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27.07.02 / Sprache macht Politik: Die Identität der Mitte

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. Juli 2002


Sprache macht Politik: Die Identität der Mitte
Begriffe aus dem Kalten Krieg verzerren die Wahrnehmung
von Martin Schmidt

Man stelle sich folgende kleine Unterhaltung zweier Bundesbürger vor: "Diesen Sommer reise ich für zwei Wochen nach Ungarn an den Balaton (Plattensee; Anm. d. Verf.).". Darauf der andere: "Toll, ich war auch schon mal in Osteuropa: in Prag!"

Solche Gespräche gibt es in unserem Lande noch millionenfach. Selbst über ein Jahrzehnt nach dem Untergang des Sowjetimperiums prägen begriffliche Überbleibsel aus der Ära der Teilung Europas in zwei verfeindete Blöcke das Bewußtsein der Menschen.

Hierzu gehört die starre Scheidung in "Westeuropa" und "Osteuropa", wobei das letztere - die mitteldeutschen neuen Bundesländer ausgenommen - gleich jenseits des einstigen Eisernen Vorhangs beginnt.

Diese Sprachregelung zeichnet sich nicht nur durch historisches Unwissen aus, sie ist zudem stark ideologiebehaftet. Denn aus hiesiger Sicht verbinden sich mit "Westeuropa" bzw. allgemeiner gesprochen mit "dem Westen" die Heilsversprechen unserer Zeit: Demokratie, Wohlstand und individuelle Selbstverwirklichung. Bei "Osteuropa" kommt einem hingegen Unfreiheit und Rückständigkeit in den Sinn.

Nicht nur in der deutschen Bevölkerung ist diese Klassifizierung gängig. Für die Tschechen, Ungarn, Polen oder Letten ist sie ein Grund, sich über die Einstufung als "Osteuropäer" zu empören. Aber beileibe nicht der wichtigste. Denn schon die dortige Mitteleuropa-Debatte der 80er Jahren hatte gezeigt, wie lebendig trotz Sowjetherrschaft das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu diesem geographisch-kulturgeschichtlichen Raum geblieben ist.

Daß sich die Bundesdeutschen mit dem Begriff Mitteleuropa und seinen Varianten (Ostmitteleuropa, Mittelosteuropa) nach wie vor schwertun, hängt nicht nur damit zusammen, daß unser Land an Geschichtslosigkeit krankt.

Angebliche und tatsächliche Belastungen der "Mitteleuropa-Idee" werden ins Feld geführt, um diese weiterhin tabuisieren zu können. Denn maßgebliche linke Ideologen wissen, daß um eine Grunderkenntnis schwerlich herumzukommen ist: Mitteleuropa ist undenkbar ohne die Vergegenwärtigung der enormen kulturellen und politischen Prägekraft des Deutschen Reiches und der von Wien aus gelenkten Habsburgermonarchie.

Alle Versuche, es unter Ausschluß der Deutschen zu definieren, sind auf Sand gebaut. Um das einzusehen, braucht man nicht Friedrich Naumann gelesen zu haben. Ein Grundkurs in neuerer Geschichte sollte reichen.

Besonders deutlich zeigen sich die engen Verbindungen zwischen Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei, dem Baltikum, Ungarn, Rumänien und der serbischen Wojwodina bei den heute im Vordergrund stehenden kulturellen Bestimmungen von Mitteleuropa. Sie werden aber auch, trotz der relativen Schwäche des gegenwärtigen deutschen Staates, auf politisch-wirtschaftlichem Gebiet stärker ins Blickfeld geraten.

Doch das braucht noch einige Zeit. Einstweilen bleibt festzustellen, daß sich auch hierzulande alle Versuche des Totalausstiegs aus Mitteleuropa, sprich: aus der besonderen Geschichte unseres Raumes, als Utopie erwiesen haben. Die Wünsche der Ostmitteleuropäer, nicht mehr quasi als Vorhof Rußlands eingestuft zu werden, machen sich bemerkbar.

So lief zum Beispiel in diesem Sommersemester an der kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in der Frankfurter Vorstadt (Slubice) ein Kolloquium unter dem Titel "Europas Mitte - Mitteleuropa - europäische Identität?"

Die Viadrina hat damit ihre Vorreiterrolle im Nachdenken über Mitteleuropa unterstrichen. Nicht von ungefähr bietet sie am Collegium Polonicum einen Masterstudiengang "Vergleichende Mitteleuropastudien" an.

Markus Eberharter (Frankfurt/Oder) rerferierte im Rahmen des genannten Kolloquiums über "Die Mitteleuropa-Idee und ihre heutige Aktualität", die Viadrina-Präsidentin Gesine Schwan über "Erfahrungen mit Dissidenten und Intellektuellen Mitteleuropas" und Maciej Drynda (Posen) über "Der Habsburgische Mythos - die Gedankenwelt eines verlorenen mitteleuropäischen Arkadiens?"

Den Höhepunkt und Schluß der Reihe bildete am 10. Juli im westlich der Oder gelegenen Teil von Frankfurt ein Podiumsgespräch mit deutschen, polnischen und tschechischen Diskutanten über "Die Identität der Mitte - Gedächtnislandschaft Mitteleuropa".

Schon die Vorabinformationen für die Presse hatten es in sich. Man stößt darin auf eine Analyse heutiger mitteleuropäischer Befindlichkeiten, die an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrigläßt: "Während sich die mittelosteuropäischen Nachbarn Deutschlands den Fragen nach der gemeinsamen Geschichte und Identität innerhalb des Kulturraumes Mitteleuropa seit längerer Zeit intensiv widmen, bleibt die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Bundesrepublik seltsam verhalten.

Dieses Defizit resultiert letztlich aus einer eklatanten Unkenntnis der Kultur und Geschichte in Mitteleuropa, die gleichwohl zu einem wesentlichen Anteil auch durch Deutsche gestaltet wurde, bei der jüngeren Generation.

Nicht zuletzt spiegelt sich darin die in der letzten Jahrhunderthälfte - freilich aus unterschiedlichen Gründen - erfolgte Tabuisierung des Raumes in beiden deutschen Staaten und ein letztlich unangebrachtes Bemühen um ‚political correctness'."

Begrifflich in ähnliche Richtung zielt die diesjährige Internationale Sommeruniversität der hessischen Hochschulen in Marburg. Deren inhaltliche Gestaltung geht wesentlich auf das vor Ort ansässige Herder-Institut zurück.

Seit dem 16. Juli beschäftigen sich in Marburg über hundert Teilnehmer aus aller Welt mit einem Programm unter der Überschrift "Europas neue Mitte: Ost und West als Partner". Deutsche Wissenschaftler offenbaren dazu noch bis zum 9. August zusammen mit Dozenten der Partneruniversitäten Prag, Warschau, Marburg an der Drau, Fünfkirchen und Hermannstadt ihre Gedanken.

Eine konzeptionelle Schwäche ist allerdings die durchaus typische Entscheidung für die Konferenzsprachen Deutsch und Englisch. Angesichts des Titels der Sommeruniversität sowie der Herkunftsgebiete der ausländischen Referenten (und sicherlich auch der Masse der Teilnehmer) hätte eine Beschränkung aufs Deutsche nahegelegen.

Damit würden die Veranstalter wenigstens für den mitteleuropäischen Raum Akzente setzen. Denn im Wissen um den Verlust der einstigen Weltgeltung unserer Sprache besteht hier durchaus (noch) die Möglichkeit, für das Deutsche den Rang einer wichtigen Verständigungssprache zu erhalten.

Nur muß man dies selber wollen und anderen Entwicklungen mit entsprechendem Nachdruck entgegenwirken. Dazu bedarf es der Erkenntnis, daß - ebenso wie bei der Begriffsbestimmung von "Mitteleuropa" - Sprache Politik macht und umgekehrt.