19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.07.02 / Afghanistans Wiederaufbauminister Mohammed Amin Farhang rät: "Die Deutschen müssen länger bleiben"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Juli 2002


Afghanistans Wiederaufbauminister Mohammed Amin Farhang rät: "Die Deutschen müssen länger bleiben"
Das afghanische Volk gilt als islamisch, aber nicht islamistisch
von Jürgen Liminski

Afghanistan hatte in den letzten Tagen wieder negative Schlagzeilen. Allerdings vor allem in der Boulevardpresse, die die Befürchtung verbreitete, das Land falle zurück in die Zeiten mittelalterlicher Rechtsordnung und wolle jetzt das islamische Rechtssystem der Scharia einführen. Davon könne keine Rede sein, sagt der afghanische Wiederaufbauminister Mohammed Amin Farhang in einem Gespräch mit dem Flensburger Tageblatt. Es gelte "die Verfassung von 1964. Das geht eindeutig aus den Petersberger Vereinbarungen hervor. Diese Verfassung war und ist eine demokratische Verfassung", erklärte der Minister.

Ein Artikel allerdings bestimme, daß dort, wo es eine Gesetzeslücke gibt, man auf die Bestimmungen der Scharia zurück-greifen könne. "Aber die Scharia in dem Sinne, wie das in einigen anderen islamischen Ländern mit Abhacken der Hand oder ähnlichem praktiziert wird, wird es in Afghanistan nicht geben."

Farhang schließt eine islamische Orientierung freilich nicht aus. Das Volk sei islamisch, aber nicht islamistisch. Ein Antrag bei der Loja Dschirga habe dafür plädiert, die Übergangsregierung in Afghanistan islamisch zu nennen. Der Antrag sei aber nur von einem der 1.500 Teilnehmer der großen Ratsversammlung gestellt worden. Das Recht, Anträge zu stellen, obliege aber nur dem Ratsvorsitz. Deshalb sei dem Antrag keine weitere Bedeutung zugemessen worden.

Dennoch könne man sagen, islamische Gelehrte hätten durchaus Einfluß im Land. Schließlich sei "Afghanistan ein islamisches Land, und der Islam spielt eine große Rolle, aber das bedeutet nicht, daß das ganze Leben der Afghanen von den strengen Bestimmungen des Islams bestimmt wird". Farhang rechnet damit, daß es zu einer Mischung aus den Bestimmungen der Verfassung von 1964 und islamischen Regeln sowie demokratischen Elementen kommt, um das Land zu regieren. "Das hängt alles ab von der neuen Verfassung, die in der Übergangszeit ausgearbeitet wird."

Farhang widerspricht der Behauptung, der Arm der Regierung Karsai reiche kaum über Kabul hinaus. Es gebe in einigen Provinzen Probleme, aber sie seien lösbar. Afghanistan hat 24 Jahre Krieg hinter sich, da hätten die Kriegsherren, die Warlords, noch einiges zu sagen in ihren Gebieten. Deshalb versuche die Zentralregierung, "diese Leute nach Kabul zu holen, damit sie sich an der Zentralmacht beteiligen. Man könnte sie dann durch andere Gouverneure ersetzen und so auch die Machtbereiche weiter ausgleichen".

Die Situation mache allerdings die Präsenz der Internationalen Schutztruppe notwendig. In anderthalb Jahren werde in Afghanistan frei gewählt. "Solange die Warlords in Afghanistan noch stark sind und solange die nationale Armee von Afghanistan nicht steht, müssen die internationalen Schutztruppen bleiben, und das wird vielleicht länger dauern als diese Übergangsregierung." Das gelte auch für die Deutschen als Teil dieser Schutztruppe.

"Wer will, daß Afghanistan nicht zurückfällt in den Bereich des internationalen Terrorismus, der muß das unterstützen. Man darf nicht den Fehler wiederholen, den man 1992 gemacht hat", fordert der Minister. Afghanistan liege in einem instabilen Umfeld. Im Grenzgebiet zu Pakistan hätten viele Terroristen Unterschlupf gefunden. Auch die pakistanische Regierung müsse die Grenze strenger kontrollieren. "Ich glaube, viele El-Kaida- und Taliban-Leute haben gerade wegen der Nachlässigkeit der pakistanischen Behörden freien Durchgang zwischen Afghanistan und Pakistan."

Farhang bedauert, daß die westlichen Länder sich nicht stärker am Wiederaufbau beteiligten. Der Wiederaufbau komme "nur sehr schleppend voran, weil die Weltgemeinschaft ihre Versprechungen nicht eingehalten hat. Es gibt immer Ausreden, einmal die Scharia-Bestimmungen, zum anderen, daß die politische Lage und die Stabilität nicht gut seien. Jetzt haben wir die Loja Dschirga erfolgreich hinter uns, und ich hoffe, daß die Welt endlich einsieht, daß dieses Land den Wiederaufbau braucht und auch etwas dafür tut. Ich habe den Eindruck, daß man uns wieder im Stich lassen und sich drücken will."

"Der Wiederaufbau kommt nur schleppend voran": Afghanistan hofft, daß die Weltgemeinschaft ihre nach Kriegsende gegebenen Versprechen auch tatsächlich einlöst. Foto: dpa