihrer jeweiligen regionalen Verteilung auf Karten dargestellt werden. Hingegen fehlen nach wie vor jegliche Hinweise auf die früheren deutschen Ostgebiete. - Eine bedauerliche Tatsache, die allerdings ebenso für die meisten aktuellen deutschen Lehrwerke gilt.

Geradezu symbolhaft erscheint Danzig heute als ein polnischer Erinnerungsort mit deutscher Geschichte. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit dem Beschuß der Westerplatte sowie die Anfänge der Gewerkschaft Solidarnosc ließen die Hafenstadt an der Weichselmündung zu einer Gedenkstätte werden, deren Besuch für hochrangige ausländische Staatsgäste fast obligatorisch ist.

Für die Bundesrepublik Deutschland besitzt Danzig als Erinnerungsort eine geringere Bedeutung als etwa Breslau, Königsberg oder Stettin. Das ist nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, daß die damalige Freie Stadt am 31. Dezember 1937 nicht zum Reichsgebiet gehört hat. Es war und ist daher das unbestrittene Verdienst von Günter Grass, daß er vielen Menschen durch sein literarisches Werk die deutsche Vergangenheit Danzigs bewußt gemacht hat.

Ein für das Geschichtsbewußtsein der Deutschen außerordentlich wichtiges Thema ist die auf der Konferenz von Prof. Jacobmeyer (Münster) behandelte "Vertreibung in deutschen und polnischen Geschichtsbüchern". Der Referent hatte elf polnische und zehn deutsche Lehrwerke untersucht, die gegenwärtig in den Schulen beider Länder benutzt werden. Allesamt sind sie in den letzten drei bis vier Jahren erschienen.

Jacobmeyer gelangte zu dem für manche Zeitgenossen vielleicht überraschenden Ergebnis, daß die Darstellungen der Vertreibungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg einschließlich des Schicksals der deutschen Opfer in polnischen Geschichtsbüchern ausführlicher und sensibler ausfallen als in deutschen.

Letztere teilen in keinem Fall mit, wie die Wirklichkeit der Vertreibungen aussah, und legen den Schülern auch keine Beurteilung der Ereignisse nahe. Entsprechend fiel das Fazit des Vortragenden aus: "Verglichen mit dieser Stumpfheit sind die polnischen Lehrbücher außerordentlich expressiv."

Aus eigener Erfahrung mit einem bekannten Ex-DDR-Verlag in den neuen Ländern kann der Verfasser dieses schlechte Zeugnis nur bestätigen. Verantwortliche Redakteure erhielten dort einschlägige Auflagen, wie sie das Thema Vertreibung der Deutschen am besten unter den Tisch fallen lassen sollten.

Angesichts solch skandalösen Verhaltens ist es von großer Bedeutung, daß sich die Gemeinsame Schulbuchkommission endlich gesondert dieses Themas angenommen hat. Welche Impulse von der Tagung in Wittenberg im einzelnen ausgehen, wird sich spätestens bei der nächsten Schulbuchkonferenz feststellen lassen. Sie soll 2004 in Stettin stattfinden.