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24.08.02 / Wege aus der Krise: Bevor die Gier sich selbst frißt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. August 2002


Wege aus der Krise: Bevor die Gier sich selbst frißt
Korruption, Betrug und die Raffsucht von Managern: Die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler fordert eine neue Firmenkultur am Ende des großen Booms
von Jürgen Liminski

Die bekannte Literatur- wissenschaftlerin, Wirtschaftsfachfrau und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler hält die Forderungen aus der Politik, insbesondere der SPD, strengere Maßstäbe an die Arbeit von Managern anzulegen, für teilweise berechtigt - aber auch für Wahlkampftöne. Wenn Bun-deskanzler Schröder die Manager zu mehr sozialer Verantwortung aufrufe und bei der wirtschaftlichen Elite eine neue Moral und eine neue Ethik einfordere, dann sei das "ein kleiner Linksruck in seinem Wahlkampf".

Schröder meine mit sozial offensichtlich nicht nur, "daß leistungsgerecht bewertet werden soll, das jedem das Seine, wie Aristoteles das so schön als Leistungsprinzip genannt hat, gegeben werden soll, sondern er befriedigt auch die linke Klientel, die er in den Jahren seiner Regierungszeit nicht verwöhnt hat".

Deshalb sei nicht ganz klar, was der Kanzler wirklich meine, wenn er eine neue Ethik für Manager für notwendig halte. Im Gespräch mit dem Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung führt die praxiserfahrene Wissenschaftlerin aus: "Daß wir an der Ethik des Busineß arbeiten müssen, rufen wir uns seit 20 Jahren gegenseitig zu. Wir haben dabei den Fehler begangen, Busineß und Ethik als getrennte Welten zu sehen. Überall, wo Menschen handeln, gehört beides zusammen. Die Leistung muß stimmen, die Sachkompetenz muß stimmen, und gleichzeitig muß Gerechtigkeit herrschen, das heißt, es muß jedem möglich sein, sein Bestes abzuliefern und dafür entsprechend entlohnt zu werden."

Das höre sich nach hehren Forderungen an, sei aber im Gegensatz zu manchen politischen Forderungen we- nigstens ehrlich. Sicher regten sich die Leute über die überzogenen Abfindungssummen für manche Manager auf, aber wenn zum Beispiel der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement fordere, daß Manager für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten auch mit ihren persönlichen Vermögen haften müßten, seien das doch auch po- pulistische Reden, sozusagen Wahlkampfparolen zur Erregung des öffentlichen Neidkomplexes. Denn viele Manager und Aufsichtsräte hafteten bereits mit ihrem Privatvermögen. Sie selber habe in den drei großen Konzernen, in denen sie in Verwaltungsräten sitze, Klauseln unterschrieben, die "mir den Schlaf rauben können. Da gibt es sehr große Verpflichtungen auf die Überwachung dessen, was die Unternehmen machen". Die andere, ebenfalls richtige Seite sei indes, daß "die großen Abfindungen, über die wir staunen, auch noch mit dem Boom zu tun haben. Da handelt es sich um Aktien und Aktienoptionen, die sich versechzigfacht haben". Dahinter stehe auch ein großer Unternehmenserfolg, für den man die entsprechende Belohnung erhalte. Die Gesellschaft rege sich nicht auf, wenn Rennfahrer riesige Summen bekämen, "sie regt sich nicht auf, wenn das bei Popstars, Filmstars und Fußballspielern so ist, aber sie mag es gar nicht, wenn das bei Spitzenmanagern so ist".

Das liege auch daran, weil die genannten Idole den Menschen tatsächlich etwas lieferten, für das sie auch Dankbarkeit empfänden. Die Menschen glauben, "sie verstehen besser, was da geschieht. Und hier muß man ansetzen. Wenn es Spitzenmanagern nicht mehr gelingt, daß sie ihre Leistungen der Öffentlichkeit so erklären, daß die Öffentlichkeit die Anstrengung erkennt und die Erfolge sieht und würdigen kann, dann werden sie bestraft durch Mißachtung, durch Geringschätzung, und das ist das, was gegenwärtig auch geschieht".

Vor fast 40 Jahren schrieb der amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith seinen Weltbestseller über die Überflußgesellschaft, erschienen übrigens auch auf deutsch. In ihm analysiert er die Antriebskräfte der modernen Wirtschaft. Die wichtigsten Kapitel behandeln die Begriffe Motivation und Identifikation. Das seien die tragenden Säulen jedes Unternehmens. Das sind aber auch Begriffe des menschlichen Verhaltens. Die Wirtschafts- und Unternehmensexpertin, die die menschliche Komödie nicht nur aus der Literaturwissenschaft kennt und für ihr publizistisches Wirken auch manchen Preis erhalten hat, plädiert in ihren Schriften selbst auch für ein deutlich menschlicheres Format der Unternehmen und Betriebe. Sind uns solche Kriterien in der Euphorie der New Economy oder in der Übergangsgesellschaft verlorengegangen? Hat die Maximierung des Profits das Menschliche überrollt? Sei die ethische Schwindsucht nur auf Einzelfälle, auf einige schwarze Schafe unter den Managern, begrenzt? Auf solche, eher die menschlichen denn die fachlichen Qualitäten von Unternehmenslenkern betreffende Fragen hat sie bündige Antworten. Es gebe die "globale Gier". Das dürfe man gewiß nicht verallgemeinern.

Dennoch sei nicht zu bestreiten, daß Bilanzfälschungen, Betrugsaffären, Raffgier bei der Erhöhung der eigenen Vorstandsbezüge, Anklage gegen einstmalige Wunderkinder des Neuen Marktes heute fast täglich die Zeitungsspalten füllten. Das Vertrauen in die Manager sei insgesamt geschwunden. Korruption sei ein reales Thema. Aber das sei in "allen Übergangszeiten so. Und wir dürfen eins nicht vergessen: Was wir erleben, ist ja der Abschied von einem großen Boom, und viele von denen, die im Boom die großen Stars und Helden im Management waren, wollten ihren Absturz verzögern, das heißt mal eben noch dafür sorgen, daß sie im Glanz der untergehenden Boom-Sonne noch genauso gut dastanden wie Jahre vorher. Die Versuchung ist riesengroß, und kaum jemand kann sich dagegen wehren". Das sei natürlich nicht als Entschuldigung zu verstehen. Es gebe in der Tat eine Art "globale Gier". Das sei ein neues "weltweites Phänomen. Die Maximierung des Profits droht das Menschliche zu überrollen, der Kapitalismus vergaloppiert sich. Die Vorstellung, man könnte gigantische Reiche beherrschen, wie sie ja in früheren Jahrhunderten durch militärische Eroberung geschaffen wurden, ist in vielen Köpfen da. Und der Ego-Trip vieler Spitzenleute blendet diese Manager tatsächlich dafür, daß sie eigentlich eine besonders große Verantwortung tragen".

Die Verluste in unserem bewährten Wertesystem seien evident, und "wir sollten eine ganz große Anstrengung unternehmen, um die Verantwortung wieder wahrzunehmen, die alle Führenden haben, sonst wird die Zukunft keine Überflußzeit, sondern die Mängel, die wir jetzt schon in den Sozial- und Gesundheitssystemen sehen, werden uns zu schaffen machen".

Aber trotz des weltweiten Phänomens der globalen Gier sollte man "hier nicht verallgemeinern. Ich bin immer wieder in den Unternehmen, in denen ich zum Beispiel in Verwaltungsräten mitwirke, überrascht von der durchgehenden Anstrengungsbereitschaft der Manager, ihrer Ver- antwortung in zweierlei Weise gerecht zu werden: Einmal ökonomisch, sie müssen im Unternehmen Erfolg haben; und zum anderen gegenüber den Mitarbeitern und gegenüber der Öffentlichkeit". Daran müsse man sich unbedingt immer wieder erinnern.

Was wir "als schwarze Schafe im Vordergrund sehen, ist sozusagen eine Klientel, die eine Minderheit ausmacht. Und es kommt noch etwas hinzu: Bei einigen von diesen gegenwärtig verprügelten Managern sollten wir mal abwarten, bis die Prozesse, die da angezettelt werden, entweder gar nicht eröffnet werden oder anders zu Ende gehen, als die Allgemeinheit vermutet".

Die Unternehmensberaterin räumt ein, daß das ethisch anfechtbare Verhalten von Managern und auch mancher Politiker und auch von Journalisten die Frucht des Relativismus oder der Beliebigkeit sein kann. Man brauche wohl eine Debatte über einen Grundkonsens. Aber die Werte könnten "nicht deshalb zurückgewonnen werden, weil wir darüber debattieren, sondern das Debattieren ist immer schon ein Krisenzeichen. Wir müßten eine Führung haben - das gilt für die politische Führung und für die Führung in den Lerninstitutionen, aber auch in den Elternhäusern -, die Werte vorlebt, die überzeugen". Man könne "auch erfolgreich sein, wenn man mit Werten lebt".

Als erfolgversprechende Werte nennt Höhler "zum Beispiel Versprechen halten, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Aufrichtigkeit. Wer darüber nur schwafelt, wird kaum jemanden überzeugen, aber wer so lebt, überzeugt. Und das ist in der Führungskultur von heute sehr zurückgetreten, weil diese gehetzte Profitorientierung dem Mitarbeiter einen solchen Streß bereitet, daß er nur noch sieht, daß der Chef irgendwo heimlich Vorteile holt, an die der Mitarbeiter nie rankommen wird, und schon ist die Gruppe gespalten, und wir haben Mißtrauenskulturen statt Vertrauenskulturen".

Erfolg, so Frau Höhler, messe sich nicht nur in barer Münze. "Der ökonomische Aspekt ist nur die eine Seite der Medaille. Wir haben dann noch die Seite, die sich zeigt, wenn wir in schwieriges, steiniges Gelände kommen. Plötzlich halten die Leute nicht mehr zu uns, die beim Sonnenschein vorn mit uns über die Wiese gewandert sind. Und das bedeutet, daß wir nicht dafür gesorgt haben, daß der Zusammenhalt, von dem zum Beispiel die SPD immer redet, uns auch verbindet, wenn wir in den dunklen Tunnel gehen. Hier leben wir nur noch von Zurufen, und das heißt, wir müssen einander trauen. Das müssen wir in guten Zeiten vorbereiten."

Vertrauen sei auch "ökonomisch ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor, der gegenwärtig gerade entdeckt wird. Es gibt berühmte Ökonomen, die ausgiebig und tiefgründig darüber schreiben. Das Mißtrauen zurückzudrängen ist auch ein positiver Kostenfaktor. Wenn ich den ganzen Tag alle Leute überwachen muß, dann lahmt die Arbeit und wir kommen zu nichts, dann wuchern die Intrigen, weil die Leute immer schlauer werden. Wenn wir aber gleichzeitig diesen einen Sprung wagen - und damit muß der Chef anfangen, der sagt: Freunde, Ihr seid in dieser Firma, weil ich euch vertraue -, dann bekommen wir ein Rückfluten dieser mutigen Leistung der Führung. Und deshalb ist Vertrauen ein ganz wichtiger Faktor, den wir in der Unternehmenskultur neu nach vorne bringen müssen."

 

Die Wirtschaft kann nur florieren, wenn sie menschlich bleibt, lautet ihr Credo: In ihrem neuesten Buch "Die Sinn-Macher" (25 Euro, zu bestellen beim Preußischen Mediendienst, Tel. 040-41 40 08 27) weist Gertrud Höhler Wege aus der Krise von Raubtierkapitalismus, "Ich-AG" und verantwortungsloser Spaßgesellschaft. Foto: dpa