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20.07.02 / Niederösterreich: Der Geist von Poysdorf

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Juli 2002


Niederösterreich: Der Geist von Poysdorf
Tschechen, Franzosen und Österreicher erinnerten an 1866
von Friedrich Nolopp

Im niederösterreichischen Poysdorf dreht sich fast alles um den Wein, schließlich ist die umliegende Region des Weinviertels mit 18 000 Hektar Rebflächen das größte Anbaugebiet Österreichs.

Die romantischen Gassen mit den vielen Hotels, Gaststätten und Winzerhöfen lassen einen glauben, jeden Augenblick könne Hans Moser um die Ecke schauen und einen "G'spritzten" servieren.

Das Weinviertel mit seiner sanft-hügeligen Landschaft erstreckt sich im Süden bis zur Donau, im Norden bis zur jetzt offenen tschechischen Grenze bei Brünn, dem Manhardtsberg im Westen und der March im Osten.

Gemütlichkeit, Traditionsliebe und Geschichtsverbundenheit stehen hoch im Kurs. In Poysdorf findet man noch immer ein Denkmal für Kaiser Joseph II., und im Eingang des städtischen Museums hängt das Bild Franz Josephs I. Seit 1901 gibt es darüber hinaus auf einem Acker nördlich der Stadt ein Denkmal für 136 preußische Soldaten, die in dem Ort ums Leben kamen. Zusammen mit einer Grabstätte französischer Gefallener aus den napoleonischen Kriegen wurde die Anlage nach gründlicher Restaurierung Anfang Juli feierlich eingeweiht.

Die französischen Soldaten starben bei den Schlachten von Austerlitz (1805) und Wagram (1809). Warum sie gerade hier beerdigt wurden, ist genauso unbekannt wie ihre Zahl.

Derselbe Gottesacker gewann dann gut ein halbes Jahrhundert später nochmals Bedeutung, nachdem am 3. Juli 1866 die Preußen im Gefolge ihres Sieges bei Königgrätz die heutige österreichische Grenzlinie überschritten hatten und Richtung Wien marschierten.

In der Poysdorfer Pfarrchronik heißt es über die damaligen Ereignisse, daß in den "Gemütern unserer Bewohner die ängstliche Besorgnis" auftauchte, "ob uns nicht eine Invasion der Preußen bevorstehe". Nie zuvor - auch nicht in der Ära Friedrichs d. Gr. - hatten diese zum Sturm auf Wien angesetzt.

Die Hoffnungen der Bevölkerung, daß sich die flüchtenden österreichischen Truppen neu ordnen und den Feind doch noch stoppen könnten, wurden enttäuscht. Ihre Reste verließen "in einem jämmerlichen Zustande" den Ort. Der Pfarrer notierte: "Allenthalben fing man an, Keller zuzumauern, Geld und Geldeswerthe zu vergraben, welche Vorsichtsmaßnahmen sich als überflüssig herausstellten."

Am 16. Juli 1866 zur Mittagszeit war es so weit: Ein erstes Häuflein preußischer Ulanen ritt zur Erkundung ein. Den nächsten Tag zogen von überall her "massenhaft Truppen" in die Stadt.

Da die Poysdorfer die Gelegenheit hatten, beide Armeen aus der Nähe kennenzulernen, konnten sie gut vergleichen. Laut Pfarrchronik fiel dabei die Disziplin und Religiosität der "Gäste" auf.

Es erregte "unsere Bewunderung und Hochachtung", so heißt es, "wie fleißig und gewissenhaft die Preußen selbst zu Kriegszeiten ihre religiösen Verpflichtungen erfüllen". Außerdem wunderte sich der einheimische Beobachter, daß die Behandlung, die die "preußischen Vorgesetzten ihren Untergebenen angedeihen ließen, eine liebevolle und vernünftige" war.

Ferner kam man hinsichtlich des Betragens der feindlichchen Soldaten gegenüber den Frauen zu dem Schluß, daß sich das sittliche Niveau dieser Armee "weit über die österreichische Armee erhebt". Nach soviel Lob nennt der Chronist wenigstens einen Makel: Die preußischen Kerle hätten beim Essen die "Grenzen der Mäßigkeit weit überschritten".

Die Kampfhandlungen hörten bereits kurz nach dem Einmarsch auf, da man in Nikolsburg über einen Frieden verhandelte, der am 2. August auch geschlossen wurde. Doch als die Poysdorfer inmitten der Juliwirren schon hofften, sie würden glimpflich davonkommen, stellte sich der "ärgste Feind der Menschheit" ein: die Cholera.

Dem Schlachtengetümmel entronnen, fielen die Soldaten nun reihenweise dieser Seuche zum Opfer. In drei neuen Lazaretten verloren 136 Mann ihr Leben. Alle wurden sie auf dem ehemaligen Franzosenfriedhof beerdigt. Da Poysdorf als südlichster Außenposten der preußischen Armee für einige Tage im Zentrum der großen Politik stand, kamen am 29. Juli 1866 auch König Wilhelm I. und Bismarck hierher.

Der Chronist beschrieb den Auftritt des Monarchen vor seinen Soldaten wie folgt: "Der greise König mitten unter den Kriegern, der kameradschaftliche Geist, der keine Scheidewand zwischen Offizieren und Mann kannte, und das offene Verhalten der Soldaten dem Kriegsherrn gegenüber. Das alles wäre bei Franz Josef unmöglich gewesen, der am Hofzeremoniell festhielt wie am Glaubensbekenntnis."

Heute gibt es längst keine k. u. k-Monarchie mehr und auch kein Preußen. Selbst von den preußischen Tugenden wird selten geredet, obwohl sie bitter nötig wären.

Die Offiziere, die bei der Einweihungszeremonie in Poysdorf das Wort ergriffen, schienen ebenfalls anderen Geistes Kinder zu sein. Der deutsche Militärattaché, Oberst Bruno Paulus, und der französische Colonel Carlos Martinez stellten ihre Ansprachen ganz auf den Einfluß der Militärtechnik ab.

An die europäischen Regierungen appellierten sie, für ihre Armeen genug Geld zur Modernisierung bereitzustellen. Vom Preußentum und dem "Geist", den eine Truppe mindestens ebenso braucht wie die Technik, sprach während der Feier niemand. Ein österreichischer Kommandeur schwärmte statt dessen von der "glänzenden Performance" des Bundesheeres bei Auslandseinsätzen.

Dann bewegte sich der Troß aus Fahnenabordnungen österreichischer Traditionsregimenter, einer Kapelle des Bundesheeres sowie Trachtengruppen aus Österreich und Tschechien von den beiden Denkmälern aus in Richtung Poysdorfer Festplatz. Erst als dort die Kapelle der K.u.k.-Deutschmeister aufspielte und die Tiroler Schützenkompanie aus Brixlegg sich G'spritzten und Gulaschsuppe schmecken ließ, tauchte plötzlich eine Frage auf: "Wo sind eigentlich die Preußen?" - Gemeint waren die Bundesdeutschen.

Die Veranstalter bestätigten: Keine einzige Abordnung aus der Bundesrepublik war gekommen. Irgendwie hatte man die Nachbarn bei der Planung vergessen.

Ein Moment der Peinlichkeit schmälerte jedoch nur kurz die Laune, und die traditionsbewußten Österreicher gedachten des ruhmreichen Preußens kurzerhand ohne die Preußen.

 

Nur Militärtechnik im Sinn: Ansprache des deutschen Militär-attachés Oberst Bruno Paulus am Preußendenkmal in Poysdorf, Foto: Nolopp