19.04.2024

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19.10.02 / Tritte gegen das Schienbein

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Oktober 2002


Hans-Jürgen Mahlitz:
Tritte gegen das Schienbein

Die Preisvergabe sei "ein Tritt gegen das Schienbein für alle, die denselben Kurs wie die Vereinigten Staaten verfolgen". So begründete der Vorsitzende des Osloer Nobelkomitees, Gunnar Berge, die Auszeichnung des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis.

Berges Begründung ist ehrlich, aber doch recht überraschend. Daß die Motivation für diesen hochdotierten und nicht mehr ganz so hoch angesehenen Preis inzwischen so weit unterhalb der Gürtellinie angesiedelt ist, hatten wir denn doch nicht vermutet.

Was also sind die besonderen Verdienste des Preisträgers? An erster Stelle eben erklärtermaßen seine Kritik an der Irak-Politik des derzeitigen Amtsinhabers. Nun mag man aus den verschiedensten Gründen die harte Haltung Bushs gegenüber Saddam Hussein mißbilligen - Kritiker findet man in der Tat von weit linksaußen über die Mitte bis weit rechtsaußen -, aber als Begründung für den Friedensnobelpreis ist das wohl doch etwas dünn. Zumal die Masse der amerikakritischen Geister sich damit begnügen muß, von den noblen Herren in Norwegens Metropole nicht gegen das Schienbein getreten zu werden.

Immerhin war dem Komitee noch ein weiteres preiswürdiges Verdienst des Erdnußfarmers aufgefallen: die Vermittlung des Camp-David-Abkommens zwischen Israel und Ägypten im Jahre 1978. Freilich war auch dies allenfalls ein gutgemeinter Versuch, im Nahen Osten Frieden zu stiften - von einem Triumph konfliktvermeidender Friedfertigkeit aber kann keine Rede sein. Die Opfer der anhaltenden Gewaltakte israelischer Soldaten und palästinensischer Attentäter jedenfalls haben von einer erfolgreichen Friedenspolitik des Nobelpreisträgers Jimmy Carter bislang nichts gemerkt. So wundert es nicht, daß der Beifall für die Entscheidung des Osloer Komitees in Israel und Palästina deutlich schwächer ausfiel als im Irak.

Wie der Friedensnobelpreis, so erwies sich auch der Literaturnobelpreis in diesem Jahr wieder einmal als eine recht problematische Institution. Der ungarische Schriftsteller Imre Kertész wird in den Kulturteilen der deutschen Medien nahezu einheitlich nur nachrangig als Schriftsteller gefeiert; vor allem ist er Holocaust-Überlebender. Er hat ein Werk von Bedeutung geschrieben, das in Deutschland gleich zweimal unter verschiedenen Titels vertrieben wurde. Welchen literarischen, sprachschöpferischen, künstlerischen Rang dieser Roman hat, war bei keinem unserer medienbeherrschenden Literaturpäpste nachzulesen, man erfuhr lediglich, es handele sich um "Holocaust- und Anti-Diktatur-Literatur". Der Schwedischen Akademie der Wissenschaften reichte das offenbar zur Begründung der Preisvergabe. So bestätigte sich in diesem Jahr erneut: Auch der Literaturnobelpreis wird, bis auf allzu wenige Ausnahmen, vorrangig nach ideologisch-politischen Aspekten vergeben; mit ihm werden weniger herausragende literarische Leistungen, sondern politisch korrektes Wohlverhalten honoriert. Daß der diesjährige Preisträger nach Bekanntwerden der Stockholmer Entscheidung nichts Eiligeres zu tun hat, als sich öffentlich mit Martin Walser anzulegen und über einen angeblich in Deutschland grassierenden Antisemitismus zu lamentieren, liegt genau auf dieser Linie.

Noch ein Wort zu den übrigen Nobelpreisen: Physik, Chemie und Medizin bleiben die Domäne amerikanischer oder an US-Instituten arbeitender Forscher; die deutsche Präsenz unter den Preisträgern der letzten Jahre ist eine Art Fortsetzung der PISA-Studie auf höherer Ebene. Und den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften sollte man in dieser Form besser abschaffen - oder umbenennen in "Nobelpreis für Kaffeesatzleserei".