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28.09.02 / Das Echo in Frankreich

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28.September 2002


Das Echo in Frankreich
Wahlreaktionen aus Medien und Politik

Die linke Pariser Tageszeitung "Libération" bewertet die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Berlin als eine Niederlage des französischen Präsidenten Jacques Chirac. Die derzeit Regierenden an der Seine hatten sich in letzter Zeit stark für den Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber, engagiert, wie ein unlängst erfolgter Besuch des engsten Vertrauten Chiracs, des ehemaligen Regierungschefs Alain Juppé, an der Spree belegt. Die Regierung Raffarin unterhält ausgezeichnete Beziehungen zur Union. Vor einem Jahr hatte sogar in München ein Treffen zwischen Abgeordneten der CSU und einer Abordnung der "Démocratie libérale", der Partei von Jean-Pierre Raffarin, stattgefunden. Wie die US-Regierung scheinen auch die französischen Konservativen etwas überrascht gewesen zu sein vom vermeintlichen Antiamerikanismus, den Gerhard Schröder anläßlich der Differenzen mit Washington bezüglich Iraks in Deutschland zu schüren schien. Für Paris ist aber derzeit das Dossier der gemeinsamen Agrarpolitik das Wichtigste; anscheinend erhofften sich Chirac und Raffarin mehr Wohlwollen in dieser Sache von Stoiber als von Schröder.

In ihrem Kommentar zur Bundestagswahl schreibt "Libération", die französische Linke sollte der deutschen nachahmen, die bei dieser Wahl Kompromiß- und Anpassungsfähigkeit gezeigt habe. Seinerseits glaubt der regierungsfreundliche "Figaro", mit dem Wahlsieg Gerhard Schröders habe "der Stil" einer Wahlkampagne über "die Substanz" eines Programmes gesiegt, und vertritt die Ansicht, der Sieg der Rot-Grünen sei dünn und deswegen "zerbrechlich".

In der Regel widmeten die französischen Medien der Bundestagswahl breiten Raum; allein der staatliche Auslandssender "Radio-France International" maß der Krise an der Elfenbeinküste größere Bedeutung bei als den Ereignissen in Deutschland. "Le Figaro" unterstrich auf einer ganzen Seite die schwierige wirtschaftliche Lage Deutschlands, während sein Berliner Korrespondent schrieb, daß das neue Kabinett der Wiederaufnahme des Dialogs mit der Bush-Administration Priorität einräumen solle. Eine ähnliche Meinung vertrat die Londoner "Times".

Selbstverständlich wurden die Wahlen in Deutschland durch Sonderberichte in den französischen Medien begleitet, die insgesamt neutral und unparteiisch ausfielen. Nur der staatliche Fernsehsender "France 3" übte üble Polemik gegen Edmund Stoiber und verbarg nicht sein Bedauern, daß die PDS an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Sämtliche Medien betonen das hervorragende Ergebnis der Grünen, ohne das Gerhard Schröder seinen Posten verloren hätte. Durch die Bank sind die französischen Medien der Ansicht, daß der wiedergewählte Bundeskanzler aus den Wahlen "geschwächt" hervorgehe, und sie stellen die Frage, wie die Bundesrepublik den gewohnten Wohlstand wieder erreichen kann.

Bei den Politikern ist die größte Zurückhaltung zu beobachten. Die namhafteste Reaktion stammt von Jean-Marie Bockels, dem sozialistischen Oberbürgermeister von Mülhausen, der unter Lionel Jospin lange der deutsch-französischen Freundschaftsgruppe der Pariser Nationalversammlung vorgestanden hat. Gemäß Bockel, der den Grünen nicht besonders zugewandt ist, ist der derzeitige deutsche Außenminister "ein Realpolitiker", der zusammen mit Gerhard Schröder die europäische Angelegenheit weiter vorantreiben wird. Nach Meinung der Beraterin Gerhard Schröders für die deutsch-französischen Fragen, Brigitte Sauzay, der ehemaligen Dolmetscherin Francois Mitterrands, ist es sicher, daß "Joschka Fischer an Europa glaubt". Das behauptete sie zumindest gegenüber dem Privatfunksender "Radio-Classique". Was den Kanzler anbelangt, sei nun sein Ziel, die deutsche Gesellschaft der Globalisierung anzupassen. Wichtig sei es, Deutschland vom immerwährenden Korporatismus zu befreien und natürlich Europa aufzubauen. Diese Äußerungen von Brigitte Sauzay werden sicherlich bei der Brüsseler Kommission mit Wohlwollen aufgenommen werden, deren künftige Stellungnahmen beweisen dürften, daß "Brüssel" lieber Schröder als Stoiber im Kanzleramt sieht. Pierre Campguilhem