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20.07.02 / Eine verflixte Leseprobe

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Juli 2002


Eine verflixte Leseprobe
von Robert Jung

Zu dem Hirten von Bialla, dessen Lebensweisheit in aller Munde war, pilgerte eines Tages der Sohn des reichen Buchenmüller, beladen mit einem Rucksack voller Gerstenbrote und Töpfe mit Schmalz. Dem etwas einfältigen Filius, im Lesen und Schreiben, wie überhaupt mit allem Gelehrten etwas zurückgeblieben, sollte der Hirte bei der Abfassung eines "Freier-Briefes" behilflich sein. Er hatte sich in Elke, die Tochter des Oberlehrers, verguckt, und er glaubte, mit einem entsprechenden "Liebesbrief" ihr Herz endgültig zu erobern. Und die blitzsaubere Elke mit ihren neunzehn Jahren erschien ihm, dem späteren Erben der reichen Buchenmüller-Mühle, die rechte zu sein ... Er hob die Schultern und meinte: "Hör gut zu, Aslan, ihr Hirten seid doch alle überklug. Schreibe also meine Wünsche der Oberlehrers-tochter ganz präzise auf, damit ich mit diesem Schreiben eine Chance bei ihr habe. In der Werbung verfasse also wohlmeinende Worte, vor allem meine Gedanken an eine baldige Heirat und einen gewissen Wohlstand." Um sich aber beim Hirten nicht gänzlich zu blamieren, flüsterte er ihm ins Ohr: "Diese Elke, meine Künftige, schreibt mir immer in einem schrecklichen Latein, so daß ich mit diesem fürchterlichen Kauderwelsch nichts anfangen kann, ihre Ausdrücke verstehe ich überhaupt nicht recht."

Nach einer Weile des Zuhörens und einem Schluck Bärenfang entwarf der Hirte die Werbung des jungen Burschen mit entsprechenden Worten und viel Gefühl. Eine Woche darauf kam der junge Buchenmüller zu ihm mit einem Antwortbrief der umworbenen Elke zurück. Da er auch im Lesen nicht zurecht kam, bat er den Hirten, ihm den Inhalt vorzulesen, worauf dieser beginnen wollte. Doch plötzlich, ehe er zu lesen anhob, hielt ihm der junge Bursche mit seinen rauhen Müllerhänden die Ohren zu: "Das, was in dem Brief steht, sollst du mir nur vorlesen, es ist allein für mich bestimmt, aber hören sollst du nicht, was mir die Elke schrieb ..."