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14.09.02 / "Preußische Tugenden - die braucht unser Land"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. September 2002


"Preußische Tugenden - die braucht unser Land"
Hans-Jürgen Mahlitz sprach mit dem Kanzlerkandidaten der Union, Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, über Grundwerte, Umwelt und aktuelle Fragen zu Flucht und Vertreibung

Herr Ministerpräsident, nach Ihrer Rede auf dem Deutschlandtreffen der Ostpreußen in Leipzig gab es in Polen zunächst wütende Proteste, dann aber die etwas merkwürdige "Entdeckung", daß die Vertreibungs- und Entrechtungsdekrete größtenteils bereits aufgehoben seien. Einmal abgesehen davon, daß dies schon ein sehr seltsamer "Zufall" ist, denn die Forderungen nach Aufhebung der Entrechtungsdekrete in Polen sind ja nicht neu: Sehen Sie in dieser Entwicklung einen positiven Schritt und zum Teil vielleicht auch einen persönlichen Erfolg?

Stoiber: Mir geht es grundsätzlich darum, deutlich zu machen, daß jede kollektive Vertreibung völkerrechtliches Unrecht ist. Deshalb dürfen Gesetze und Dekrete, die die Deutschen kollektiv entrechtet und ausgebürgert haben, in der Europäischen Union keinen Bestand haben. Das gilt vor allem für einseitig diskriminierende Elemente in der Gesetzgebung, die dem Prinzip der guten Nachbarschaft widersprechen. Mit Polen wie ja auch mit Tschechien haben wir seit Beginn der 90er Jahre Nachbarschaftsverträge, die auch die Gegenseite in die Pflicht nehmen.

Ich weiß, daß das Unrecht, das zu der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geführt hat, von deutscher Seite ausgegangen ist. Kein Unrecht rechtfertigt jedoch ein anderes. Unrecht ist auch Millionen Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs geschehen. Es schmerzt die heimatvertriebenen Deutschen, daß ihr Leid und ihr Verlust durch die Vertreibung vielfach als "gerechte Strafe" angesehen und nicht als menschliche Tragödie gewürdigt wird.

In Polen ist eine Reihe von Dekreten und Gesetzen, die sich auf die Vertreibung der Deutschen beziehen, anders als in Tschechien, aufgehoben worden. Dies ist jetzt erstmals von polnischer Seite auch öffentlich erklärt worden. Dafür bin ich dankbar. Andererseits gibt es durchaus Dekrete und Gesetze, die nicht auf- gehoben wurden beziehungsweise die auch heute noch Wirkung entfalten.

Sie fordern einerseits von den östlichen Nachbarstaaten die vollständige Aufhebung aller derartigen Dekrete, lehnen andererseits aber ein Junktim mit der Aufnahme in die EU ab. Ist das nicht ein Widerspruch?

Stoiber: Bei der EU-Osterweiterung geht es im Grunde um die Wiedervereinigung Europas. Warschau, Prag oder Budapest gehören zum Urgestein Europas. Deshalb ist der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten insgesamt im Interesse Europas, vor allem aber auch Deutschlands, das mit rund 1.200 Kilometern die längste EU-Außengrenze zu den Beitrittskandidaten hat.

Ich habe immer darauf hingewiesen, daß die Europäische Union nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, sondern auch eine Gemeinschaft auf der Basis christlich-abendländischer Werte ist, in der Gesetze, die dem heutigen Völkerrecht widersprechen, keine Wirkung haben dürfen. Es ist Aufgabe der Europäischen Kommission, in den laufenden Beitrittsverhandlungen diese Frage auf der Grundlage der Kopenhagener Beitrittskriterien genau zu prüfen.

Es gab in den letzten Wochen Hinweise - unter anderem von Innenminister Beckstein -, daß eine von Ihnen geführte Bundesregierung die drastisch gekürzten Finanzmittel für die Vertriebenenkultur wieder aufstocken will. Gilt dieses Versprechen auch noch angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes wegen der Folgen der Flutkatastrophe?

Stoiber: Die rot-grüne Bundesregierung hat der Kulturarbeit der Vertriebenen in den vergangenen Jahren schwer zugesetzt. Sie hat innerhalb von nur drei Jahren die Mittel von 23 Millionen E auf 16,5 Millionen E gekürzt. Im Bundeshaushalt 2003 ist eine weitere Kürzung auf dann 15 Millionen E vorgesehen. Dies ist ein Schlag gegen die Identität, gegen den geistigen Besitz und die Kultur der Vertriebenen. Wir Deutsche haben als Nation die Verpflichtung, diesen Teil unseres nationalen Erbes zu bewahren. Ich werde deshalb im Falle meiner Wahl zum Bundeskanzler diese Kürzungen im Kulturbereich der Vertriebenen stoppen und die Mittel wieder schrittweise erhöhen. Dieses Versprechen gilt, unabhängig von den finanziell noch nicht absehbaren Folgen der Flutkatastrophe.

Vor 20 Jahren war Helmut Kohl angetreten mit der Parole "geistig-moralische Wende". Ohne diesen Begriff wiederbeleben zu wollen: Wäre es nicht an der Zeit, das, was damit ursprünglich gemeint war, aber leider nie eingelöst wurde, nun endlich zu verwirklichen?

Stoiber: Auch diese Wahl ist eine Richtungsentscheidung. Es geht um Weichenstellungen für die Zukunft unseres Landes, auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, bei der inneren Sicherheit, bei der Frage der Zuwanderung, bei Fragen von Forschung und Bildung, bei der Familienpolitik. Wenn die Union hier Weichenstellungen vornimmt, dann steht dahinter immer auch unser christliches Menschenbild mit den Prinzipien von Solidarität, Subsidiarität und Personalität. Wir setzen auf die Eigenverantwortung des Menschen, auf seine Begabungen, Fähigkeiten und Stärken. Insofern sind Entscheidungen von CDU und CSU immer auch Entscheidungen, die von Werten mitgeprägt sind und die den Menschen Orientierung geben sollen. Wir haben den Anspruch, dem Wandel in Staat und Gesellschaft Richtung zu geben.

Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe ist kritisiert worden, daß in Ihrem Kompetenzteam der Umweltschutz zunächst praktisch "vergessen" worden sei. Sollte der Satz etwa nicht gelten, daß Umweltschutz eine ureigene konservative Angelegenheit ist (Bewahrung der Schöpfung?) und daß es das europaweit erste Umweltmi- nisterium nicht in irgendwelchen grün-roten Gefilden, sondern im "schwarzen" Bayern gab?

Stoiber: Es ist völlig richtig, daß das erste Umweltministerium in Deutschland 1970 in Bayern errichtet wurde. Die damalige SPD-geführte Bundesregierung, die ja bis 1982 im Amt war, hielt es dagegen bis zu diesem Zeitpunkt nicht für nötig, ein Bundesumweltministerium zu errichten. Das tat erst Helmut Kohl 1986. Wir haben also in unseren Reihen seit über 30 Jahren hohe umweltpolitische Kompetenz.

In unserem Regierungsprogramm für 2002 bis 2006 heißt es: "Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Bewahrung der Schöpfung sind Kernanliegen der Politik von CDU und CSU." Eine christliche Partei fühlt sich der Schöpfung gegenüber in besonderer Weise verantwortlich. Es war immer unser Anliegen, Ökonomie und Ökologie - beide Begriffe kommen ja von ein und demselben Wort her, nämlich oikos = Haus - miteinander zu verbinden. Ich denke, die bayerische Umweltpolitik kann sich deutschlandweit sehen lassen. Und was Deutschland anbelangt: Umweltschutz begann nicht mit Rot, begann nicht mit Rot-Grün und Umweltschutz wird auch mit dem Ende von Rot-Grün gewiß nicht enden.

Es gab und gibt immer wieder Versuche, Sie in die ultrarechte Ecke zu schieben. Wie würden Sie selbst Ihre Position beschreiben?

Stoiber: Die SPD versuchte dies, ist aber kläglich damit gescheitert. Wer bei Landtagswahlen ständig 50 Prozent + X erreicht, der muß integrieren, der muß ein Mann der Mitte sein. Ich würde mich als aufgeklärten Patrioten bezeichnen. In Bayern verwurzelt, Deutschland, meinem Vaterland verpflichtet, an Europa mit Zuversicht und Optimismus bauend. Bayer, Deutscher, Europäer - das sind doch heute keine Gegensätze. Jeder Mensch braucht Heimat, um unverwechselbar zu bleiben, wie das Siegfried Lenz in seinem Roman "Heimatmuseum" sehr schön darlegt. Die Nation ist und bleibt auch in Zukunft der sprachliche, kulturelle, historische, soziale und solidarische Rahmen für die Menschen. Die Flutkatastrophe an der Elbe hat diese nationale Solidarität bewiesen. Das deutsche Volk kann zusammenstehen und zusammenhalten.

In einer globalisierten Welt können wir uns als europäische Nationen auf vielen Gebieten nicht mehr allein behaupten. Äußere Sicherheit, Umweltschutz, ein großer entwickelter Wirtschaftsraum, da können wir weder als Deutsche noch als Franzosen, Italiener oder Dänen im Konzert der Weltmächte mithalten, sondern nur noch als Europäer. Europa ist ein Friedens-, Rechts- und Sicherheitsraum geworden, der allen Völkern zum Vorteil gereicht, gerade auch uns Deutschen.

Nun gibt es in Deutschland eine recht erhebliche Zahl von Wählern, die sich selber als "rechts" einstufen, ohne auch nur im geringsten radikal oder gar extremistisch zu sein. Es handelt sich in aller Regel um gute, ordentliche Demokraten. Haben diese Bürger nicht einen Anspruch darauf, in einer Volkspartei wie CDU und CSU eine politische Heimat zu finden? Und muß man nicht einräumen, daß es da inzwischen erhebliche Defizite gibt?

Stoiber: Natürlich ist die Union Heimat für alle wertkonservativ und national gesinnten Demokraten. Ich sehe da auch keine Defizite. In unserem Regierungsprogramm heißt es: "Wir bekennen uns zur Vielfalt unseres Landes und zu Deutschland als Vaterland. Heimat, das sind menschliche Bindungen und kulturelle Traditionen, die wir schützen und bewahren. Sie sind Quelle von Zusammengehörigkeitsgefühl und Selbstbewußtsein". Wer sich solchen selbstverständlichen patriotischen Zielen verbunden fühlt, der findet in der Union eine politische Heimat. Jede Form von Rechtsextremismus hat die Union immer bekämpft.

Stichwort "preußische Tugenden": Haben Sie als Bayer mit diesem Begriff Probleme?

Stoiber: Damit habe ich keine Probleme. Preußische Tugenden wie Pflichtbewußtsein, Einsatz für das Gemeinwohl und den Mitmenschen, wert- und leistungsbewußt zu leben und zu handeln - solche Tugenden braucht unser Land. Ich sehe mit Genugtuung, wenn ich mir die Ergebnisse der jüngsten Shell-Jugendstudie ansehe, daß gerade die Jugend sich wieder mehr einem wertorientierten Leben zuwendet.

In Talkshows und Unterhaltungssendungen geben sich Politiker gerne als "Mensch wie du und ich". Aber ist das nicht etwas zu oberflächlich? Müssen Politiker, bei aller gebotenen Volksnähe, nicht auch eine Vorbildfunktion ausüben?

Stoiber: Politiker sollten vor allem glaubwürdig sein. Reden und Handeln sollten übereinstimmen. Dann werden sie auch von den Bürgerinnen und Bürgern anerkannt und respektiert. Zwischen Volksnähe und Vorbildfunktion sehe ich jedoch keinen Gegensatz. Ein Politiker muß volksnah sein, um wirklich die Probleme zu erfahren, die Menschen bedrücken. Ich selbst bemühe mich darum, möglichst oft vor Ort zu sein. Wenn ein Politiker darüber hinaus, weil er glaubwürdig ist, weil er aufgrund seiner Kompetenz, seiner Leistung und seines Einsatzes geschätzt wird, auch als Vorbild angesehen wird, dann ist dies natürlich nur zu begrüßen.

Verraten Sie uns, wer Ihre Vorbilder sind?

Stoiber: Ich habe vor allem vor jenen Menschen Hochachtung, die ich als Ministerpräsident wegen ihrer langjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit und wegen ihres besonderen Einsatzes für das Gemeinwohl auszeichnen darf. Das sind die vielen kleinen Helden des Alltags, von denen das mitmenschliche, das familienfreundliche Gesicht unserer Gesellschaft abhängt.