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07.09.02 / Papst Pius XII. und die Juden

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. September 2002


Papst Pius XII. und die Juden
Neues Buch betrachtet differenziert die Rolle des Vatikans während der NS-Zeit

Professor Löw ist vor allem als Fachmann für Marxismus bekannt. Aber schon 1991 erregte er beträchtliches Aufsehen mit seinem Buch "Im heiligen Jahr der Vergebung", in dem es ihm um Verständnis zwischen Christen und Juden geht. In ihm wie auch in seiner neuesten Veröffentlichung scheut er nicht davor zurück, auch solche Wahrheiten aufzuzeigen, die der political correctness widersprechen. Er geht der Frage nach, ob die Schuldvorwürfe gegen die katholische Kirche wegen ihres Verhaltens in der NS-Diktatur, vor allem seitens jüdischer Kreise, zu Recht bestehen. Seine "Antwort" auf "Amen" und "Der Stellvertreter" dürfte von den "Antifaschisten" ebenso totgeschwiegen werden wie das Anti-Hochhuth-Buch des jüdischen Historikers und Theologen Pinchas E. Lapide "Rom und die Juden", in dem dieser - vorwiegend aus jüdischen Quellen - nachweist, daß die katholische Kirche unter Pius XII. weit mehr Juden gerettet hat als alle anderen Organisationen und die westlichen Demokratien zusammengenommen.

In seiner Einführung geht er auf die Anklagen gegen die Kirchen, ihre Verteidigung und das umstrittene Schuldbekenntnis Johannes Pauls II. ein. In drei Hauptteilen behandelt er: Deutschlands Christen und Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts / Christen und Juden im Gefängnis der NS-Welt- anschauung und -Politik / Dem Mord geht der Rufmord voraus.

Ein großer Vorteil dieses Buches ist, daß Löw bei aller Wissenschaftlichkeit mit sorgfältigen Belegen so leicht verständlich schreibt, daß selbst Leser, die sich für gewöhnlich mit der Lektüre der "Bild"-Zeitung begnügen, das spannende Buch geradezu verschlingen werden.

Bis zum "Stellvertreter" von Hochhuth galt vor allem die katholische Kirche als "Hort des Widerstandes" gegen das Unrechtsregime des Dritten Reiches. Danach wurde sie zur "Kirche des Versagens". Zwar gibt es eine Fülle von Veröffentlichungen über diese Zeit und das Verhalten der beiden Großkirchen, aber zahlreiche Journalisten und Medienleute nehmen hiervon keine Notiz. Wenn die Fakten gegen ihre Behauptungen sprechen, gilt: Um so schlimmer für die Tatsachen!

Gewiß gab es in den Kirchen einen Antijudaismus, weil die Juden als "Gottesmörder" betrachtet wurden und das Christentum ablehnten sowie maßgeblich an der Verfolgung der Jünger Jesu beteiligt waren. Dies geht eindeutig aus der Apostelgeschichte und den Apostelbriefen hervor. Aber Antisemitismus im Sinne der Nationalsozialisten wurde nachdrücklich zurückgewiesen und durch Päpste und Bischöfe scharf verurteilt. Daher wählten am Ende der Weimarer Republik 25 bis 30 Prozent der Juden das Zentrum, weil es, wie etwa das Frankfurter Israelitische Gemeindeblatt vor der Märzwahl 1933 schrieb, "seit seinem Bestehen für religiöse und politische Befreiung aller Unterdrückten" kämpfe und "gegen Klassenhaß und Rassenhaß" stehe.

Die spektakuläre Reichstagsrede Hitlers vom 23. März 1933, in der er betonte, "daß die Regierung in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums" sehe, wurde zwar in Hirtenbriefen der Bischöfe gewürdigt, aber gleichzeitig betont, "daß die ausschließliche Betonung der Rasse und des Blutes zu Ungerechtigkeiten führt, die das christliche Gewissen belastet".

Menschen, die in einem Rechtsstaat aufgewachsen sind, neigen dazu, vergangene Epochen aus heutiger Sicht zu beurteilen. Dagegen mahnte der frühere österreichische Außenminister Mock anläßlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des "Anschlusses": "Nur wer weiß, wie es sich in Diktaturen lebt, hat ein Recht, heute selbstgerecht Schuld zuzuweisen, wo etwas mehr Demut am Platz wäre."

Beiden Kirchen war klar, daß die Machthaber am längeren Hebel saßen, und so mußten sie sich hüten, die Nationalsozialisten unnötig zu reizen. Deshalb neigten sie oft zu moderaten Tönen. Zwar gab es in beiden Kirchen einzelne Vertreter, die mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache machten, aber die überwiegende Mehrheit der Katholiken und in der "Bekennenden Kirche" (BK) war entschiedener Gegner des NS-Ungeistes. Bereits am 4. März 1936 verfaßten BK-Mitglieder eine Denkschrift, in der es heißt: "Wenn Blut, Rasse, Volkstum und Ehre in den Rang von Ewigkeitswerten gerückt werden, muß der Christ diese Bewertung ablehnen." Mehrere Mitwirkende an dieser Denkschrift wurden für Jahre inhaftiert. Die Welt ließ sich deswegen nicht davon abhalten, zu den Olympischen Spielen im Sommer 1936 zu eilen und dem Diktator zuzujubeln.

Im Bericht der Gestapo München vom 1. Juli 1937 heißt es, "daß immer noch Volksgenossen glauben, für das jüdische Volk eine Lanze brechen zu müssen. ... Am meisten tun sich hier hervor die Vertreter der beiden Kirchen, besonders aber der streitenden."

Es ist richtig, daß die Kirchen nicht gegen das Verbrechen der "Reichskristallnacht" protestierten - übrigens auch kein einziger der vor allem betroffenen Juden. Aber ausnahmslos jeder wußte, daß die katholische Kirche vor und nach der "Machtergreifung" jeglichen Antisemitismus unnachsichtig verurteilte. So schrieb der "Völkische Beobachter", das offizielle Parteiorgan, am 1. August 1938: "Der Vatikan hat die Rassenlehre von Anfang an abgelehnt ... Zum Nationalsozialismus stand der Vatikan in politischer Kampfstellung. Der Vatikan mußte die Rassenlehre auch ablehnen, weil sie seinem Dogma von der Gleichheit aller Menschen widerspricht."

Es war allen Klardenkenden bewußt, daß der 9. November 1938 nur die Generalprobe für den Endkampf gegen die Kirchen war. Der Münchner Gauleiter Wagner rief am 10. November, also nur einen Tag nach der Vernichtung der Synagogen, in 20 Massenkundgebungen "gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen" auf. Folgerichtig titelten Auslandszeitungen: "So wie heute die Synagogen - morgen die Kirchen?" "Und nun der Christenpogrom?" Thomas Mann brachte diese Stimmen auf den Nenner: "Juden- und Christenverfolgung."

Wenn der heute besonders von jüdischer Seite heftig attackierte Papst Pius XII. sich für gewöhnlich nicht zur Judenverfolgung öffentlich äußerte, hatte er hierfür triftige Gründe: "Jedes Wort, das darüber von und an die zuständigen Behörden gerichtet wird, jede öffentliche Anspielung muß mit allergrößtem Ernst erwogen und gewichtet werden im eigenen Interesse derjenigen, die leiden, damit ihre Lage nicht noch schwerer und unerträglicher gemacht wird als vorher." Ihm war bewußt, daß mit bloßem Theaterdonner niemandem gedient war. Dafür gelang ihm, mit stiller Hilfe im verborgenen Hunderttausende Juden zu retten, wie Pinchas E. Lapide in "Rom und die Juden" nachweist (S. 188). Frau Dr. Luckner war im Auftrag des Freiburger Erzbischofs mit der Hilfe für die Juden betreut, bis sie selber ins KZ kam. Zu ihrem Fall schrieb die Gestapo, "daß die katholische Kirche in Deutschland in betonter Ablehnung der deutschen Judenpolitik systematisch die Juden unterstützt, ihnen bei der Flucht behilflich ist und keine Mittel scheut, ihnen nicht nur die Lebensweise zu erleichtern, sondern auch ihren illegalen Aufenthalt im Reichsgebiet möglich zu machen."

Am 16. Juli 1943 beschwor der evangelische Landesbischof Wurm Hitler in einem persönlichen Brief, "im Namen Gottes und um des deutschen Volkes willen" der Verfolgung und Vernichtung unschuldiger Menschen, so der Nichtarier, zu wehren. Da sein Brief nicht öffentlich bekannt wurde, geschah Bischof Wurm nichts, aber sein Schreiben bewirkte auch nichts.

Es ist weitgehend unbekannt, daß Albert Einstein im Dezember 1940 in einem amerikanischen Magazin schrieb: "Nur die Katholiken protestierten gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit. Bis dahin war ich an der Kirche nicht interessiert, doch heute empfinde ich große Bewunderung für die Kirche, die als einzige den Mut hatte, für die geistige Wahrheit und die sittliche Freiheit zu kämpfen."

Kardinal Bertram, der Vorsitzende der Deutschen Bischofs-

konferenz, richtete zahllose Briefe und Denkschriften an die damaligen Machthaber und erreichte immerhin, daß die "Mischehen" zwischen Christen und Juden nicht zwangsgeschieden wurden. Die katholischen Bischöfe von Münster und Berlin, die Grafen Galen und Preysing, plädierten für einen offenen Kampf gegen die Nationalsozialisten. Man muß aber nüchtern feststellen, daß beide zwar ihre Anhänger im Glauben stärkten und auch im Ausland deutlich machten, daß nicht alle Deutsche "unverbesserliche Nazis" waren, aber weder für die Katholiken noch für die verfolgten Juden etwas erreichten.

Die umfangreichen Belege Professor Löws lassen keinen Zweifel aufkommen, daß sich die überwiegende Mehrheit in der katholischen Kirche wie auch in der BK im Kampf gegen den NS-Ungeist bewährte und nicht "das Knie vor Baal beugte". Man kann geteilter Meinung sein, ob die "Eingabenpolitik" von Kardinal Bertram und der vertrauliche Brief von Bischof Wurm an Hitler angemessener und richtiger waren als etwa die berühmten "Brandpredigten" des Bischofs Graf von Galen. Damals mußte man immer wieder abwägen, welche Folgen, vor allem für die Verfolgten, Stellungnahmen der Kirchen und einzelner ihrer Vertreter voraussichtlich haben würden. Dies wird in den Ausführungen Löws deutlich, und sie dürften alle, denen die "Gnade der späten Geburt" zuteil wurde, nachdenklich machen. "Vom sichren Port läßt sich' gemächlich raten." P. Lothar Groppe SJ

Konrad Löw: "Die Schuld. Christen und Juden im Urteil der Nationalsozialisten und der Gegenwart", Resch-Verlag, Gräfelfing 2002, gebunden, 351 Seiten, 24 Euro