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19.10.02 / Begegnung in Rominten

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Oktober 2002


Begegnung in Rominten
von Gerd Schimansky

Ro-min-ten - allein schon dieser Name ... Der Großvater schloß beglückt die Augen. "Dieses O..." "Er wird wieder mal poetisch", seine Frau sah sich unsicher lächelnd unter den Enkeln um, aber die schien diese Poesie nicht zu stören.

"Rominten, dieses "O", fuhr er fort, "wie ein schweres Wälderrauschen ..."

"Schweres Rauschen gibt's doch nur an der See", unterbrach sie ihn. "Ach Oma", rief der älteste Enkel vergnügt, "du bist eben an der See aufgewachsen und er im Wald. Jeder hat eben sein Rauschen und zusammen klingt es so gut."

"Und dann dieses kurze i in Rominten", fuhr der Großvater fort, "da seh' ich die Rominte vor mir, wie still sie sich dahinwindet unter den überwachsenen Ufern. Hieß übrigens Kaiserlich-Rominten, der Ort", er wandte sich dem Enkel zu, "du studierst doch Geschichte." -"Ja richtig, dieser Kaiser, hast du den mal gesehen? Was war das für einer?"

"Na, ich war ja noch ein Kind, aber mein Vater so als Förster in Rominten ... Dem erzählte mal eine Köchin aus dem kleinen Jagdschloß, wie ihr ‚Majestät' auf dem Flur begegnete, sie mit vollem Tablett, und nu' knicks du mal und weich' ihm aus - vor Schreck ließ sie es beinah fallen. Aber er tritt zur Seite. Und wänn Majestät di so ankickt mit sine große blaue Augen, dat ist', als wänn dat läwe Gottke di ankickt." Dabei machte der Großvater solche Kaiseraugen. Alle lachten.

"Na ja", er seufzte, "dat läwe Gottke konnte auch ganz anders sein. Da erlebte mein Vater ihn beim Holzsägen." - "Beim Holzsägen?"

"Ja. Der hatte doch einen verkrüppelten Arm. Und da sägte er nun mit seinem gesunden Arm wie ein Besessener, stundenlang, wollte sich und anderen seine Riesenkräfte so richtig bescheinigen." Und einmal, als er wieder so pausenlos sägte, kam die Kaiserin. ‚Aber Wilhelm', sagte sie und wies auf den Leibjäger, der am anderen Ende der Säge stand, ‚der Mann ist doch schon ganz erschöpft, gönn' ihm eine Pause.' - ‚Scher' dich weg', fuhr der Kaiser sie an, und sein wütender Blick war kaum der vom läwen Gottke."

"Und die Kaiserin?" - "Sah so aus, als wäre sie an solch ein Benehmen ihres hohen Gemahls durchaus gewöhnt. Wandte sich still ab und ging."

"Ein Herrscher, der sich nicht beherrschen kann ..." Der Enkel schüttelte den Kopf. "Ja, meinen Vater empörte es immer, wie der Kaiser schoß. Auf weiteste Entfernung und noch in der Dämmerung, kaum Büchsenlicht, aber er - nichts wie drauflos geknallt. Ohne jede Hemmung. Göring schoß übrigens später genauso." - "Hast du den selber mal erlebt?" - "O ja, sah ihn mal, wie er in seinem Jagdschloß ankam, das hatte er sich mitten in der Rominter Heide gebaut, viel üppiger als das kaiserliche, das im Ort stand. Übrigens die alte Köchin, die lebte noch, die nannte ihn immer ‚das Göring'. ‚Das Kaiser' hätte sie nie gesagt."

"Aber Bismarck", meinte der Geschichtsstudent, "der hat den Kaiser doch mal mit einem Luftballon verglichen, den muß man immer an der Strippe halten, sonst saust er sonstwohin."

"Mag sein. Aber einmal stand er, da war er eben doch ein wirklicher Herr, ein Mann von Ehre und Anstand." Der Großvater trat ans Bücherregal. "Die Erinnerungen des Prinzen Louis Ferdinand, ein Sohn des Kronprinzen - ich finde sie im Moment nicht, aber der schrieb, daß er am 10. November 1938 beim Kaiser in Doorn war, wo er ja im Exil lebte. Und da kam die Meldung, daß im Reich nachts die Synagogen gebrannt hätten. Da wurde Wilhelm so zornig, wie ihn der Enkel noch nie erlebt hatte. ‚Was', schrie er, ‚jetzt werden auch Tempel schon geschändet? Jetzt schäme ich mich, ein Deutscher zu sein!'"

Nach einer Weile meinte der Enkel: "Er lebte eben noch in einer Überlieferung, er war kein Emporkömmling."