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21.09.02 / Patriotismus: Wurzeln neu legen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. September 2002


Patriotismus: Wurzeln neu legen
Vaterlandsliebe bleibt als Bindeglied unersetzbar
von Uwe Greve

Ohne Patriotismus geht es nicht", sagt Arnulf Baring. Der renommierte Politologe sieht ohne jenes Bewußtsein die Zukunft unseres Landes in Gefahr, und zwar umfassend. Was aber ist eigentlich Patriotismus? Darüber gibt es viele Auslegungen, meist eher vage Gefühle als gründlich durchdachte Erklärungen.

Dabei läßt sich der vieldiskutier- te, auch geschmähte Begriff ziemlich klar umreißen, womit sein Wert, ja die Unverzichtbarkeit, die Baring meinte, klar zutage tritt.

Patriotismus ist die Summe verschiedener Bewußtseinskatego- rien: Heimat-, Volks- und Nationalbewußtsein, ebenso die Verteidigungsbereitschaft für die als Wert empfundene freiheitliche Staatsform. Alles bedingt sich gegenseitig. In Deutschland sind diese Bewußtseinskategorien unterentwickelt. Deshalb konnte sich bei uns nach dem Zweiten Weltkrieg ein gesunder Patriotismus nicht entfalten.

Blicken wir auf das Heimatbewußtsein im Lande. Aus Angst vor Übertreibungen, aus kosmopolitischer Schwärmerei und aus der Vorstellung heraus, daß Selbstverwirklichung ohne "beengende" Bindungen das eigentliche Ziel allen Menschseins darstelle, ist der traditionelle Hei- matbegriff ausgehöhlt worden. Selbst die niedersächsische CDU sieht den Heimatbegriff als überholt an. Bei den Kommunalwahlen 2001 warb sie mit der Parole "Weltoffen und ortsgebunden". Der in Deutschland seit Jahrzehnten dominierende linksliberale Geist der 68er Generation sieht in Heimatbewußtsein oder gar Heimatliebe engstirnigen Provinzialismus, romantisierende Selbstgenügsamkeit und "Migranten- feindlichkeit".

Heimat ohne ideologische Brille gesehen bedeutet das Bindeglied zwischen Familie und Vaterland. Heimat sind Elternhaus, Ort und Landschaft, in denen wir aufgewachsen sind. Die Gegend, in der wir Verwandte, Freunde, Bekannte haben. Der Heimatbegriff verbindet sich mit Vertrautheit, Geborgenheit, nächster Umwelt.

Ganz konkret kann Heimat auch bedeuten: der Geruch der Bratäpfel, die Begonien auf dem Balkon, der sonnige Platz auf der Bank vor der Haustür, die schlurfenden Schritte des Großvaters, der freudige Schrei über das erste Tor auf dem Fußballplatz, der qualmende Schlot des nahen Kraftwerks, die Töne der Schiffshörner am Hafen. Der Kulturphilosoph Eduard Spranger formuliert es so: "Unsere Heimatliebe ist nur empfangene Liebe, die wir zurückerstatten." Mit dem Heimatbewußtsein verkümmert bei uns der Patriotismus.

Wie steht es mit unserem Volks- und Nationalbewußtsein? Die Kanzler Adenauer, Erhard und Kiesinger sprachen noch wie selbstverständlich vom "deutschen Volke". Sie standen damit auf der Ebene unseres Grundgesetzes. Seit Brandt reden unsere Kanzler von der "Gesellschaft". Dem Begriff Volk wurden wider alle historische Realität "rassistische Züge" und "Tendenzen feindlicher Abgrenzung" unterstellt. Was allein aber macht ein Volk aus? Eine gemeinsame Sprache, gemeinsamer Lebensraum, gemeinsame Geschichte. Einige Völker, beispielsweise die Polen, besitzen als zusätzliche Bindekraft noch die gemeinsame Religion. Was dagegen ist eine Gesellschaft? Eine Gruppe von Individuen, die sich auf einige grundsätzliche Rechtsnormen geeinigt hat und ansonsten vorwiegend dem persönlichen materiellen Genuß nachstrebt.

Völker formten sich zu Nationen, indem sie einen gemeinsamen Staat aufbauten. Herder und Mazzini sind die Väter dieses volklichen - nicht völkischen bzw. ethnischen Nationsbegriffs: Die Grenzen des Staates bestimmen die Zusammensetzung der Nation. Die Menschen im eroberten Algerien waren somit Franzosen.

Der ethnische Nationalbegriff schließt Eroberungen weitgehend aus. Nicht er war die Ursache von Kriegen im 19. und 20. Jahrhundert, sondern der Verrat an ihm. Und dieser Verrat hatte den Namen Imperialismus. Imperialistische Eroberungen betrieben jedoch nicht nur Nationalstaaten, sondern ebenso übernationale Großreiche wie die Sowjetunion. Wer das Vorhandensein von Völkern als Teil der Schöpfungsordnung begreift, versucht nicht, andere Völker gewaltsam in sein Staatswesen hineinzupressen.

Mit der "Flucht aus der Nation", welche die gegenwärtige Bundesregierung intensiviert, zerstört sie die kraftvollen Impulse, die aus einem starken Bewußtsein nationaler Identität erwachsen.

Hätten wir beim Zusammenwachsen von alten und neuen Bundesländern die ungeheuren Gefühlskräfte, den Tatendrang und die Opferbereitschaft genutzt, die das Nationale im Positiven erwecken kann, wären wir in der inneren Einheit Deutschlands heute sehr viel weiter. Erst der Verzicht auf die nachhaltige Unterstützung des Gefühls "Wir sind ein Volk" hat den Prozeß der deutschen Einheit taktischen Erwägungen und kleinlichen Partei-Egoismen ausgeliefert. Patriotismus setzt Nationalbewußtsein voraus.

Haben wir Geschichtsbewußtsein? Niemand kann es ernsthaft behaupten. Geschichte in Unterricht und Medien ist vorwiegend auf die Bewältigung der nationalsozialistischen Epoche fixiert. Zweifelsohne sind Kenntnisse über Fehlwege unserer Nationalgeschichte und deren Ursachen unverzichtbar. Aber die Auseinandersetzung mit zwölf Jahren deutscher Geschichte darf die restlichen weit über tausend Jahre nicht länger verdrängen. Zu einem Geschichtsbewußtsein, das diesen Namen verdient, gehört ebenso das Große, das Erhabene, das Erfolgreiche, das Fortsetzungswürdige unserer Vergangenheit.

Vom Freiheitsdrang der alten Germanen über Reformation und Bauernkriege, Humanismus und Befreiungskriege, Einheitsbewegung und Stufen zum Rechtsstaat gibt es jede Menge Vernachlässigtes in unserem Geschichtsbild. Vom immensen Beitrag der Deutschen zum Welterbe in Musik, Literatur, Kunst, Wissenschaft und Technik ganz zu schweigen. Doch eine wachsende Zahl von Jugendlichen kennt Bismarck nur noch vom Hering, Königsberg vom Klops, Fürst Pückler vom Eis und Leibniz vom Keks her. Wie antwortete ein Abiturient unlängst in einer Fernsehsendung auf die Frage "Wer war Hoffmann von Fallersleben?" "Wir haben bei uns eine Fallerslebenstraße. Mehr weiß ich nicht."

Was könnte unsere Jugend doch alles aus der Geschichte lernen?

- Daß Träume von Freiheit und Recht ohne Macht sehr schnell von denen zerstört werden, die Macht ohne Freiheit und Recht praktizieren.

- Daß, wo die Ausgewogenheit von Freiheit und Ordnung verlorengeht, über zuviel Ordnung der Weg in die Tyrannei, über zuviel Freiheit der Weg in Anarchie und Untergang führt.

- Daß Freiheit kein selbstverständliches Gut ist, sondern eines ständigen staatlichen Schutzes bedarf. Dazu einer Erziehung, die junge Menschen fragen läßt: "Freiheit wofür?" und nicht "Freiheit wovon?"

- Daß blutige Revolutionen, wo immer sie stattfinden, auch das Gute der alten Zeit zerstören, während der Fortschritt durch Reformen den Völkern das Positive vergangener Epochen erhält.

- Daß alle ideologischen Versuche, den Menschen für einen Staat und nicht einen Staat für einen Menschen zu formen, in Leid und Chaos für Millionen endeten.

- Daß innere Zersplitterung und innerer Unfrieden in Völkern und Staaten schnell zu außenpolitischer Ohnmacht führen.

- Daß der Schrecken totalitärer Diktaturen meist im Gewande der hoffnungsvollen Verheißung der Utopie einer "besseren Gesellschaft" und eines "neuen Menschen" daherkommt.

- Daß übernationale Großreiche nicht mit demokratischen Mitteln zusammenzuhalten sind.

- Daß multiethnische Gesellschaften ein hohes Konfliktpotential in sich tragen.

- Daß, wo immer der Mensch gegen die Natur lebt, die Natur sich gegen den Menschen wendet.

Solches Wissen kommt aus dem Erfahrungsschatz früherer Generationen. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie variiert die gleichen Themen. Eine Jugend, die nicht weiß, woher sie kommt, weiß auch nicht, wohin sie gehen soll. Ohne Geschichtsbewußtsein kein Patriotismus.

Unser Kulturbewußtsein? Auch hier ist die Krise offensichtlich. Zwar leben Reste der gewachsenen deutschen und europäischen Kultur fort. Aber die Alltagskultur wird, insbesondere durch die privaten Fernsehsender, im Sinne einer Entfernung von unseren positiven Traditionen geprägt. Gewaltkult, Beziehungskriege, schrittweise Senkung der Hemm- und Ekelschwellen. Die zerfetzte Leiche, die öffentliche Hinrichtung, im grellen Farbdruck versteht sich, dienen Illustrierten als "Aufmacher". Gretchen fast nackt im modernen "Faust". Jesus als Schwuler zwischen schwulen Jüngern. Eine Kultusministerin macht eine Empfehlungsliste gleichgeschlechtlich ausgerichteter Kinderbücher. Viele Schüler können kein einziges deutsches Volkslied mehr. Türkische Volkstänze werden als "Bereicherung" bestaunt, deutsche als "spießige" und "volkstümelnde" Kuriosa belacht. Die auswendig gelernte Ballade - eine Ausnahme im Deutschunterricht. Amerikanische Kultur, Musik und Filme verdrängen das heimisch Gewachsene. Kurzum: Ohne Wie-derentdeckung des eigenen Kulturschatzes kein neuer Patriotis-mus.

Und wie ist es mit unserem Verteidigungsbewußtsein bestellt? Kaum besser! Mit dem Zusammenbruch Sowjetrußlands verschwand die große militärische Bedrohung. Mit ihr bei uns auch der Sinn für militärische, religiös-fundamentalistische und terroristische Bedrohung überhaupt. Die langjährige Einbindung der beiden deutschen Staaten in Nato bzw. Warschauer Pakt hatte schon vorher unser Wehrbewußtsein in Frage gestellt. Trug sie doch die Gefahr des Bruderkrieges in sich. Die wirksame Parole der Achtundsechziger "Lieber rot als tot" hatte die gleiche Wirkung. Zwar haben sich die Kräfte des "Weder rot noch tot" durchgesetzt. Aber wesentliche Teile der akademischen Jugend blieben für sie unerreichbar.

Auch das Verteidigungsbewußtsein in seiner materiellen Komponente blieb defizitär. Patriotismus, so sagte der Franzose Le Bon, "repräsentiert einen kollektiven Beharrungsinstinkt, der sich im Falle nationaler Gefahr an die Stelle des individuellen Erhaltungsinstinktes setzt". Dieser Instinkt ist zweifelsohne um so stärker, je mehr der einzelne auch materiell zu verlieren hat. Was bleibende materielle Werte angeht - Eigentumswohnungen, Eigenheime, Grundstücke - steht Deutschland am unteren Ende der EU-Skala. Besserung ist nicht in Sicht. Der solide selbständige Mittelstand ist im Sinkflug. Und mit ihm die Zahl derer, die sich bleibenden Besitz schaffen können. Die mittelstandsfeindliche Konzentrationsseuche unserer Zeit zu überwinden ist deshalb ein Gebot der Stunde. Ebenso überwunden werden muß der Geist der absoluten Selbstverwirklichung und die damit verbundene Lösung von gewachsenen Bindungen. Nur dann wird in Deutschland das Wort des US-Präsidenten Coolidge wieder der Mehrheit verständlich: "Patriotismus heißt, für sich selber sorgen, indem man für sein Land sorgt."

Seine wachsenden Defizite auf allen Ebenen wird unser Land ohne einen neuen Patriotismus nicht ausgleichen können. Ein zukünftiger Kanzler, der diese emotionale Kraft erweckt, könnte als Erneuerer Deutschlands in die Geschichte eingehen.

Uwe Greve ist Unternehmensberater und Mitglied der CDU-Fraktion im Kieler Landtag.