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31.08.02 / Ein ostpreußischer Dickkopf

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. August 2002


Ein ostpreußischer Dickkopf
oder Wie man eine Adoption glücklich durchsetzt

In einem meiner letzten Beiträge für Das Ostpreußenblatt schrieb ich von meinen Vorfahren, die allesamt Ostpreußen waren. Bei meinen Nachkommen verhält es sich nicht so, denn eine meiner Töchter ist adoptiert, aber es gibt da einen Zusammenhang zwischen ihr und dieser ostpreußischen See- le ...

Mein Mann und ich hatten uns mit dem Thema Adoption auseinandergesetzt, als es fraglich erschien, ob ich überhaupt ein Baby bekommen könnte. Ein großer Zufall, eine seltene Selbsthilfekombination des menschlichen Körpers verhalf uns zu einer Tochter, aber auf dieses Wunder konnten wir nicht noch einmal zählen und so griffen wir erneut den Gedanken auf, ein Kind annehmen zu wollen, sollte unsere Tochter kein Einzelkind bleiben. Alle Bemühungen dahingehend scheiterten vorerst. "Terre des Hommes" war die einzige Orga- nisation, die uns in gewisser Weise Zusagen machen konnte. Wie jedoch sooft im Leben, trat Herr Zufall der Szene bei. Eine Freundin rief an, sie habe gerade im Regionalprogramm erfahren, daß ein Krankenhaus, geführt von einem Orden, aus wirtschaftlichen Gründen aufgelöst würde. Die Klinik, vornehmlich Gynäkologie mit Geburtenstation, beherbergte Frauen, die sich nicht in der Lage sahen, ihre Neugeborenen auch anzunehmen, sie konnten die Babys in dem Haus zurücklassen. Ein baldiger Termin zur Schließung der Station war anberaumt, aber Kinder befanden sich noch dort, die in staatliche Heime verlegt werden müßten.

Keine Stunde später standen wir vor den Toren der Klinik, und wenngleich erhebliche Schwierigkeiten auftraten, gelang es, was wir uns vorgenommen hatten. Ich hatte mich zwar schon auf einen farbigen Jungen aus Vietnam eingestellt, den "Terre des Hommes" in Aussicht stellte, aber nun war es ein Mädchen, so weißhäutig, blaß, wie es kaum vorstellbar war. Zudem kränklich, schwach, viel zu früh geboren, mit einem deformierten Fuß, ein so außergewöhnliches Häufchen Unglück, welches besonders zu unserer vor Kraft strotzenden Selbstgeborenen im Gegensatz stand. Für einen Moment bekam ich ein wenig Angst vor meiner eigenen Courage, aber diese Courage, das hilflose Wesen zurückzulassen, konnte ich nun überhaupt nicht aufbringen, und so vergrößerte sich unsere Familie um eine weitere Tochter.

Die Verwandtschaft tat sich schwer, um nicht zu sagen, sehr schwer mit der Akzeptanz dieser Adoption. Vorbehalte, Vorurteile, Ängste bis zur totalen Ablehnung. Ebenso rieten mir Au- ßenstehende dahingehend ab. Meine Mutter sagte kaum etwas dazu, aber ihr Blick verhieß keinesfalls Zustimmung, und kurz bevor es soweit war, definierte sie ihre Ablehnung klar. Als Hausfrau ging ich einer Teilzeitbeschäftigung nach, um Taschengeld zu haben, und meine Mutter hütete in diesen Stunden meine Tochter. Nun meinte sie, daß zwei Kinder ihre Kräfte übersteigen würden, und dann eben noch ein fremdes Kind ... Sie kündigte mir also ihre Hilfe auf. Nun ja, andere Mütter müssen auch vorübergehend zu Hause bleiben. Außerdem roch es so ein bißchen nach Nötigung, und da bin ich eine ganz sture Ostpreußin - nun erst recht, dachte ich.

Als wir das Baby aus der Klinik holten, drei Monate nach seiner Geburt, so klein, daß es wie ein Neugeborenes in den üblichen Kopfkissenknick paßte, Freunde Fotos machten am Eingang unseres Hauses, stand meine Mutter ein wenig abseits und schaute so in der Art der Mummy von Scarlett O'Hara, wenn diese mit etwas unzufrieden war. Sie ging grummelig in die Küche, ich versorgte die Kinder und legte sie zur Mittagsruhe.

Am Nachmittag waren zwei Freundinnen meiner älteren Tochter mit ihren Müttern geladen. Die kleine, neue Schwester sollte voller Stolz präsentiert werden. Schnell sprang ich noch einmal zum Kaufmann, von der Angst ostpreußischer Gastgeber befallen, daß etwas eventuell nicht reichen könnte. Als ich bei der Heimkehr die Eingangstür öffnete, vernahm ich ein lautes, herzzerreißendes Schluchzen, eindeutig von meiner Mutter ausgehend, und obwohl ich nicht sonderlich schreckhaft bin, ließ ich alles fallen und lief in die Richtung der Klagelaute, in der Meinung, daß etwas Furchtbares passiert sein müßte. - Im Wohnzimmer auf dem Couchtisch stand eine Vase mit langstieligen Baccararosen. Meine Mutter, mit dem winzigen Würstchen von neuer Enkeltochter im Arm, saß auf dem Fußboden unterhalb der Blumen, wiegte das Baby, und zwischen den Klagelauten vernahm ich wieder und wieder die Worte: "Du armes Kind, du armes Kind hast keine Mutter."

Glauben Sie mir, selten habe ich mich so erheitert gefühlt und wohl auch herzlich gelacht. "Mein Gott", rief ich, "es gibt keinen Grund zum Zetern, schließlich bin ich ab heute die Mutter, und wie es aussieht, sogar mit Großmutter." Ungläubig sahen mich ihre feuchten Augen an, und langsam versiegte ihr emotionaler Ausbruch.

Geschehen war folgendes: mein Mann, der sich aus geschäftlichen Gründen auswärts befand - was im übrigen immer so war, wenn bei uns die Luft brannte -, sandte jene Rosen zum Empfang unserer neuen Tochter. Meine Mutter hatte sie entgegengenommen, während ich mich beim Kaufmann befand, jene versorgt, und als sie die Vase auf den Tisch stellte, fing just das Baby an zu weinen. Da muß wohl mit "Oma Lotte" das Pferd durchgegangen sein, und alle geglaubte Vernunft wich den Gefühlen, die zu ihrem Grundwesen gehörten.

Ihre Sentimentalität ging geradewegs in echte Zuneigung und Liebe über, und die Einbringung ihrer Erfahrung, ihrer Geduld, ihres besonderen Langmutes und vor allem ihres Arbeitseinsatzes haben mir unendlich geholfen, die Prognose der Ärzte umzustoßen, die davon ausgingen, daß dieses Kind einen körperlichen, wahrscheinlich sogar gekoppelt mit einem geistigen Schaden davontragen würde. Natürlich half mir meine ostpreußische Dickköpfigkeit, es durchsetzen zu wollen, den Göttern, allem Widerstand und allen Hagelstürmen zum Trotz. Aber auch wenn Sie kein Ostpreuße, Westfale oder Ire sind (die sollen ja auch stur sein), verwirklichen Sie das, wozu Sie stehen, bleiben Sie sich selbst treu, ja, hören Sie sogar gelegentlich nicht auf Ihre Mutter, auch wenn es Ihre leibliche sein sollte. Hella Leuchert-Altena