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14.09.02 / Rente: Wer keine Kinder hat, soll mehr zahlen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. September 2002


Rente: Wer keine Kinder hat, soll mehr zahlen
Niemand will Kinderlose bestrafen, aber auch nicht die, die Kinder haben, erklärt Jürgen Liminski

Zu den heiligen Kühen der deutschen Politik gehört zweifellos die Rente. Kein Politiker wagt es, dieses Thema mit gesundem Menschenverstand anzugehen. Dabei ist die Rechnung ziemlich einfach: Es kann nicht mehr ausgezahlt werden als hereinkommt. Wenn die Beitragszahler ausbleiben, dann muß entweder der Staat zuzahlen oder die ausgezahlten Renten werden gekürzt. Man braucht eigentlich kein Wissenschaftler zu sein, um das zu verstehen. Wenn nun der anerkannte Ökonom Professor Hans Werner Sinn, der Präsident des renommierten Ifo-Instituts in München, wiederholt auf diese einfachen Zusammenhänge verweist und dafür aus der Politik sofort getadelt wird, dann steckt mehr hinter der Kritik als der gesunde Menschenverstand.

Alle wissen es: Kinder sind die hohe Kante des Rentensystems. Da seit zwei Generationen die Geburtenzahlen sinken und damit die Beitragszahler immer weniger werden und zusätzlich die Lebenserwartung steigt, die Rentner also nicht nur länger von der Rente zehren, sondern auch zahlreicher werden, geht die Rechnung schon lange nicht mehr auf. Der Staat schießt auch schon seit Jahrzehnten immer höhere Ersatzbeiträge zu, wir bewegen uns de facto auf die steuerfinanzierte Rente zu. Rotgrün hat dieser Entwicklung mit der Ökosteuer noch eins draufgesetzt, denn diese Steuer sollte die Beitragsgrenze senken, was ihr aber nur vorübergehend gelungen ist.

Immerhin wollte die Regierung Schröder nicht nur die Beitragssätze senken, sondern auch die Leistungen. Man tat es auch. Normalerweise werden die Renten der Erhöhung der Nettolöhne angepaßt. Rotgrün blieb darunter und zahlte nur den Inflationsausgleich. Die Rentner bekamen weniger, einige klagten. Das Bundessozialgericht gab der Regierung recht, aber der im Stoiber-Team zuständige Experte Horst Seehofer versprach den Rentnern den Zuschlag. Das ist wahltaktisch richtig, in der Sache falsch. Denn alle, auch Seehofer, wissen es: Die demographischen Zahlen sind unerbittlich, wer die Leistungen weiter bezahlen will, kann aus der leeren Kasse nichts mehr herausholen. Er muß andere Quellen anzapfen.

Das Waghalsige und Unerhörte an Sinns Vorschlag ist nun, daß er die eigentlichen Profiteure des Systems zur Kasse bittet, die Kinderlosen. Sie sollen weniger bekommen. Das können die Hedonisten in der rot-grünen Koalition, aber auch in der FDP nicht verstehen. Haben sie nicht selber jahrelang für die Rente angespart? Sie haben nicht. Denn das, was sie einzahlen, ist nur der Schuldendienst an der Elterngeneration, die die Einzahler großgezogen hat, es ist noch keine eigene Rente. Deshalb bezog die erste Rentnergeneration ihre Rente aus der Umlage der arbeitenden Bevölkerung, nicht aus eigenen Beiträgen. Man lebt von den Beiträgen der nachwachsenden Generation. Hinzu kommt: Ein eigener Rentenbeitrag wird sozusagen biologisch erbracht.

Man kann das Rentensystem nämlich auch anders sehen. Es heißt eigentlich Rentenversicherung. Bei jeder Versicherung haben beide Seiten Rechte und Pflichten. Der Staat kassiert, verteilt und garantiert die Fortsetzung der Bezüge nach dem Ende der Arbeitszeit, also dem Ausfall der Einkommensquelle; die Beitragszahler entrichten und - das wird regelmäßig vergessen - sorgen dafür, daß das System erhalten bleibt, indem sie gemäß dem Generationenvertrag Kinder erziehen. Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Pflegeurteil vom April letzten Jahres hingewiesen. Der Beitrag zur Bestandserhaltung, so die Richter, ist so gewichtig, daß der finanzielle Beitrag gesenkt werden muß. Genau das sagt Katharina Reiche, wenn sie von einem Bonus für Kinder redet, und genau das meint Sinn, wenn er statt einer Kürzung der Beiträge eher die Leistung für die Kinderlosen kürzen will.

Niemand will die Kinderlosen bestrafen, aber auch diejenigen, die Kinder haben, sollten nicht bestraft werden, indem sie sozusagen doppelt Beiträge entrichten. Wieder in der Versicherungssprache ausgedrückt heißt das: Die Beitragshöhe sollte nach Risikoklassen festgesetzt werden. Wer keine Kinder hat, hat auch kein Risiko und sollte deshalb doppelt so viel bezahlen oder nur die Hälfte bekommen. Das ist der Vorschlag aus München, und diese Ifo-Rechnung ergibt viel Sinn.

Es ist nicht das erste Mal, daß Professor Sinn diese oder ähnliche Rechnungen aufstellt. Das letzte Mal tat er es auf dem Kongreß "Demographie und Wohlstand" Mitte Juni in Berlin. Auch darüber wurde berichtet, aber die Politik hörte angestrengt weg. Sie mag diese demographischen Probleme nicht. Sie verlangen Opfer, und solange die Familien die doppelten Lasten tragen, will man am System nicht rütteln. Das Problem für die Politik besteht einfach darin, daß Rentner wählen können und Kinder nicht. Deshalb bleibt das Thema trotz der leeren Kasse und des absehbaren Zusammenbruchs des heutigen Rentensystems tabu. Bis der Crash kommt - nach Meinung von Experten in etwa sechs bis acht Jahren. Also auf alle Fälle nach der nächsten Wahl.

Dabei gäbe es auch ein Mittel, die Ungerechtigkeit zu beseitigen, ohne das System zu ändern: Die Einführung eines Erziehungslohns. Das würde sogar noch Geld in die Rentenkasse bringen und die Verarmung der Familien stoppen. Für den ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof wäre es das probate Mittel zur Lösung der Misere. Die Leistung der Mütter (und auch der Väter), ihre Kinder aufzuziehen, würde in Deutschland "nur in dem entlarvenden Begriff der ,Schattenwirtschaft', also als Schatten wahrgenommen". Wenn jemand die gleiche Leistung mit minderer Intensität - nämlich als Lehrer, als Kindergärtnerin, als Sozialtherapeut - erbringe, würde er selbstverständlich bezahlt und erhalte gesellschaftliche Anerkennung. Kirchhof wörtlich: "In unserer Gesellschaft hängen Honor und Honorar, also Ehre und Bezahlung, aufs engste zusammen. Deshalb müssen wir auch unsere Finanzströme familiengerecht umgestalten. Es sind schließlich die Familien, die den Generationenvertrag erst möglich machen." Auch diese Gedanken wurden, von Kirchhof selbst, auf dem Berliner Kongreß vorgetragen.

Mit dem Familiengeld kommt die Union diesen Lösungswegen immerhin prinzipiell entgegen. Jetzt fehlt nur noch, daß ein kompetenter Mensch in Stoibers Team die Zusammenhänge zwischen Rente, Familie und ganz allgemein den Umlage- oder Generationenverträgen als dringend erkennt und nicht mehr unter finanzielle Vorbehalte stellt. Denn das ist so, als wollte man sagen: Rente ja, aber erst, wenn du tot bist.

Vielleicht kommt die Erkenntnis, wenn Professor Sinn die Debatte wieder anstößt - oder wenn die Kasse nicht mehr die gesetzlich gebotene Reserve vorhalten kann. Das kann schon bald nach der Wahl der Fall sein.