25.04.2024

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17.08.02 / Im Gespräch: Jürgen Hösl

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. August 2002


Im Gespräch: Jürgen Hösl
Vorwärts, es geht zurück
Die Schlesische Jugend beschreitet neue Wege heimatpolitischen Engagements

Herr Hösl, wie ist Ihr Interesse für Schlesien entstanden? Haben Sie dort familiäre Wurzeln?

Hösl: Nein, ich bin ein Bekenntnis-Schlesier. Geschichte war schon zu Schulzeiten mein Lieblingsfach, in dem ich mich auch in der Freizeit weiterbildete. So wurde ich auf das einmalige Unrecht aufmerksam, das den Deutschen in den Ostgebieten zugefügt wurde. Wenn man sich umfassend für Deutschland, seine Kultur und Geschichte interessiert, dann gehören Schlesien, Ostpreußen oder Pommern einfach dazu. Einmal neugierig geworden, wollte ich von Zeitzeugen mehr erfahren. Zu diesem Zweck besuchte ich Mitte der 90er Jahre in meiner Heimatstadt Nürnberg erstmals ein Deutschlandtreffen der Schlesier. Dort bekam ich fast zwangsläufig Kontakt zur Schlesischen Jugend und besuchte von da ab regelmäßig Veranstaltungen der Schlesier.

... und sind nach wenigen Jahren bereits Bundesvorsitzender.

Hösl: Ja, seit Ende 2000 amtiere ich als "Mädchen für alles" - auch Bundesvorsitzender genannt.

Wie groß ist die Schlesische Jugend (SJ) heute noch?

Hösl: Unser jüngstes Mitglied ist drei Monate und das älteste 96 Jahre alt. Wir haben keine starren Begrenzungen, die hinderlich für den Austausch zwischen den Generationen wären. Über den Daumen gepeilt sind es insgesamt 9000 Personen, die sich uns durch Mitgliedsbeiträge und Spenden verbunden fühlen. Der aktive Teil ist natürlich wesentlich kleiner. Ein Viertel unserer Mitglieder kommt aus Oberschlesien und hat bis heute familiäre Verbindungen dorthin. Etwa 300 wohnen noch in Schlesien.

Gibt es regionale Schwerpunkte im Bundesgebiet?

Hösl: Ein deutlicher Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in Nordrhein-Westfalen. Da gibt es über 26 Gruppen, unter ihnen die bundesweit stärkste in Düsseldorf mit mehr als 240 Mitgliedern, drei Kindergruppen und einem eigenen Spielmannszug. Eine Kindergruppe mit dem Namen "Silesia" tritt in der Karnevalszeit regelmäßig als Funkenmariechen auf.

Sie persönlich sind entscheidend daran beteiligt, daß die Schlesische Jugend seit Anfang dieses Jahres ein Haus in Görlitz als ständiges Domizil nutzt. Erzählen Sie bitte etwas über dessen Geschichte und Hintergründe!

Hösl: Bis wir unser Heim in der Görlitzer Altstadt (Krischelstr. 4) am 27. April einweihen konnten, lag ein schwerer Weg hinter uns, den wir nur mit einer Menge Idealismus bewältigen konnten.

Ende 2000 rief der neue Vorstand der Schlesischen Jugend das Projekt "Vorwärts, wir müssen zurück" ins Leben. Früher, als es den Eisernen Vorhang und die DDR noch gegeben hatte, da war ein Zurück nach Schlesien für die Landsmannschaft Schlesien und für deren Jugendorganisation undenkbar. Damals bot sich die Regierungsstadt Bonn als Platz für unsere Geschäftsstelle an. Die eigenen politischen Interessen konnten dort vor Ort an die Politiker herangetragen werden - leider meist erfolglos.

Seit der Wende und der Rückkehr der deutschen Regierung nach Berlin stellt sich die Situation ganz anders dar: Das Machtzentrum hatte sich wieder nach Osten verschoben, und ein kleiner Teil Schlesiens um Görlitz herum ist frei zugänglich. Für die Überquerung der Oder-Neiße-Unrechtsgrenze reichen heute ein Reisepaß und die grüne Versicherungskarte fürs Auto. Um als Heimat- und Interessenvertretung künftig noch eine Rolle spielen zu können, müssen wir am Ort des Geschehens - also in Schlesien - mehr Präsenz zeigen. Leider ist das in der Landsmannschaft zu wenigen bewußt. Jenseits dieser grundsätzlichen Erwägungen beschleunigten die hohen Mieten in Bonn sowie ein massiver Einbruch bei den Spenden das Vorhaben eines Umzugs in heimatliche Gefilde.

Warum gerade nach Görlitz?

Hösl: Görlitz bot sich an, weil es die größte Stadt im niederschlesischen Zipfel diesseits der Neiße ist und obendrein ein Architekturjuwel mit vergleichsweise lächerlichen Immobilienpreisen.

Welche Rolle kann Görlitz für die heimatbezogene Tätigkeit vertriebener Schlesier und anderer schlesieninteressierter Vereinigungen spielen?

Hösl: Für viele Landsleute ist eine Rückkehr in die Heimat undenkbar, da sie sich in einer heute mehrheitlich polnischen Umgebung nicht wohl fühlen würden. Man darf nicht vergessen, daß eine große Zahl von ihnen noch immer durch Erinnerungen an das schreckliche Vertreibungsgeschehen verfolgt wird. Um aber trotzdem im Alter der Heimat näher sein zu können, ziehen manche Rentner nach Görlitz. Die Grenzstadt ist nun mal ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge ins niederschlesische Kernland und nach Oberschlesien. Bei meinen Mitstreitern und mir ist es so, daß wir schon nach gut einem halben Jahr in Schlesien merken, wie die Arbeit nun einen unmittelbareren Sinn bekommt und notwendiger denn je erscheint.

Was tut die SJ im Hauptteil Schlesiens jenseits der Neiße?

Hösl: Einen wichtigen Teil unserer Aktivitäten nimmt die Gräber- und Denkmalpflege auf den zerstörten Friedhöfen in Anspruch. Dabei haben wir immer auch Gespräche mit Polen aller Altersgruppen. Etliche helfen uns beim Instandsetzen oder zeigen uns weitere verfallene Objekte in der Umgebung.

Eine Art Initialzündung waren die Erfahrungen mit dem Friedhof in Gröditzberg bei Goldberg. Bis 1997 erschien dieser noch verhältnismäßig ordentlich zu sein. Dennoch wurde die Anlage etwa drei Jahre später im Zuge der Renovierung der Kirche eingeebnet.

Nachdem wir mitbekommen hatten, daß sogar in die Friedhofsmauer eingelassene Grabtafeln mit viel Aufwand entfernt werden sollten, organisierten wir schleunigst einen Arbeitseinsatz. Als die örtlichen Polen sahen, daß es noch Deutsche gibt, die sich für die Gräber interessieren, wurden die Abrißarbeiten eingestellt.

Zwei alte Leute, die kein Wort Deutsch sprachen, gesellten sich zu uns und halfen mit, einige Steine abzubürsten, Schriftzüge nachzuziehen und die Steine mit Konservierungsmitteln einzulassen.

Seit dieser Renovierung, die ganze 250 Euro und ein bißchen Zeit gekostet hat, sind die Gräber in Gröditzberg von der polnischen Gemeinde in das Pflegeprogramm aufgenommen worden und präsentieren sich stets schön bepflanzt. Das zeigt auch, daß die Welle von Einebnungen deutscher Friedhöfe nichts mit Deutschenhaß zu tun hat, sondern aus optischen Gründen erfolgt.

Welche aktuellen Vorhaben gibt es?

Hösl: Dieses Jahr steht noch die Bergung von sechs ermordeten Wehrmachtsangehörigen an, die man in der Nähe eines Bauernhofs verscharrte. Die genaue Stelle haben uns heutige Bewohner gezeigt. Auch die Hebung eines deutschen Jagdflugzeugs aus einem See, eventuell samt der Überreste des Piloten, ist ins Auge gefaßt. Parallel bemühen wir uns darum, jenseits der Neiße eine schöne Burg als ständiges Quartier für unsere Fahrtengruppen zu pachten.

Wie stellt sich aus Ihrer Erfahrung die momentane Lage in Schlesien und insbesondere die Stimmung unter den verbliebenen Oberschlesiern dar?

Hösl: Die bekannten Streichungen von Hilfsmitteln durch die rot-grüne Bundesregierung und das fast völlige Fehlen der mittleren Generation lassen die Zukunft für die deutschen Oberschlesier nicht unbedingt rosig erscheinen. Um so mehr müssen wir ideell und materiell für die Landsleute einspringen.

Wie sieht das im einzelnen aus?

Hösl: In der Praxis heißt das, daß wir zum Beispiel Ortsgruppen der Deutschen Freundschaftskreise (DFKs) nach Görlitz einladen oder Kindergruppen auf unseren Ferienfreizeiten zu Gast haben.

Wer in den letzten Monaten die deutsche Presse verfolgt hat, konnte feststellen, daß das Thema Vertreibung eine bis dahin kaum dagewesene Beachtung erfuhr. Können Sie sich vorstellen, daß eine größere Zahl junger Deutscher die ostdeutschen Kapitel unserer Nationalgeschichte wiederentdeckt, selbst wenn bald die letzten Angehörigen der Erlebnisgeneration verstorben sind?

Hösl: Ob es sich bei dem jetzigen Pressewirbel um die Vertreibung um mehr als eine publizistische Eintagsfliege handelt, muß sich erst noch zeigen. Erfreulich ist immerhin, daß wir in letzter Zeit eine deutlich gestiegene Zahl von Anfragen durch Kinder und Jugendliche aus Vertriebenenfamilien haben.

Mittelfristig werden Schlesien und die anderen ostdeutschen Gebiete aber nicht zuletzt infolge der EU-Osterweiterung wieder stärker in den bundesdeutschen Gesichtskreis treten. Vielleicht gibt es dann auch deutlich mehr Bekenntnis-Schlesier wie mich.

Mein Sohn Rudolf ist jedenfalls schon in Schlesien geboren. Als meine Frau und ich wieder mal im Osten unterwegs waren, erblickte er im Mai 2001 in Görlitz vorzeitig das Licht der Welt.

Welche Gedanken kommen Ihnen außerdem zur EU-Erweiterung?

Hösl: Jährlich mache ich ungefähr 80 Fahrten in den Osten. Meine aus den eigenen Erfahrungen gewonnene wirtschaftliche Lagebeurteilung dürfte vielen nicht gefallen: Ich bin nämlich überzeugt, daß die Erweiterung das wacklige Kartenhaus der EU zu Fall bringt.

Was erhoffen Sie für die Zukunft?

Hösl: "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland..."

Das Interview führte Martin Schmidt.

Zur Person: Jürgen Hösl wurde 1978 in Nürnberg geboren. Nach der mittleren Reife absolvierte er eine Lehre als Stukkateur im Denkmalschutz und arbeitet heute als Angestellter in einem Verlag in Nürnberg. Von dort pendelt er regelmäßig nach Görlitz.