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13.07.02 / Osterweiterung: EUrokraten sehen schwarz

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Juli 2002


Osterweiterung: EUrokraten sehen schwarz
Immer mehr Probleme gefährden den Zeitplan
von Martin Schmidt

Je näher die heiße Phase der für Anfang 2004 ins Auge gefaßten EU-Osterweiterung heran-rückt, desto mehr Probleme scheinen sich aufzutürmen.

Nach wie vor ist es keineswegs sicher, daß die Iren im Herbst in einer zweiten Volksabstimmung ihr Nein zum Vertrag von Nizza aufheben. Ohne eine solche Revision geht aber gar nichts.

Außerdem könnte der Marathon der Ratifizierung des Beitrittsvertrages in den 15 alten Mitgliedsstaaten und den zehn neuen zu Verzögerungen führen. Selbst aus dem Umfeld der EU-Kommission wurden zuletzt kleinlaute Äußerungen bekannt, wonach sich die Beitritte bis zu den Europawahlen im Sommer 2004 oder gar bis zum Ende der Amtszeit der Kommission zu Beginn des Jahres 2005 hinziehen könnten.

Am meisten Sorgen bereiten derzeit die zum Stillstand gekommenen Verhandlungen über die Agrarhilfen. Kanzler Schröder hatte nicht zuletzt im Hinblick auf die Bundestagswahl vor einer Ausdehnung der Subventionen auf 25 Mitglieder und den drohenden Mehrkosten von jährlich acht Milliarden Euro gewarnt.

Doch auch der neue französische Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin sperrt sich gegen Einschnitte bei den deutschen Zahlungen. Aus Pariser Sicht ist das nachvollziehbar: Denn während die Bundesrepublik bekanntlich größter Nettozahler der EU ist, bekommt Frankreich neben Spanien im Agrarbereich am meisten.

Dänemarks konservativer Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen, dessen Land am 1. Juli den Vorsitz in der EU übernommen hat, sah sich angesichts der Sackgasse zu einer deutlichen Warnung gegenüber der Financial Times Deutschland veranlaßt: "Wenn die Beitrittsverhandlungen nicht beim Gipfel in Kopenhagen im Dezember abgeschlossen werden können, laufen wir Gefahr, die Erweiterung um Jahre zu verzögern."

Zu allem Überfluß sorgen auch einige der Kandidaten für Mißstimmung. Polen mit seiner wuchernden Staatsverschuldung, steigenden Arbeitslosigkeit, rebellischen Bauern und einem beinharten Verhandlungsstil seiner Diplomaten ist nur der Gipfel des Eisbergs, der dem Brüsseler Zeitplan ein Schicksal à la Titanic bescheren könnte.

Da ist zum Beispiel Litauen. Nicht von ungefähr gelten seine Bewohner im Vergleich zu den Letten und mehr noch zu den Esten als temperamentvoll. Manche nennen sie sogar die "baltischen Italiener".

Jedenfalls beschloß das Parlament in Wilna am 1. Juli in einer außerordentlichen Sitzung eine Resolution, die die nationale Führung ins Schwitzen und alle EUrokraten in Wut versetzen dürfte. Mit der Entschließung wird die eigene Regierung aufgefordert, ein bereits zu den Akten gelegtes Verhandlungskapitel wieder aufzuschlagen.

Besonders unangenehm ist dabei, daß es sich ausgerechnet um die verzwickten Fragen des freien Kapitalverkehrs handelt. Die von den Sorgen einheimischer Bauern umgetriebene Mehrheit von 74 litauischen Abgeordneten (bei 28 Nein-Stimmen und zehn Enthaltungen) besteht darauf, daß eine längere Übergangsperiode beim Erwerb von Agrarland durch EU-Ausländer ausgehandelt wird.

Ihnen schwebt eine Frist von sieben bis zehn Jahren vor. Ausnahmen sollen nur für solche fremden Bauern gelten, die mindestens drei Jahre ohne Unterbrechung im Lande gelebt und in dieser Zeit auf einem amtlich registrierten Hof gewirtschaftet haben.

Bisher hatte die litauische Regierung gegenüber Brüssel zugestanden, den Artikel 47 der Verfassung so zu ändern, daß noch vor einer Aufnahme in die Union der unbeschränkte Verkauf von Agrarland an EU-Ausländer ermöglicht werden sollte.

Auch vom litauischen Nachbarn Lettland dringen mancherlei Nachrichten zu uns, die dessen EU-Tauglichkeit bezweifeln lassen. Zwar verabschiedete das Parlament in Riga am 25. April ein neues Antikorruptionsgesetz, das etwaige Interessenüberschneidungen bei Staatsbediensteten - zum Beispiel durch Ämterhäufung oder die Annahme von Geschenken - unterbinden soll. Überdies wurde ein eigenes Büro zur Korruptionsbekämpfung geschaffen, das ab August die Einhaltung des Gesetzes überwacht und von sich aus Nachforschungen einleiten kann.

Doch die Lage an der "Korruptionsfront" ist derart bedrückend, daß diese Maßnahme wohl kaum mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist.

Über die Zustände im lettischen Zivil- und Strafrecht berichten die Juli/August-Mitteilungen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Klagen gegen den Amtsmißbrauch von Beamten sind demzufolge gewagt und kostspielig. Sonderregelungen schützen die angeblichen Staatsdiener auf eine für unser Rechtsverständnis unerträgliche Weise: Die Kläger müssen sämtliche Verfahrensgebühren selbst tragen.

Diese Gebühren, die vor der Anklageerhebung zu entrichten sind, ist man unabhängig vom Ergebnis los. Wer Berufung einlegt, hat erneut 50 Lats (ca. 84 Euro) zu zahlen. Daß Gerichtsverfahren damit de facto nur für die wohlhabenderen Schichten möglich sind, zeigt ein Blick auf die heutigen Renten von durchschnittlich 55 Lats im Monat. Doch das ist noch nicht alles. Die IGFM-Sektion Lettland hat weitere haarsträubende Erfahrungen gemacht: "Viele Richter verschiedener Ränge (...) urteilen so, daß die strafbaren Handlungen der Beamten nicht zutage treten. (...) Oder Rechtsanwälte, die eigentlich das Opfer verteidigen sollten, schlagen sich im Laufe des Verfahrens auf die Seite der Beamten und versuchen nicht die Wahrheit festzustellen und zu beweisen, weil das ‚interessierte Kreise' gestört hätte.

Bis zur Erhebung der Anklage nach einer fabrizierten Strafsache werden viele Verdächtige - zumeist erfolgreiche Privatunternehmer - mit einem gesetzwidrigen Gerichtsbeschluß ins Rigaer Psychoneurologische Gesundheitsamt gebracht oder einfach verhaftet, um sie psychologisch zu bearbeiten. Während dieser Zeit wird das Eigentum der verhafteten Personen vernichtet, ausgeraubt und der Privatunternehmer zum Bettler gemacht."

Selbst wenn dies nur Ausschnitte aus der komplexen Wirklichkeit eines im Umbruch befindlichen Lande sind, sollten solche Überbleibsel des Sowjetdepotismus Warnung genug sein, um die notwendige, aber eben auch sehr schwierige Zusammenfassung der Staaten im Westen und Osten Europas mit der gebotenen Ruhe und Gründlichkeit anzugehen.