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27.07.02 / 100 Jahre ASCO: Olympia am Pregel

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. Juli 2002


100 Jahre ASCO: Olympia am Pregel
Am 1. August 1902 wurde der Sportclub Ostpreußen gegründet

Manchmal genügt ein Wort, fast beiläufig erwähnt, und dann steigt ein Bild aus der Erinnerung auf, das immer mehr Konturen gewinnt. Und auf einmal ist die Heimat, die Kindheit, die Jugend wieder da, und es wird lebendig, was man vergessen glaubte. So erging es mir, dem altgewordenen Kind aus Königsberg, als ich das Wort "ASCO" vernahm. Da sah ich meinen Bruder im Fußballdress, sah die abgestellten Hockeyschläger im Flur und spürte den harten Ball wieder an meinen dünnen Kinderbeinen. Denn der zwölf Jahre ältere pflegte in dem langen Korridor seine Schläge zu üben, und ich mußte in der Wohnzimmertüre stehend "Tor" spielen, was sehr schmerzhaft sein konnte. Immer wollte ich über den ASCO schreiben - nun habe ich einen guten Anlaß, es zu tun: Die ruhmreiche Königsberger Sportvereinigung, die diesen Namen seit 1919 trug, kann in diesem Jahr ihr 100jähriges Jubiläum feiern, wenn man auf ihre Wurzeln - sprich Ursprungsvereine - zurückgeht.

Zuerst möchte ich aber noch einmal auf den Auslöser zurückkommen, der für mich den ASCO aus der Vergangenheit in die Gegenwart brachte. Das war, als sich Gerhard Morgenstern aus Wetzlar bei mir meldete, um über unsere "Ostpreußische Familie" eine Aktion zu starten, die zwar nichts mit Sport, aber alles mit Königsberg zu tun hatte: Es handelte sich um Servietten mit einem alten Königsberger Stich. Er erwähnte dabei, daß er Redakteur des Mitteilungsblattes "ASCO-Treue" sei, und da hakte ich sofort ein: "Existiert denn der Asco noch?" Und so erfuhr ich von der ASCO-Traditionsgemeinschaft, deren Mitglieder - alles alte Ascoten - sich einmal im Jahr treffen und auch untereinander die Kameradschaft aufrecht erhalten, die sie einmal im Sport verbunden hatte. Und die mit zu diesen Höchstleistungen führte, die in der ASCO-Chronik verzeichnet sind, eine Dokumentation, die bezeugt, wie diese Vereinigung das sportliche Leben Ostpreußens in seiner Blütezeit mitbestimmt hat.

Gehen wir aber zurück zu den Anfängen vor nunmehr 100 Jahren. Als nach der Jahrhundertwende die Gründung von Sportvereinen in Königsberg und ganz Ostpreußen ins Auge gefaßt werden konnte - bis dahin standen Behörden und Schulen dem Rasensport noch gänzlich fern -, gründeten am 1. August 1902 sieben Königsberger auf Initiative von Alfred Hirsch, der bis dahin dem Fußballclub Königsberg (FCK) angehört hatte, den "Sportclub Ostpreußen" (SCO). Auf dem Zirkusplatz vor dem ehemaligen Steindammer Tor fanden die ersten Spiele statt. Gegner war vor allem der FCK, aus dem später der VfB hervorging. Der Ball rollte, die Vereine schossen wie Pilze aus dem Boden - wie FC-Prussia und Sportzirkel Samland -, so daß im April 1904 der Verband Königsberger Ballspielvereine gegründet wurde. Zwei Jahre später bekam der SCO einen eigenen Platz, den "Ostpreußen-Sportplatz" am Oberteich. Dem Verein gelang es immer stärker, die Jugend zu gewinnen. Größten Zuspruch erhielt er aus der Burgschule und dem Wilhelms-Gymnasium. Auf dem Gebiet der Leichtathletik konnte der SCO schon bald hervorragende Erfolge verzeichnen, vor allem durch Kurtzahn, der im Mai 1909 mit 3,015 Metern seinen ersten deutschen Rekord im Weitsprung aus dem Stande verzeichnen konnte, den er im Oktober mit 3,14 Metern überbot und den er bis nach Ende des Ersten Weltkrieges hielt. Kurtzahn war damit dem olympischen Rekord nahe gekommen, den damals ein Franzose mit 3,145 Metern errang.

Übrigens: Olympische Spiele, die fanden auch in Ostpreußen statt, denn unter diesem Namen hatte 1907 der SCO diese Wettkämpfe ausgeschrieben. Sie fanden rege Beteiligung und Interesse, auch auf internationaler Ebene. Es wurden glanzvolle Jahre für den SCO, dessen breitgefächerte Palette immer mehr neue Sportarten wie Eisschnellauf und Eishockey erfaßte, die dann 1914 mit Kriegsausbruch ein jähes Ende fanden. Nach dem mühseligen Wiederbeginn - allein 32 SCO-Kameraden waren gefallen - zeichneten sich dann bald Bestrebungen ab, mit einem befreundeten Verein zu fusionieren.

Und das war der Akademische Sportclub Königsberg (A.S.C.), die zweite Wurzel des ASCO. Kein anderer Verein im Osten hat jemals eine so rasche und erfolgreiche Entwicklung durchgemacht wie der 1905 von Studenten der Königsberger Albertina gegründete A.S.C. Clublokal war die Palästra, ihr Hof wurde zum ersten Sportplatz. Ein Jahr später durfte der Club dann den SCO-Sportplatz mitbenutzen, und dadurch entstand eine freundschaftliche Verbindung zwischen den Vereinen. Im Laufe der nächsten Jahre konnte der A.S.C. einen glanzvollen Aufstieg mit Spitzenerfolgen auf fast allen Gebieten des Rasensports verzeichnen. Es ist hier leider nicht der Platz, die einzelnen Leistungen aufzuführen. Eine Zahl soll für viele stehen: Im Jahre 1912 heimste der A.S.C. allein 103 Leichtathletiksiege ein. Er war bis zum Ersten Weltkrieg der führende Leichtathletikverein im Osten, seine Geschichte ist mit der gesamten deutschen Sportbewegung östlich der Oder eng verbunden. Auch bei diesem Club lichteten sich die Reihen im Laufe des Kriegsgeschehens. 1919 kam es dann zu der von beiden Seiten angestrebten Vereinigung Akademischer SC/SC Ostpreußen. Am 1. Juli wurde in der Palästra die Verschmelzung vollzogen: Der Akademische Sport-Club Ostpreußen (A.S.C.O.) trat in die deutsche Sportgeschichte ein.

Und zwar kräftig, denn schon im ersten Jahr war der A.S.C.O. in der ostdeutschen Leichtathletik führend. Im Fußball waren ihm nur der VfB und Prussia Samland überlegen. Und jetzt begann auch der Frauensport eine Rolle zu spielen: Die Damenabteilung wurde gegründet, die am Jahresende bereits 40 Mitglieder verzeichnen konnte. Besonders setzte man auf die Jugendarbeit - mit Erfolg: Das Fundament für den Aufstieg und die Blüte des Clubs zwischen den beiden Kriegen wurde gelegt.

Seiten könnte man füllen mit den Erfolgen - in der vor 50 Jahren erschienenen Vereinschronik ist dies auch geschehen. Mit Berichten von aktiven Vereinsmitgliedern, die die glanzvollen Jahre noch einmal auferstehen lassen. Schon 1920 konnte der A.S.C.O. 73 Leichtathletiksiege verzeichnen. Ein Jahr später erfolgte die Namensänderung in "ASCO". Mit rund 800 Mitgliedern war der Club zum größten Verein des Verbandes geworden. Das Inflationsjahr 1922 lähmte nicht den Sport, es wurde sogar eine Leichtathletik-Mannschaft zu den deutschen Kampfspielen nach Berlin entsandt, die Teilerfolge verzeichnen konnte: Dähnert wurde Zweiter über 3.000 und 1.500 Meter, Dr. Stock Zweiter im Hammerwerfen. Erfolgreich war auch die Jugend-Schwedenstaffel, wie überhaupt die ASCO-Jugend damals in allen Klassen die durchgebildeste und beste von Ostpreußen war. In diesem Jubiläumsjahr, das die Chronik als "Jahr der Meisterschaften" bezeichnet, wurde dem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg die Ehrenmitgliedschaft des ASCO angetragen, die dieser auch annahm.

Die drückenden wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der nächsten Jahre wirkten sich auch auf das Clubleben aus, es mußten viele gute Pläne zurückgestellt werden. Trotzdem wies der ASCO eine breite Palette von Sportmöglichkeiten auf, die von Eishockey, Landhockey und Schlagball bis zu Schießen, Boxen und Kegeln für die älteren Mitglieder reichte. Das Schwergewicht der sportlichen Erfolge verlagerte sich auf den Fußball, in der Leichtathletik blieb der ASCO aber weiter der führende Club im Verband. Die Jugendabteilung konnte 1924 einen stark beachteten Sieg in Hamburg erringen: Beim Jugend-Tennis, Hockey- und Leichtathle-

tik-Turnier des Harvestehuder T.H.C. gewannen die Ascoten gegen elf beste deutsche Mannschaften den leichtathletischen Mannschaftskampf.

Die ASCO-Jugend, für die 1928 das Jahr ihrer größten Triumphe wurde, bildete zusammen mit den Frauen die Säulen der sportlichen Erfolge des Clubs. Die Damenabteilung wuchs so beachtlich, daß sie in jenem Jahr an der Königsberger Handballrunde bereits mit sechs Mannschaften teilnehmen konnte. Im Handball und auch in der Leichtathletik im Osten waren die ASCO-Damen nicht zu schlagen. Ihren wohl größten Erfolg verzeichneten die Handballerinnen 1929 nach der verlustpunktfreien Königs-

berger Meisterschaft und der Baltenmeisterschaft in einem hervorragenden Spiel gegen den mehrmaligen deutschen Frauenhandballmeister SC Charlottenburg in Berlin, das mit 6:6 trotz Spielverlängerung endete.

Eine glanzvolle Bilanz konnte der Allgemeine Sport-Club Ostpreußen im Jahr 1930 auf dem Gebiet der Leichtathletik ziehen, jeder Start wurde zum Erfolg. Die Frauen übertrafen mit ihren Leistungen alles, sie errangen die Meisterschaften im Hand- und Faustball sowie eine Fülle von Siegen in der Leichtathletik. Diesen glänzenden Siegeszug konnte die Abteilung nur durch die hervorragende Führung und den vorbildlichen sportlichen Einsatz von Margarete Friedrich vollbringen. Sie gilt in der Geschichte des ostpreußischen Frauensports als einmalige, unübertroffene Erscheinung.

Aber auch bei den Herren gab es herausragende Leistungen. Der ASCO stellte sogar einen deutschen Meister: Bruno Mäser holte sich im Speerwerfen den Sieg in der deutschen Meisterschaft. Ein Rekordwurf mißglückte ihm leider: Beim Länderkampf gegen Frankreich in Hannover siegte er zwar, aber bei dem Wurf, bei dem sich der Speer mehrere Meter hinter der deutschen Rekordfahne eingrub, hatte er leider übergetreten!

Das sind nur zwei Namen aus der nun 100jährigen Geschichte des ASCO, die aktiv - vor allem bei den Frauen - bis in die Kriegsjahre hineinführte. Ich konnte in der ASCO-Chronik trotz emsiger Bemühungen nicht einmal die Erfolge zusammenzählen, wie sollte ich dann den Spielern und Spielerinnen gerecht werden, deren Namen immer wieder in der Chronik so erfolgreich auftauchen? Es wäre ungerecht, nur einige zu nennen, denn sie hatten alle ihr Bestes gegeben und dem ASCO zu seinem hohen Stellenwert im ostdeutschen Sport verholfen. Nur an einen Namen muß noch einmal erinnert werden: Prof. Dr. Hans Kurtzahn, der in seiner Jugend als aktiver Sportler Rekorde im Weit- und Hochsprung holte, übernahm 1932 den Vorsitz und übertrug die sportlichen Ideale echter Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und kraftvollen Einsatzes auf die Clubmitglieder. Der hoch angesehene Chirurg wurde so zu einem Vorbild für den sportlichen Nachwuchs. Ihm war es auch zu verdanken, daß schwierige Verwaltungsfragen nach klugem Abwägen aller Meinungen geschickt gelöst werden konnten.

So manch einer unserer Leser würde in der Chronik mit Sicherheit Namen aus dem Familien- und Bekanntenkreis wiederfinden, wie es - um nur ein Beispiel zu nennen - Friedrich Gilde erging. Er trat an mich als "Mutter der Ostpreußischen Familie" heran, weil er etwas über die sportlichen Leistungen seines Vaters Fritz Gilde wissen wollte. Ich verwies ihn an Gerhard Morgenstern, und siehe da: Er erhielt die Unterlagen über die großartigen Erfolge seines Vaters, der 1930 nicht nur deutscher Hochschulmeister im 5.000-Meter-Lauf geworden war, sondern auch unter anderem bei den Ostpreußen-Meisterschaften über 500 Meter einen neuen Ostpreußenrekord aufgestellt hatte.

Und auch ich durfte in der Chronik oft den Namen meines Bruders lesen, der im Fußball wie im Hockey und Schlagball erfolgreich gewesen war. Wie schon eingangs erwähnt, mußte ich kleine Schwester für den damaligen Studenten "Hockeytor" spielen, bis meine Mutter die blauen Flecken an meinen Beinen entdeckte. Von da an durfte er nicht mehr in unserem Korridor üben!

Und unvergessen ist jener Sonntag, an dem wir Sohn und Bruder aktiv erleben sollten. Mein Bruder wollte sein sportliches Können vor der versammelten Familie demonstrieren. Leider kam alles anders. Als wir nach langem Fußmarsch durch das brutheiße Königsberg den Sportplatz am Friedländer Tor erreicht hatten, begannen die unliebsamen Ereignisse damit, daß mein Vater während des für ihn so aufregenden Spielgeschehens mit dem hocherhobenen Regenschirm einer Dame den Hut vom Kopf fegte. Meine Schwester, nicht weniger enthemmt, stieß ihren Fuß - synchron mit dem Schuß meines Bruders - in den Rücken eines vor ihr sitzenden Herrn. Als dann noch unser Hans bewußtlos vom Platz getragen wurde - er hatte einen Treffer in den Magen bekommen - setzte ich die Tribüne tränenreich unter Wasser. Meine Schreie "Sie haben meinen Bruder totgeschossen!" konnten nur mühsam erstickt werden. Und ebenfalls nur mit Mühe wurde meine Mutter zurückgehalten, nicht auf das Feld zu ihrem Sohn zu stürzen, der gerade davongetragen wurde. Da war er aber bereits aufgewacht.

Nie wieder hat er seine Sippe aufgefordert, einem seiner Spiele beizuwohnen.

Die 1952 geschriebene ASCO-Chronik enthält auch viele heitere Erinnerungen der Mitglieder an ihre aktive Zeit. Das wohl letzte Exemplar hat mir Gerhard Morgenstern zur Verfügung gestellt, wofür ich ihm herzlich danke. Für die Chronik zeichnet Hans Schemionek verantwortlich, der letzte Vereinsleiter in der Heimat, der 1945 nach seiner Entlassung aus russischer Gefangenschaft die in alle Winde verstreuten Ascoten zusammentrommelte und mit ihnen die "Traditionsgemeinschaft Asco 02" gründete. Daß die Chronik so akribisch auch die Vorgeschichte des Asco aufzeichnet, liegt daran, daß Hans Schemioneks Ehefrau das letzte Exemplar der 1932 zum 30jährigen Jubiläum erstellten Festschrift im Rucksack gerettet hatte. Hans Schemionek verstarb 1981.

Seit April 1988 steht Gerhard Morgenstern der Traditionsgemeinschaft vor, deren Reihen sich naturgegeben gelichtet haben. Eigentlich sollte in diesem Jahr kein Treffen mehr stattfinden, aber aufgrund des 100jährigen Jubiläums ist geplant, daß sich die letzten Unverwüstlichen im September in Hannover im Hotel "Loccumer Hof" zusammenfinden. Eigentlich sollte mit dem Erreichen des hundertjährigen Bestehens der ASCO-Traditionsgemeinschaft auch die dreimal im Jahr ausgelieferte Clubzeitung "ASCO-Treue" mit Nummer 174 ihr Erscheinen einstellen, doch sollte es tatsächlich zu dem Ehemaligentreffen kommen, wird noch eine weitere "ASCO-Treue" nachgeschoben, die dann allerdings nur vier bis sechs Seiten stark sein wird und ausschließlich Fotos und den Ablauf des Treffens beinhaltet. "Aber dann", so sagt Gerhard Morgenstern mit leiser Wehmut, "sind wir leider ein auslaufendes Modell." Aber eines, das sich in die Geschichte des ostdeutschen Sports unauslöschbar eingeschrieben hat. Ruth Geede