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31.08.02 / Die Elf-Ermittler kratzen nur an der Oberfläche

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. August 2002


Die Elf-Ermittler kratzen nur an der Oberfläche
Die weiten Verflechtungen des Korruptionsnetzes werden wohl kaum je entwirrt werden können
von Pierre Campguilhem

Die Elf-Affäre, die die französische Justiz seit 1995, also seit der Amtsübernahme durch Jacques Chirac, immer wieder beschäftigt, kommt erneut auf die Tagesordnung. Mit einem Berufungsurteil in einem der Gerichtsverfahren im Rahmen der Affäre um den Energie-Giganten mit Vernetzung bis nach Deutschland (Stichwort Leuna) ist Ende November zu rechnen. In erster Instanz war unter anderem der ehemalige Außenminister unter François Mitterrand, Rechtsanwalt Roland Dumas, zu dreißig Monaten Haft, davon acht Monate ohne Bewährung, verurteilt worden.

Dieses Verfahren war an sich nur ein Nebenverfahren, denn in der Hauptsache, der Unterschlagung von fast 173 Millionen Euro durch die leitenden Angestellten des Konzerns, wird erst 2003 ein Urteil der ersten Instanz erwartet. Hauptangeklagter bei diesem zweiten Gerichtsverfahren ist die Nummer zwei des Konzerns, Alfred Sirven, der zur Zeit in Untersuchungshaft sitzt und diese gewaltige Summe veruntreut haben soll, um sie weiter zu verteilen.

Nach Angaben des französischen Nachrichtenmagazins "L'Express", das offensichtlich über gute Informationen aus den Untersuchungsakten verfügt, hätten diese 173 Millionen Euro (damals 1,134 Milliarden Francs) vier verschiedene Bestimmungen gehabt. Erstens hätten 325 Millionen Francs davon dem Konzern erlauben sollen, ein breites Korruptionssystem in der politischen Welt sowohl in Frankreich als auch im Ausland zu ent- wickeln.

Zweitens hätte Alfred Sirven 116 Millionen Francs für seine eigenen Bedürfnisse verwendet. Drittens wären 345 Millionen Francs als Provisionen für Vertragsabschlüsse hauptsächlich ins Ausland (Deutschland, Venezuela, Spanien, Afrika) geflossen. Und viertens wären schlicht und einfach 347 Millionen Francs von der gesamten Geschäftsführung Elfs wegen "persönlichen Eigenbedarfs" unterschlagen worden. Durch diesen vierten Posten wird der ehemalige Vorstandschef von Elf-Aquitaine, Le Floch-Prigent, schwer belastet.

Die Untersuchungen wurden von anfänglich vier Richtern durchgeführt, vermutlich unter schwierigen Bedingungen. Zum Beispiel hat sich inzwischen Untersuchungsrichterin Eva Joly beurlauben lassen, um in Norwegen, ihrem Geburtsland, zur Sonderberaterin der norwegischen Regierung zu avancieren. In diesem Jahr wurde zugleich die Untersuchungsbeauftragte Laurence Vichnievsky von Ermittlungen befreit, da zur Vorsitzenden eines Landgerichts befördert.

Bei dieser Untersuchung von enormen Umfängen sind nun nur zwei Untersuchungsrichter, der Franzose Renaud Van Ruymbeke und der Schweizer Paul Perraudin, Genf, tätig. "L'Express" berichtet, daß die eigentlichen Untersuchungen jetzt abgeschlossen seien, obgleich dahingestellt bleibt, ob die Nutznießer dieses Korruptionssystems je bekannt und vor Gericht gestellt werden können. Selbstverständlich zieht der Elf-Skandal eine ganze Reihe von Vermittlern und Banktarnkonten mit sich, deren Aufklärung mehr Zeit und Mittel erfordern würde. Insofern dürfte die Öffentlichkeit von diesem Skandal nur das Pikante und das Oberflächliche erfahren.

Auf jeden Fall wehren sich die Untersuchungsrichter, die in Frankreich für Finanz- und Wirtschaftskriminalität zuständig sind, gegen jegliche Reform des Strafgesetzbuches im Bereich der Finanzstrafsachen. In einem Interview mit der liberalen Tageszeitung "Le Monde" sagte Anfang August die Pariser Untersuchungsrichterin Isabelle Prévost-Desprez, daß eine Reform der die Finanzkriminalität betreffenden Gesetzgebung "besorgniserregend" wäre.

Es handelt sich natürlich um eine höchst sensible Angelegenheit, da die Parlamentarier der Versuchung widerstehen müssen, ein Amnestiegesetz zu erlassen oder das Gesetz zu ändern, weil allein vier Prozent der wegen Finanzstraftaten Verurteilten Politiker sind. Seit 1990 hat sich die Zahl der Korruptionsfälle fast verdoppelt, wenn auch insgesamt nur gut ein Prozent der von den Richtern gefällten Urteile die Finanz- und Wirtschaftskriminalität betrifft.

Das derzeitige Interesse der französischen Presse für das, was man in Frankreich "les affaires" nennt, belegt offenkundig, daß die Regierung Raffarin große Mühe haben dürfte, eine Reform der Gesetzgebung über diese Affären einzuleiten - falls sie tatsächlich Lust dazu hätte, was noch nicht bewiesen ist.