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14.09.02 / Ungarn: Der dritte Medienkrieg

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. September 2002


Ungarn: Der dritte Medienkrieg
Regierung bringt Staatsfernsehen auf Linkskurs
von Gábor Boncz

Wenn man sich unter Zensur nicht einen fleißigen Beamten vorstellt, der mit einem Rotstift dicke Bände durchgeht, sondern die Technik, mit der eine Seite verhindert, daß die andere zu Wort kommt, dann kann nur unterstrichen werden, daß in den modernen Demokratien die Zensur ihren Höhepunkt erreicht hat."

Dieser Satz von Th. Molnar ist eine Provokation, in der viel Wahrheit steckt. Anschauungsmaterial liefert das demokratische Ungarn. Seit kurzem tobt dort der "dritte Medienkrieg" seit der Wende.

Nachdem in der ersten Hälfte der 90er Jahre die konservative Regierung Antall gegen erhebliche Widerstände Veränderungen der noch stark kommunistisch geprägten Presse unternommen hatte und die Mitte-Rechts-Regierung Orbán zwischen 1998 und 2002 an dieses Werk anzuknüpfen versuchte, ist die Frontstellung im "dritten Medienkrieg" eine andere. Diesmal geht es darum, wie die politische Rechte im Staatsfernsehen MTV durch neues Personal wieder mundtot gemacht werden soll.

Das bei den Wahlen vom April hauchdünn unterlegene Mitte-Rechts-Bündnis aus FIDESZ und MDF hatte mit einigem Erfolg nationalkonservative Akzente in den Druckmedien und bei der Programmgestaltung der beiden staatlichen MTV-Kanäle gesetzt. Allerdings war ihre Ausgangslage viel schlechter als die für die jetzt amtierende Linksregierung von Ministerpräsident Medgyessy.

Denn auch über ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kommunismus ist die politische Linke in Ungarn insofern klar im Vorteil, als ihre Anhänger im gesamten Medienspektrum quantitativ deutlich stärker vertreten sind.

Während in Deutschland jene 68er den Ton angeben, die am Ende ihres "Marsches durch die Institutionen" oben angekommen sind, ist die linke Meinungsführerschaft in Ungarn eine Spätfolge kommunistischer Kaderpolitik. Tatsache ist, daß unter den weitgehend in ausländischem - sprich schweizerischem, bundesdeutschem, österreichischem und britischem - Besitz befindlichen landesweiten Tages- und Wochenzeitungen die Mehrheit klar auf Linkskurs fährt. Obendrein sind diese Publikationen wegen der ausländischen Beteiligungen meist besser bei Kasse.

Linkes Flaggschiff ist die mit einer Auflage von gut 200 000 Exemplaren meistgelesene Népszabadszág (Ringier/Schweiz und Gruner & Jahr), gefolgt von Magyar Hírlap. Nur die noch in ungarischen Händen befindliche Magyar Nemzet kann dem ein prononciert konservatives Profil entgegensetzen.

Noch deutlicher fällt das Ungleichgewicht bei den Provinzblättern aus. Zwar hat dort nach dem Umbruch ein Ableger des Axel-Springer-Verlages, "Axel Springer Magyarország", neun im Besitz der Kommunistischen Partei befindliche Organe aufgekauft, doch an der Ausrichtung hat dies paradoxerweise nichts geändert.

Den Verantwortlichen erschien es wohl zu mühsam, die alten KP-Kader aus den Redaktionen herauszufiltern. Die Hauptsache war sowieso, daß das Geschäft lief - und dieses läuft bis heute wie geschmiert. Eine Million von insgesamt zehn Millionen Ungarn lesen täglich ihre Springer-Zeitung.

Wenn nun, wie zuletzt der Fall, die neue Regierung aus Sozialisten (MSZP) und Linksliberalen (SZDSZ) das Steuer im Staatsfernsehen herumreißt und der bisherige MTV-Intendant Mendreczky ebenso zurücktreten muß wie einige andere Führungspersonen, dann ist die Empörung des politischen Gegners nachvollziehbar. Denn wieder droht ein linkes Medienmonopol, und Oppositionelle sprechen sogar von "Gleichschaltung".

Daß eine frühere TV-Sprecherin bereits an die Spitze befördert wurde, obwohl sie nach Meinung von Fachleuten wenig qualifiziert ist, unterstreicht diese Tendenz. Denn für ihren Karrieresprung im Staatsfernsehen reichte es offenbar, daß sie sich im Vorfeld der letzten Wahlen aktiv an sozialistischen Veranstaltungen beteiligte.

Vor allem Orbáns Jungdemokraten (FIDESZ) mobilisieren ihr Fußvolk gegen die neuen Weichenstellungen. Einen ersten Vorgeschmack auf angekündigte Massenproteste gab es am 30. August. Die Opposition versammelte an diesem Tag Zehntausende vor allem jüngerer Leute zu einer Kundgebung vor dem Hauptgebäude des Staatsfernsehens.

In seiner Rede erklärte Viktór Orbán, daß es "nicht mehr ausreicht einen sozialistischen TV-Kanal zu haben, sondern ein Sender vonnöten ist, der auf bürgerlichen und nationalen Wertvorstellungen basiert". Dann setzte er noch eins drauf: Sollte das Parlament kein Gesetz über die Schaffung eines zweiten, anders orientierten staatlichen Senders beschließen, werde man ein Volksbegehren in Gang bringen.

Ministerpräsident Peter Medgyessy antwortete am 31. August mit perfider Polemik: "Diejenigen, die einen Fernsehsender zu ihrer eigenen Verfügung wollen, sollen ihn sich doch kaufen!"

An sachlichen Begründungen für den personellen Umbau mangelt es. Der linksliberale Abgeordnete Ivan Petö kritisiert, daß sich MTV infolge von Verschwendungen in einem tiefen Finanzloch befinde, das mit immer höheren Zuschüssen aus dem Steuersäckel gefüllt werden müsse.

Zuletzt waren tatsächlich jährliche Mehrsubventionen in Höhe von zehn Milliarden Forint (ca. 41 Millionen Euro) nötig. Die Schuld an der Entwicklung kann man aber nur zum geringen Teil der alten Regierung und dem zurückgetretenen Intendanten zuschieben.

Denn daß die beiden MTV-Kanäle heute nicht einmal mehr 15 Prozent der Fernsehzuschauer erreichen und die Werbeeinnahmen dramatisch zurückgehen, hat andere Ursachen. Hier offenbart sich die weit fortgeschrittene Verwestlichung des Landes. Privatsender wie RTL-Klub oder TV2 liegen in der Gunst weit vorn. Sie liefern fast nur "leichte Kost" für ein Millionenpublikum - also Talkshows, Seifenopern und Billigfilme.

Kultur, Politik und Bildung sind Mangelware, während Sendungen wie das ungarische "Big Brother" ("Nagy Testvér"; Start im September) bei TV2 oder das RTL-Gegenstück "Való Világ" ("Wahre Welt"; seit 9.9.) "in" sind.

Auch abgesehen vom aktuellen Streit um MTV sollten sich Regierung und Opposition deshalb an einen Tisch setzen, um dem weiteren medialen Kulturverfall einen Riegel vorzuschieben.