20.04.2024

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03.08.02 / Was Mutter erzählte

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. August 2002


Was Mutter erzählte
von Annemarie Meier-Behrendt

Lebhaft war es zugegangen am Nachmittag bei der jungen Familie. Die drei Kinder hatten mir vieles zeigen und vorführen wollen, ich hatte bewundern und staunen müssen, was mir da alles von der Mattscheibe und aus dem Recorder entgegen flimmerte, piepste, gongte, klingelte, quietschte, knatterte, krähte und was der Geräusche noch mehr waren. Ich habe gestaunt, und ich wunderte mich noch immer, als ich schon längst das Kinderzimmer verlassen hatte und auf dem Heimweg war, was es alles gab an technischen Geräten und Spielzeugen zur Unterhaltung und zum Vergnügen der Kinder. Ich überlegte, versuchte mich zu erinnern, wie war es in meiner Kinderzeit, womit spielte ich, was sah und hörte ich?

An Fernsehen war noch lange nicht zu denken, es gab ein Radio. Die Eltern hörten wohl die Nachrichten und auch Musik, aber ich achtete nicht darauf, nahm es jedenfalls nicht wirklich wahr. Kinderstunde im Rundfunk mit Märchentante oder Märchenonkel? Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich aber gerne der Stunden, in denen meine Mutter mich auf dem Schoß hielt - im Winter zur Zeit der Dämmerung mit dem Rücken an den warmen Kachelofen gelehnt, in dessen Röhre oftmals Bratäpfel schmurgelten und einen süßen Duft verbreiteten, im Sommer am Fenster sitzend mit dem Blick in den Garten, dem abendlichen Vogelgezwitscher lauschend. Sie las mir vor oder erzählte Märchen und Geschichten von Goldmarie und Pechmarie, von Schneewittchen und den Zwergen, von Rotkäppchen und dem bösen Wolf, mit dem ich nie mitgehen solle. Eine Erzählung gab es, die von einem Pfannkuchen handelte, der nicht gegessen werden wollte und "kantappa, kantappa" Reißaus nahm und in den Wald lief. Das Wort "kantappa" gefiel mir überaus gut, er mußte mehrmals wiederholt werden, wobei ich mir den dicken Pfannkuchen mit langen dünnen Beinen und großen Füßen vorstellte, wie er einen staubigen Weg durch Felder und Wiesen lief und in den dunklen Tannenwald hineinrannte, um sich dort zu verstecken. Ob ihm die Flucht gelang oder er doch von einem hungrigen Hasen oder Fuchs gefressen wurde, blieb immer offen.

Auch Lieder sang mir die Mutter vor vom Mariechen, das weinend im Garten saß, vom müde heimkehrenden Wandersmann, von der holden Gärtnersfrau, von dem vom rauschenden Wasser bewegten Mühlenrad. Zu dem Repertoire des abendlichen Schlafengehens gehörte "Weißt du wieviel Sternlein stehen ..."

So fügt sich Erinnerung an Erinnerung, so daß ich im Nachsinnen darauf verzichte, Nachrichten und Kommentare des Tages zu verfolgen, die doch auch am nächsten Tag in der Zeitung nachzulesen sein werden, statt dessen beschäftige ich mich mit einem Band Grimmscher Märchen, die zwar auch nicht immer von friedlichen und unblutigem Geschehen handeln, aber - das sind eben doch Märchen ...