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13.07.02 / Gedanken zur Zeit: Über den Tisch gezogen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Juli 2002


Gedanken zur Zeit: Über den Tisch gezogen
Deutschland und der Europa-Konvent
von Wilfried Böhm

Die Nation bleibt eine primäre Schicksalsgemeinschaft. Sie bleibt die Hülle unserer inneren Ordnung noch für lange Zeit, selbst im Zeitalter der Großverbände", sagte 1966 der damalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt, und sein getreuer Egon Bahr unterstützte ihn: "Die Selbstbestimmung der Völker verkörpert sich in ihren Nationalstaaten" und "Die demokratische Souveränität darf nicht auf dem Weg nach Europa verlorengehen."

In der ihm eigenen Art hat Kanzler Gerhard Schröder rechtzeitig zu Beginn des jetzigen SPD-Wahlkampfes seine Muskeln spielen lassen und festgestellt: "Wir sind 82 Millionen, die wichtigste Wirtschaftsmacht in Europa. Das muß man nicht raushängen, aber man muß es wissen." Der Kanzler weiß schon, was die deutschen Wähler hören wollen. Kein Wunder, daß auch sein Außenminister Joseph Fischer noch vor zwei Jahren vom Europa der Nationalstaaten als "unverzichtbare Größe" sprach und beteuerte, dieser Nationalstaat sei "unersetzlich, um eine von den Menschen voll akzeptierte Bürger- und Staatengemeinschaft zu legitimieren".

Auch Wolfgang Schäuble, in Edmund Stoibers "Kompetenz-Team" für Außen- und Europapolitik zuständig, sagte noch 1997: "Die Nationalstaaten sind historisch betrachtet das Europäische an Europa. Sie werden auf absehbare Zeit die bestimmende staatliche Organisationsform bleiben. Die Staaten vermitteln den Menschen Zugehörigkeit, Identität, ohne die freiheitliches Zusammenleben auf Dauer nicht möglich ist."

So deutlich hört man es aus den Reihen der Unionsparteien in jüngster Zeit allerdings nicht mehr. Vielmehr scheint die Union als "deutsche Europapartei" die "Bürger auf dem Weg nach Europa mitnehmen zu wollen", wie die einschlägige Phrase der Euromanen lautet. Bleibt nur die Hoffnung, daß die CDU und CSU sich weniger an ihrem Altkanzler Kohl als an den über 70 Prozent ihrer Mitglieder orientiert, die laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung meinen, daß Deutschland seine nationalen Interessen international stärker durchsetzen solle.

Hinter der Nebelwand treuherziger Bekenntnisse zum Nationalstaat werden jedoch, wie man aus dem riesigen bürokratischen Apparat in Brüssel hämisch und augenzwinkernd vernimmt, die Bürger Europas Schritt für Schritt in Richtung "Europa" über den Tisch gezogen, ohne daß sie es so richtig bemerken. Das neueste Instrument dazu ist der "Konvent zur Zukunft Europas", der dadurch vollendete Tatsachen schaffen soll, daß er die Richtung der öffentlichen Diskussionen mit dem Ziel abstecken soll, daß dabei immer "Europa" herauskommen soll.

Die Bundesregierung wird in dem Konvent durch den Kommunikationswissenschafter Professor Dr. Peter Glotz repräsentiert, langjähriger Bundesgeschäftsführer der SPD und Bundestagsabgeordneter dieser Partei und nach einem Gastspiel als Gründungsrektor der Universität Erfurt heute Professor in St. Gallen. Für Glotz ist Deutschland ein "mißglückter Nationalstaat". In einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Mai 2002 legt der Repräsentant der deutschen Bundesregierung seine Meinung zur künftigen Entwicklung der Europäischen Union (EU) dar und beendet diesen wie folgt: "Nietzsches Satz ‚Gut deutsch sein, heißt sich entdeutschen' wagt man kaum mehr auszusprechen; man würde ihn von deutschen Vaterlandstölpeln (die sich sofort hinter englischen und französischen Vaterlandstölpeln verstecken würden) sogleich um die Ohren geschlagen bekommen. Aber vielleicht darf man, Nietzsche zitierend, immerhin sagen, daß wir nicht in ‚europäischen Hornviehnationalismus' zurückfallen wollen. Ein Konvent ohne Erfolg und eine Regierungskonferenz à la Nizza im Jahr 2004 würden solchem Hornviehnationalismus nämlich Vorschub leisten."

Postwendend bezweifelte Rudolph Lederer, ein in Brüssel lebender Brite, die These des deutschen Konventmitgliedes Glotz vom "mißglückten" deutschen Nationalstaat und fragte, selbst wenn dem so wäre, warum denn alle "geglückten" Nationalstaaten auch verschwinden sollten. "Es gibt kein europäisches Volk, und so kann es auch kein wirkliches europäisches Parlament geben, sondern nur eines, das so tut, als sei es das."

Die skurrilen Auffassungen des Peter Glotz zur Zukunft der Deutschen in Europa finden überdies ihre Ergänzung in seiner Haltung zur Situation der deutschen Sprache angesichts ihrer Durchsetzung mit Anglizismen. Unterstellt Glotz doch denen, die sich für die Vermeidung unnützer Anglizismen einsetzen, einen dümmlichen Reinheitsfimmel, wenn er unlängst in den VDI-Nachrichten unter den Titel schrieb: "Besser Denglisch als dümmlich."

Wer, im Gegensatz zu Glotz, Sprache als Ausdruck des Denkens und der Kultur begreift und mit Heinrich von Kleist weiß, daß durch das Sprechen unsere Gehirnzellen aufgemischt, beflügelt und zu Höchstleistungen angetrieben werden, der weiß, daß das Sprechen der Türöffner zum Denken ist. Erkennt man heutzutage der englischen Sprache die Rolle einer Weltverkehrssprache zu, nimmt man zwar den anglo-amerikanischen Kulturimperialismus als gegeben hin, handelt aber realistisch. Gibt man jedoch die deutsche Sprache als deutsches Kulturgut der Zersetzung durch Anglizismen preis, handelt man nicht realistisch, sondern dümmlich. Man räumt den Platz der Deutschen als Kulturnation, auch und gerade, wenn man Professor für Kommunikationswissenschaft ist.