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28.09.02 / Reise ins Posener Land: Signale des Aufbruchs

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28.September 2002


Reise ins Posener Land: Signale des Aufbruchs
Vom Ostwall bis zu den Hopfenfeldern bei Neutomischel
von Friedrich Zempel

Es änderte sich wenig - damals in den 1970er und 80er Jahren, als es noch ein Abenteuer war, nach Polen und in das Posener Land zu reisen. Von Jahr zu Jahr konnte man sehen, wie sich der Abstand der Lebensverhältnisse zur Bundesrepublik vergrößerte.

Gerade auf dem Land wurden die Verhältnisse aus vorsozialistischer Zeit konserviert, was man mit Wehmut, aber auch mit Freude registrierte. Blieb doch vieles so, wie man es kannte oder aus den Erzählungen der Eltern gehört hatte.

Seit Beginn der 90er Jahre ist das anders. Dies bemerkten sehr bald auch die Teilnehmer einer Studienfahrt des "Deutschen Geschichtsvereins (DGV) des Posener Landes e. V.", als sie im Mai für einige Tage in das Gebiet reisten. Die Konvergenz der Lebensverhältnisse schreitet fort, im öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Bereich. Polen holt auf.

Nicht minder augenfällig ist, daß die Vorbehalte gegenüber den Deutschen ständig abnehmen. Ein aus dem Posener Land wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit vertriebener Bauer ist heute in seinem Heimatdorf eher willkommen als ein Bauer, der im Rahmen der Kollektivierung aus der ehemaligen DDR vertrieben wurde. Gelegentlich hat man sogar den Eindruck, die Polen hoffen, bei ihrem Weg in die doch sehr fremde EU von den Deutschen an die Hand genommen zu werden.

Die Wertschätzung der französischen Kultur und das Vertrauen auf den neuen "großen Bruder" USA sind groß, aber durch die Öffnung der Grenzen für Reisen und Informationen haben die Polen letztlich doch festgestellt, daß die Deutschen ihnen näherstehen.

Die in der Presse viel zu sehr aufgebauschten "Ängste" vor der wirtschaftlichen Macht der Deutschen müssen relativiert werden. Gut informierte Polen wissen, daß die Deutschen als Partner in der Wirtschaftspolitik harmlos sind und sich viele Deutsche selbst vor der Wirtschaftsmacht der anderen Industriestaaten und der Globalisierung fürchten.

Noch vor wenigen Jahren trennte beide Völker das Vorurteil, vielleicht auch der Minderwertigkeitskomplex, nur die eine Seite sei fleißig und sauber. Inzwischen haben aber Millionen Polen in Deutschland gearbeitet und wissen, daß sie hier als fleißige, unkomplizierte und verläßliche Arbeiter geschätzt werden und die öffentlichen Anlagen in den polnischen Städten in der Regel gepflegter als in Deutschland sind.

Überraschend für die Exkursionsteilnehmer war der erste Bummel durch die Robert-Koch-Stadt Wollstein - eine kleine Stadt voller schöner Geschäfte, mit gemütlichen Cafés und zahlreichen modisch gekleideten Menschen. Ein Bild, wie wir es aus den späten 60er Jahren aus Westdeutschland kennen, bevor die Supermärkte auf der grünen Wiese die Verödung der Innenstädte einleiteten.

Leider gibt es in Wollstein und anderen Städten inzwischen schon kleinere Einkaufszentren am Stadtrand. Man kann den Entscheidungsträgern in Polen nur wünschen, daß es ihnen gelingt, diese Entwicklung aufzuhalten.

Im Posener Instytut Zachodni - dem früheren Westinstitut, das als "Speerspitze gegen den Revanchismus" galt - hören wir einen Vortrag von Professor Dr. Wiesiolowski über die Geschichte der Kämmereidörfer, die vom 10. bis 13. Jahrhundert in der Posener Gemarkung von den die Grundherrschaft ausübenden Piasten angelegt und durch Zuwanderer aus Polen, Deutschland und Frankreich besiedelt wurden. Heute gehören die Dörfer zum Posener Stadtgebiet.

Jedes von ihnen pflegte ein bestimmtes Handwerk. Daneben wurde mit großem Erfolg Landwirtschaft betrieben. Die Einführung des Eisenpfluges durch die deutschen Siedler führte zu Ertragssteigerungen um bis zu 100 Prozent. Der Referent hielt dies für die wichtigste historische Veränderung bis zur Industriellen Revolution im 20. Jahrhundert.

Dank der von den deutschen Siedlern importieren und von den Polen rezipierten Wirtschaftsmethoden war die Gegend um Posen am Ende des Mittelalters besser entwickelt als das übrige Polen. Diese führende Position ging erst im Dreißigjährigen Krieg verloren, in dessen Folge sich die Bevölkerung um 50 Prozent verringerte.

Zu einem weiteren schweren Rückschlag in der wirtschaftlichen Entwicklung der Kämmereidörfer und der Stadt Posen führte der Zweite Nordische Krieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Als Erschwernis beim Wiederaufbau kamen erhebliche Probleme bei der Gewinnung neuer Siedler hinzu. Unter den damals angeworbenen Kolonisten hatten die katholischen Bamberger bzw. "Bamberka" einen bedeutenden Anteil, die in mehreren Wellen - 1719, 1730, 1743 und 1753 - zuzogen.

Wie Frau Prof. Dr. Paradewska ausführte, hatten sich die polnischen Grundherren bewußt für diese Bauern katholischen Glaubens entschieden. Dabei handelte es sich keineswegs nur um Familien aus dem Bistum Bamberg, auch wenn ein großer Teil aus dem Gebiet des heutigen Bayern stammte.

Im 19. Jahrhundert war "bambergisch" im Posener Land ein Synonym für "bäurisch". Als Bamberger wurde insbesondere ein wohlhabender Bauer bezeichnet. Doch schon bald nahmen diese Einwanderer als Handwerker, Kaufleute und Unternehmer eine besondere Stellung ein, was noch bis in die kommunistische Zeit Ab- und Ausgrenzungen zur Folge hatte.

Die Benachteiligung der Bamberger setzte aber nicht erst mit dem Kommunismus ein. Bereits der preußische Staat, zu dem das Posener Land - mit kurzer Unterbrechung während der napoleonischen Zeit - seit der Dritten Teilung Polens gehörte, gewährte ihnen nicht die gleichen Rechte wie den protestantischen Mitbürgern. Dies führte zu einer Hinwendung der Bamberger zum polnischen Katholizismus. - Vielleicht hat gerade die deutsche Seite in der Vergangenheit zu wenig danach gefragt, welchen Anteil der preußische Staat an der Gleichsetzung Protestant=Deutscher und Katho-lik=Pole hatte.

Seit der Wende von 1989/1990 begannen sich die "Bamberka" wieder zu organisieren und alte Bräuche zu pflegen. Demgegenüber war von der überall herrschenden Aufbruchstimmung bei einem Besuch der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen Minderheit in Posen leider nichts zu spüren. Hier wurden offenbar viele Hoffnungen enttäuscht. Nicht nur in Polen, sondern auch seitens Deutschlands. Nicht einmal 10 Prozent der heute rund 4000 Deutschen in der Wojewodschaft Großpolen (Wielko Polska) sind organisiert, und nur 20 Prozent von 350 Mitgliedern sind Jugendliche.

Zu einem Höhepunkt der Fahrt gerieten die Einblicke, die uns nördlich von Schwiebus in die Festungsfront im Oder-Warthe-Bogen - den sogenannten "Ostwall" - eröffnet wurden.

Die Gegend um den Ort Kalau ist ganz von der Landwirtschaft geprägt, und größere Ansiedlungen sind weit entfernt. Um so überraschender ist es, wenn man plötzlich im Gelände eine fast zugewachsene Eisenbahntrasse entdeckt, die auf eine Anhöhe zuläuft. Beim genauen Hinsehen sind mehrere dunkelgrüne Stahlkuppeln zu erkennen, die aus dem kargen Heideboden ragen.

Restlos erstaunt ist der Besucher, wenn er von diesem "Panzerwerk" aus in den Untergrund steigt. Über ein gewaltiges unterirdisches Treppenhaus kommt man in einer Tiefe von 10 -30 Metern in ein System kleiner und großer Tunnel. Durch einen kleinen Tunnel kann eine Gruppe Soldaten marschieren oder eine Lorenbahn fahren, durch die großen ein Militär-Lkw. Das Bunkersystem verband über eine Strecke von 70 Kilometern weit über 100 Abwehrstellungen. Alle Tunnel zusammen sollen eine Länge von mehr als 200 Kilometer haben.

Die Anlagen sind gut erhalten, kein Wasser, kein Unrat. Darüber hinaus befanden sich unter der Erde Kasernen für Tausende von Soldaten und sogar ein Lazarett.

Der Bau des "Ostwalls" begann Ende der 20er Jahre. Er sollte Berlin schützen, denn infolge des Versailler Vertrages war die Ostgrenze bedrohlich nähergerückt. Ihre Verteidigungsaufgabe konnte die Anlage indessen nie erfüllen. Als am Ende des Zweiten Weltkrieges die Sowjets heranrückten, fanden sie die dazugehörigen Pläne bei Zielenzip in einem stehengebliebenen SS-Kommandofahrzeug.

Das Posener Gebiet weist gewisse Ähnlichkeiten zu Niedersachsen auf. Flachland, Grenzertragsböden und Flußniederungen prägen weite Teile der Agrarwirtschaft. Aus diesem Grund war der Hopfen- und Weidenanbau vor 1939 ein wesentlicher Zweig der Landwirtschaft.

Im Zeitalter des Plastikbehälter hat die Korbweidenwirtschaft nur noch marginale Bedeutung, vor allem für den Tourismus und den Export. Ein nicht unbeachtlicher Teil der in Deutschland vermarkteten Korbwaren kommt heute aus Polen, möglicherweise aus der Gegend von Neutomischel. Hier gibt es auch ein Hopfen- und Korbweidenmuseum zu besichtigen.

Hopfenanbau wird noch immer betrieben. Der polnische Hopfenbauer Tadeusz Klimek zeigt uns seinen ca. 50 ha großen Betrieb mit 5 ha Hopfen. Auch er arbeitet mittlerweile weitgehend mit Maschinen. Die Beschaffung von neuen Maschinen und Ersatzteilen ist heute kein Verteilungsproblem mehr, wohl aber ein Finanzierungsproblem. Die polnische Landwirtschaft erhält nur wenige Subvention und muß sich im eigenen Land gegen billige Hopfenimporte u. a. aus Deutschland wehren.

Daß es dennoch gelingt, Teile des polnischen Hopfens zu exportieren (vor allem nach Japan!), gehört zu den Wundern der Globalisierung, an die wir schon gewöhnt sind, ohne sie zu verstehen. Insofern haben wir den Polen etwas voraus: Sie verstehen diese Entwicklung natürlich auch nicht, aber sie haben sich noch nicht daran gewöhnt.

 

Posener Ansichten: Das von einer Bamberger Familie erbaute erste technische Kaufhaus und stolze Bürgerhäuser am Markt

Fotos: Zempel (o.) / Harasym (u.)