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13.07.02 / Berliner Stadtschloß: Signal einer Wende

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Juli 2002


Berliner Stadtschloß: Signal einer Wende
Der Neuaufbau zeugt vom Bankrott modernistischer Architektur
von Hans Heckel

Bis zur allerletzten Minute ließen die Gegner des Berliner Stadtschlosses nicht locker, wollten die Rekonstruktion auch nur seiner Außenfassaden und des Schlüterhofes verhindern. Vergeblich. Das Schloß kommt.

Es ist bereits die zweite symbolträchtige Niederlage der kompromißlosen Verfechter der modernistischen Architektur, und es wird hoffentlich nicht ihre letzte sein. Schon die bald abgeschlossene Wiedererrichtung der Dresdener Frauenkirche war ihnen ein Greuel. Von der Öffentlichkeit weniger beachtet, laufen auch in Potsdam (Schloß, Garnisonkirche) oder in Leipzig (Universitätskirche) die Uhren gegen sie.

Der deutsche Normalbürger und Medienkonsument diskutiert meist durchweg mit ästhetischen Argumenten darüber, ob Altes neu erstehen soll. Selbst der Kanzler räumte freimütig ein, er wolle das Schloß, "weil es einfach schöner ist". Monatelang war er - bis zur Fertigstellung des Kanzleramts - provisorisch im alten Staatsratsgebäude untergebracht. Der tägliche Blick auf die Ödnis von Parkplatz und "Palast der Republik" reichte für die vollständige Wiederaufrichtung seines Sinnes für Schönes und Schreck- liches.

Den Schloßgegnern hingegen ging es um weit mehr als um bloße Schönheit. In ihren Argumenten spiegelte sich unübersehbar eine bärbeißig verteidigte Ideologie. Da war längst nicht allein der antipreußische Affekt zu spüren, der die kommunistischen Barbaren den Barock-Bau einst sprengen ließ. Hier war mehr im Spiel.

Die Gegner des Schlosses bezogen sich auffällig oft auf den 1974 verstorbenen SPD-Politiker Adolf Arndt, der 1960 den Begriff von der "Demokratie als Bauherr" geschaffen hat. Arndt hatte sich in den 50er Jahren bereits vehement gegen den Wiederaufbau des Reichstages gewehrt. Der Sozialdemokrat stand ganz unbezweifelbar in der Tradition des Bauhauses, jener Dessauer Archi- tektur-Schule zwischen 1919 und 1933.

Mit der Idee, "Kunst und Technik" in einer "neuen Einheit" zu verschmelzen (Bauhaus-Programm 1923) sollte nicht allein die Ästhetik der genormten Massenproduktion auf alle Gebrauchsgegenstände vom Haus bis zum Eierbecher übertragen werden. Mit der kalten Funktionalität des "demokra- tischen Bauens" verband sich ein erzieherischer Anspruch zur Neugestaltung des Lebens. Durch den radikalen Bruch mit dem alten, "feudalistischen" Bauen sollte dem neuen, sozialistisch genormten Menschen auf die Sprünge geholfen werden.

Bauhaus-Ikone Le Corbusier träumte davon, ganze Städte wie Berlin, Paris oder Moskau zu planieren und mit freistehenden Betonblöcken neu zu bebauen, in denen ein neues Menschengeschlecht seine Vision von der totalen Gleichheit zu entfalten hätte.

Jener ideologische Schlamm scheint längst geronnen, doch bis heute bestimmen die aus ihm gezogenen architektonischen Grundmuster die zeitgenössische Baupraxis. Damit haben auch die Lügen des Bauhauses überlebt.

Die erste Lüge lautet, die moderne Architektur sei im Unterschied zu ihren Vorgängern aller Epochen endlich "demokratisch" geworden. Eher schon trifft das genaue Gegenteil zu: Zu keiner Zeit vor dem 20. Jahrhundert traf die jeweilig vorherrschende Bau-Ästhetik beim "Demos", beim Volk auf soviel Ablehnung wie in den vergangenen rund 80 Jahren. Die frühen Bauhäusler mochten sich noch herausreden, die Ablehnung ihrer kahlen Kuben rühre aus überkommenen Sehgewohnheiten und werde mit dem Aufleben des heranerzogenen Neuen Menschen schon abebben. Drei Generationen weiter wissen wir: Aus Volkes Sicht ist und bleibt dies die scheußlichste Architektur-Ära aller Zeiten.

Doch zeigen die Weiterverfechter der modernistischen Architektur keinerlei Resonanz auf diese Erfahrung. Obwohl sie den ideologischen Ursprung ihrer Anmaßung vermutlich selbst kaum noch wissen, lugt hinter ihrer Arroganz bis heute der altsozialistische Demokratie-Betrug hervor. Wenn sie "Demokratie" sagen, meinen sie eben etwas ganz anders als das, was landläufig darunter verstanden wird. Nach sozialistischer Diktion hat nicht die Mehrheit, sondern eine ideologisch sattelfeste, "fortschrittliche Avantgarde" die Richtung vorzugeben, weil nur sie Bescheid weiß. Wenn dann das Volk nicht mitspielt, ist seine Uneinsichtigkeit per Vermittlung und Erziehung auszuräumen. Oder man geht - wie heutzutage üblich - über den nur noch müde nölenden Souverän einfach hinweg: So zu bauen ist zeitgemäß, wer etwas anderes will, hat keine Ahnung von Architektur und soll sich gefälligst raushalten.

Die zweite Lüge ist jene, erst das moderne Bauen des 20. Jahrhunderts habe Funktion und ästhetische Form in Einklang gebracht. Fabriken aussehen zu lassen wie Kathedralen, das sei der Betrug der klassischen Architektur gewesen. Damit habe die Moderne aufgeräumt, Form und Funktion seien jetzt endlich eins.

Sind sie nicht. Zwar gleichen die Fabriken heute in ihrer kahlen Grobklotzigkeit tatsächlich den Containern, in die sie ihre Produkte ausspeien. Doch: Der moderne Wohnblock daneben sieht genauso maschinenhaft aus, statt die Vielfalt und Schönheit des menschlichen Daseins wiederzugeben, das ihn erst leben läßt. Nicht anders verhält es sich mit zeitgenössischen Bürobunkern, die ebenso Maschinen gleichen (Waschmaschinen beispielsweise - so tauften die Hauptstädter scharfsichtig, wie sie sind, das neue Berliner Kanzleramt). Wenn die alten "Fabrikkathedralen" also Betrug waren, weil sie ihre schnöde Funktion hinter reich gegliederten Fassaden verbargen, dann sind es die Büro- und Wohnblocks unserer Tage nicht minder. Jedoch: In der Gegenwart reißen sich die Menschen darum, in alten Fabrikgebäuden ihre Wohnung zu nehmen, die tristen, Bauhaus-inspirierten Wohnsilos verkommen unterdessen zu Stätten sozialen Elends - das allein markiert den wirklichen Unterschied.

Und noch einmal: Niemand komme mit der billigen Ausrede, das liege allein am Alter der bevorzugten Häuser. Zu allen anderen Jahrhunderten zogen es die Menschen vor, in einem neuen statt in einem älteren Gebäude zu leben und zu arbeiten. Daß von der großen Mehrheit Altes (oder in seiner Bauweise daran Angelehntes) dem Zeitgenössischen vorgezogen wird, ist ein vielsagendes Novum unserer Epoche.

Die dritte Lüge der modernistischen Architektur in Bauhaus-Tradition versteckt sich in einer auf den ersten Blick plausibel erscheinenden Behauptung: Jede Epoche habe ihren Stil hervorgebracht, da könne man nicht einfach stehenbleiben oder gar zurückgehen. Richtig ist, daß zwar jedes Zeitalter seine eigene Bauweise hervorbrachte, doch schöpften die Architekten dabei stets aus dem Schatz der Überlieferung. Seit der Antike haben sich so feste ästhetisch-architektonische Konstanten herausgebildet, die als Grundlage jeder modischen Weiterentwicklung Gültigkeit behielten - vom alten Griechenland bis zum Jugendstil.

Als Walter Gropius nach der Flucht vor den Nazis seine Lehrtätigkeit an der amerikanischen Harvard-Universität wieder aufnahm, verbannte er gleich zu Beginn die gesamte baugeschichtliche Bibliothek in den Keller. Was in über zwei Jahrtausenden unverzichtbare Basis der Baukunst und ihrer Weiterentwicklung war, sollte plötzlich Gerümpel sein. Die (eher defensive) These also, daß die vom Bauhaus losgetretene modernistische Architektur wie diejenige anderer Epochen eine legitime zeitgenössische Wei- terentwicklung unserer Baugeschichte sei, ist somit ebenfalls eine Lüge.

Und zwar eine mit sichtbaren Folgen. Wer keine Geschichte hat, hat auch keine Zukunft, kein Ziel, keine Dauer. Eines der augenscheinlichsten Kennzeichen der modernistischen Architektur ist es nicht von ungefähr, daß sie das Altern nicht verträgt.

Wo Werke klassischer Architektur mit den Jahren eine würdige Patina ansetzen, die sie eher noch erhabener, ja lebendiger erscheinen läßt als im Neuzustand, wird Modernistisches mit der Zeit nur schmuddelig, unansehnlich und wirkt schließlich wie tot.

Euphorisch sprechen Kommentatoren schon vom Signal einer Zeitenwende, das der Beschluß zum Berliner Schloß ausgesandt habe. Respekt und das Wiederanknüpfen an die tief wurzelnde europäische Architektur-Geschichte, das sei die Botschaft von der Spreeinsel.

In der Tat bahnt sich etwas Ungeheuerliches an: Im Reichstag stimmte eine demokratische Mehrheit gegen die "Avantgarde" und für die symbolträchtige Wiedererrichtung klassischer Architektur. Dies wird nicht allein andere Vorhaben gleicher Natur beflügeln. Es wird der staunenden Öffentlichkeit zeigen, was Baukunst auch heute noch vermag. Es stellt den gähnend öden, kahlen und kalten Glas-Stahl-Beton-Quadern unserer Tage etwas entgegen, was es angeblich gar nicht gibt: eine radikale Alternative. Das dürfte die offene Nervosität der Anhänger und Produzenten modernistischer Archi- tektur besonders entfacht haben - ihre kläglichen Hinterlassenschaften sähen sich einem Vergleich ausgesetzt, dem sie nicht werden standhalten können.

Eine baukulturelle Wende aber müßte mehr sein als das Wiederaufbauen zerstörter Meisterwerke. Eine neue Architektur müßte den Mut und die Finesse finden, wirklich anzuknüpfen an die europäische Bautradition - das heißt auch, sie wieder weiterzuentwickeln. Eine belebte Brücke zu bauen über den Abgrund, den Bauhaus und Co. zwischen uns und unserer Überlieferung aufgerissen haben.

Welcher Ort wäre als Schauplatz dieses Signals besser geeignet als Berlin? In keiner europäischen Metropole hat die moder- nistische Architektur so erbarmungslos ihre Wunden geschlagen wie hier.

Mit einem letzten Querschuß versuchen die Schloßgegner nun, das Projekt dennoch aufzuhalten - durch kleinst denkbare Münze: Die Kosten seien zu hoch. Das ist natürlich Unsinn. Die Barockfassaden machen nur einen Bruchteil der Gesamtbaukosten aus, die auch für einen modernistischen Entwurf angefallen wären. Vielleicht werden Berlins Regierender Bürgermeister und seine Koalition zudem versuchen, mit rechtlichen Tricks dieses einmalige Vorhaben zu behindern. Erbsenzähler und Paragraphenreiter aber konnten den Gang der Geschichte noch nie aufhalten.

 

Ein Vergleich, dem die meist kläglichen Hinterlassenschaften der Gegenwart nicht standhalten können: 1993 ließ der Hamburger Kaufmann Wilhelm v. Boddien das Berliner Stadtschloß als Folienattrappe auferstehen. Dies war der erste Höhepunkt einer schlußendlich erfolgreichen Kampagne zum Wiederaufbau Foto: dpa