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27.07.02 / Auschwitz: Das Zählwerk des Schreckens

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. Juli 2002


Auschwitz: Das Zählwerk des Schreckens
Stalin ließ die Zahl der Opfer des größten NS-Konzentrationslagers auf unvorstellbare vier Millionen festsetzen. Später wurde diese auf anderthalb Millionen verändert. Jetzt publizierte die Zeitschrift Osteuropa - von der Öffentlichkeit fast unbemerkt - eine neuerliche Schätzung: In dem Todeslager ist danach über eine halbe Million unschuldige Menschen ermordet worden.

Es wird häufig gemahnt, die Verfolgung und Tötung von Juden während des Zweiten Weltkrieges sei keineswegs nur eine Fußnote in der Geschichtsschreibung, sondern ein zentrales Thema. Daher sollte die Öffentlichkeit aufmerksam neue Forschungsergebnisse über den Hergang der Judenverfolgung zur Kenntnis nehmen.

Es verwundert daher, wenn neuere Forschungen über die Anzahl der in Auschwitz ermordeten Juden lediglich in einer Fachzeitschrift erscheinen, die von der Öffentlichkeit nur am Rande wahrgenommen wird, und das zumal, wenn der Wissenschaftler, der zu den neuen Erkenntnissen gelangt ist, von Berufs wegen Zugang hätte zu einer der einflußreichsten Publikumszeitschriften in Deutschland. Sie allerdings nahm bislang von den Ergebnissen seiner Forschungen keine Notiz.

Im Mai-Heft 2002 der Zeitschrift Osteuropa - Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens, die von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. (Präsidentin: Prof. Dr. Rita Süssmuth) herausgegeben wird, findet sich ein elfseitiger Beitrag von Fritjof Meyer, Leitender Redakteur der Wochenzeitschrift Der Spiegel, Hamburg, mit der Überschrift "Die Zahl der Opfer von Ausch-witz - Neue Erkenntnisse durch neue Archivfunde".

Das KZ Auschwitz, etwa 50 Kilometer westlich von Krakau gelegen, ist zu einem Symbol für die systematische Vernichtung der Juden geworden. Am 27. Januar 1945 eroberte die Rote Armee das Gebiet von Auschwitz und besetzte das KZ. Am 1. März des selben Jahres wurde in der Sowjetunion amtlich verlautbart, in diesem Lager seien von den Deutschen fünf Millionen Menschen vernichtet worden. Zwei Monate später revidierte das Zentralorgan der KPdSU, die Prawda, die Zahl. Nunmehr belief sie sich auf vier Millionen. Im Nürnberger Prozeß spielten drei Millionen in Auschwitz Getötete eine wichtige Rolle. Vor der Gedenkstätte des KZ Auschwitz konnte man auf einem Gedenkstein lesen, in diesem Lager seien vier Millionen Juden ermordet worden.

Die Inschrift wurde jedoch im April 1990 entfernt. Von da an ging man von der offiziellen Zahl von über 1,5 Millionen Ermordeten in Auschwitz aus. So ist es dort heute noch auf Gedenksteinen zu lesen (Foto oben).

Der in weiten Kreisen angesehene französische Erforscher der Judenverfolgung, Jean Claude Pressac, geht in seinem 1994 in München erschienenen Buch "Die Krematorien von Auschwitz" von 631.000 bis 711.000 in Auschwitz getöteten Juden aus.

Der Spiegel-Redakteur Fritjof Meyer nun schreibt in seinem Aufsatz in der Zeitschrift Osteuropa, die von den Sowjets behauptete Zahl von vier Millionen Opfern sei "ein Produkt der Kriegspropaganda" gewesen. Bislang habe man nur schätzen können, wie viele Menschen dem singulären Massenmord zum Opfer gefallen seien. Jetzt aber gebe es zwei neue Belege über die Zahl der Toten, die offenbar eine genaue Ermittlung ermöglichen. Meyer geht aus von einem soeben in den USA erschienenen Buch "The Case for Auschwitz - Evidence from the Irving Trial" von dem Gutachter im sogenannten "Irving-Prozeß" in London, Prof. Robert-Jan van Pelt.

Pelt sagte in London im Auftrag der von Irving beklagten Deborah Lipstadt gegen David Irving aus und hat in seinem Buch ausführlich dargestellt, wie er zu den Ergebnissen der vor Gericht abgegebenen Expertise gelangt ist.

Meyer faßt die neuen Fakten zusammen: Es habe in dem Lager zunächst zwei Krematorien gegeben, zu denen jeweils eine Leichenkammer gehörte. Im November 1942 wurden 50 bis 80 Gefangene in einer der Leichenkammern im Stammlager streng geheim mit Gas getötet. Der damalige Kommandant Höß habe einem kleinen Kreis am nächsten Tag eröffnet, diese Vergasung sei auf einen Geheimbefehl Himmlers hin erfolgt, der angeordnet habe, "alle schwachen, kranken oder arbeitsunfähigen jüdischen Gefangenen zu vergasen, um einer weiteren Ausbreitung der Epidemien vorzubeugen." Meyer geht nicht näher auf diese Epidemien ein. Die Versuchs-Vergasung habe ergeben, "daß die improvisierte Gaskammer überhaupt nicht den Notwendigkeiten entspreche". Höß habe weiter verlautbart, daß es sich um eine Geheime Reichssache handele; Indiskretionen würden mit dem Tode bestraft.

Tatsächlich sei in größerem Umfang vergast worden in zwei außerhalb des Lagers gelegenen ehemaligen, jetzt umgebauten Bauernhäusern, dem "Bunker I" und dem "Bunker II". Sie hätten zusammen ein Fassungsvermögen von etwa 900 Menschen.

"Bunker I" war vom Frühjahr 1942 an ein Jahr lang in Betrieb, "Bunker II" von Dezember 1942 bis Oktober 1944. Erst kürzlich habe man die Fundamente von "Bunker I" wieder entdeckt.

Fritjof Meyer setzt das Fassungsvermögen dieser Vergasungsbunker in Bezug zu der Größe der im Frühsommer 1943 neu erbauten Krematorien. Hier soll die makabre Rechnung über das Fassungsvermögen der Krematorienkammern nicht ausgebreitet werden; Näheres ist darüber im Heft 5/2002 der Zeitschrift Osteuropa nachzulesen.

Es stellte sich laut Meyer heraus, daß die Krematorien immer wieder ausfielen und gelegentlich wochenlang, ja monatelang nicht benutzt werden konnten. Darüber lägen genaue Berichte vor. Auch wenn man die Krematorien weitaus mehr belastet hatte als vorgesehen, kommt Meyer beim Vergleich zwischen der Kapazität der Gaskammern mit der der Krematorien zu dem Schluß, daß alles in allem rund 483.000 Leichen in Auschwitz verbrannt worden seien, von ihnen vermutlich 356.000 im Gas Ermordete. Diese Erkenntnisse stehen auch in Übereinstimmung mit der Anzahl der in diesem Zeitraum in Auschwitz eingetroffenen Transporte mit Juden aus mehreren europäischen Staaten, deren Zahlen wesentlich niedriger gelegen hätten als bisher angenommen. Fritjof Meyer resümiert: "Damit rückt die Dimension des Zivilisationsbruchs endlich in den Bereich des Vorstellbaren und wird so erst zum überzeugenden Menetekel für die Nachgeborenen." Vergleicht man die Entwicklung der veröffentlichten Opferzahlen, dann ist man nach Meyer, der eine Gesamtzahl von 510.000 schätzt, nunmehr bei knapp 13 Prozent jener angelangt, die zunächst offiziell verlautbart wurden. Von dem Spiegel-Redakteur ist auch zu erfahren: "Bis 1989 galt in Osteuropa ein Verbot, die Zahl von vier Millionen Getöteten anzuzweifeln; in der Gedenkstätte von Auschwitz drohte man Angestellten, die an der Richtigkeit der Schätzungen zweifelten, mit Disziplinarverfahren."

Fritjof Meyer geht ein auf die Aussage des ehemaligen KZ-Kommandanten Höß, der, von britischen Truppen gefangen genommen, eigenhändig das Geständnis niedergeschrieben hatte: "In Auschwitz selbst sind meiner Schätzung nach circa 3.000.000 Menschen ums Leben gekommen. Schätzungsweise nehme ich an, daß davon 2.500.000 vergast worden sind." Diese Aussage sei, so Meyer, wie man jetzt weiß, durch Folter zustande gekommen. Der erste Vernehmer, der britische Sergeant Bernard Clarke, der zur britischen Gegenspionage gehörte, hatte Höß Holzstückchen unter die Augenlider geschoben. "Wir hatten ihm eine Fackel in den Mund gerammt", rühmte er sich. "Die Schläge und das Geschrei waren endlos." Immer wieder krachte Clarkes Faust in das Gesicht des nackten Gefangenen. Höß wurde zwangsweise unter Alkohol gesetzt und tagelang mit Gewalt am Schlaf gehindert, bis er das gewünschte Geständnis - mit manchen orthographischen Fehlern - niederschrieb.

Meyer kritisiert, daß die Geschichtsforschung bislang "Auschwitz als Forschungsobjekt nicht akzeptiert hat", was zwar einsehbar, aber unzulässig sei. Er läßt durchblicken, daß er es für angebracht hält, wenn sich die offizielle Geschichtsforschung auch mit den Ergebnissen zumindest von ernstzunehmenden "Revisionisten" befaßt, die bisher "als Denkanstoß oder gar als Herausforderung ignoriert" worden seien.

 

Fritjof Meyer kritisiert, daß man "Auschwitz als Forschungsobjekt nicht akzepiert" habe: Am 26. Januar 1995 legte der damalige Bundespräsident Roman Herzog einen Kranz nieder am Mahnmal des KZ Auschwitz II Birkenau. Tags darauf jährte sich die Befreiung des Lagers zum 50. Male.