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26.10.02 / Indonesien: Blick auf ein Pulverfaß

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Oktober 2002


Indonesien: Blick auf ein Pulverfaß
Und jetzt auch Bali: Islamistischer Terror zerreißt ein 230-Millionen-Volk
von Albrecht Rothacher

Für den amerikanischen "Krieg gegen den Terror" ist Südostasien nach der arabisch-zentralasiatischen Welt die "Zweite Front". Washington befürchtet, Osama Bin Laden und seine Spießgesellen könnten bei islamistischen Sympathisanten in den Dschungeln des südphilippinischen Aufstandsgebiets von Mindanao oder auf einer der 13.000 Inseln des weitgehend unregierbar gewordenen Indonesien untertauchen. Von dort könnten sie, so das Szenario, mit einheimischen Piraten, abtrünnigen Militärs oder den polit-kriminellen Banden von Abu Sayaf, Laskar Jihad und der Islamischen Verteidigungsfront FPI, die mit Al Quaida gute Beziehungen unterhielten, rechtsfreie Zonen nutzen und neue Anschläge auf die internationale Schiffahrt, Touristen und US-Einrichtungen unternehmen.

Dabei gilt das indonesische Inselreich mit seinen zahlreichen Aufstands- und Unruhegebieten, die von Aceh, dem islamistischen Nordzipfel Sumatras im Westen, bis zu den von Melanesiern bewohnten Papua, der Westhälfte Neuguineas, im Osten reichen, als Hauptsorgenkind, zumal das korrupte, unterbezahlte Militär und die Polizei gerne Waffen und Munition an aufständische Banden verkaufen, sofern sie nicht selbst an Plünderungen teilnehmen.

Eine intensive Besuchsdiplomatie, bei der sich Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz in Jakarta die Klinke in die Hand gaben, sowie die Umschuldungsprogramme des IWF - es geht um 5,4 Milliarden US-Dollar, die das ölreiche Land nicht bedienen kann - sollten das zögerliche 230-Millionen-Volk und seine Nachbarn auf Vordermann bringen. Präsidentin Megawati ist als Tochter des Gründungspräsidenten Sukarno und Chefin der "Demokratischen Partei - Kampf" (PDI - P) eigentlich im nationalistisch-laizistischen Lager, gilt jedoch als chronisch entscheidungsschwach, zumal sie ihre Koalition mit dem islamistischen Vizepräsidenten Hamzah Haz, der offen mit der Laskar Jihad und der gewalttätigen FPI sympathisiert, nicht gefährden will.

Schließlich hatte der Druck aus Washington Erfolg: Alle in der "Asean"-Organisation zusam-mengeschlossenen südostasiatischen Länder unterzeichneten kürzlich mit den USA ein Abkommen gegen den Terror. Ob den Indonesiern die Umsetzung gelingen wird, steht in den Sternen.

Allein die versprochene Militärhilfe hat es in sich. Nach den Massakern, die das indonesische Militär und die von ihm ausgerüsteten Milizen im August 1999 im katholischen Osttimor angerichtet hatten, wurde Indonesien von allen westlichen Ländern die Militärhilfe, die zuvor reichlich floß und nach Ansicht des früheren australischen Außenministers Gareth Evans nur effektivere Folterknechte hervorgebracht hatte, gesperrt. Das indonesische Militär war erbost, daß mehr als 90 Prozent der 1975 annektierten Osttimoresen für die Unabhängigkeit gestimmt hatten. Nach der Flucht der Uno zerstörten die örtlichen Truppen mit Wissen von Generalstabschef Wiranto die Hauptstadt Dili und massakrierten systematisch vor allem jene, die als Lehrer, Priester, Unternehmer und Politiker nach der Unabhängigkeit, die in diesem Sommer erfolgte, nützlich sein würden. Solange diese Massenmorde noch ungesühnt sind, will der US-Senat weiter die vom Pentagon geplanten Anti-Terrormittel für Jakarta von 21 Millionen Dollar blockieren.

Doch Terror und Gegenterror gibt es seit dem Sturz des Autokraten Suharto im Jahre 1998 zuhauf. General Suharto hatte nach den Morden an rund 500.000 chinesischen "Kommunisten" im Jahre 1965 die Macht ergriffen, sich selbst und seinen Klan mit einem auf rund 50 Milliarden US-Dollar geschätzten Privatvermögen unermeßlich bereichert, doch mit eiserner Hand in dem Riesenreich mit seinen 300 Völkern und 360 Sprachen ethnische und religiöse Unruhestifter, einschließlich aller politisierenden Islamisten, bis in die 90er Jahre unterdrückt.

Beim Sturz des verhaßten Diktators kamen 1998 bei Plünderungen der chinesischen Geschäfte und Wohnviertel 1.600 Menschen ums Leben. Seither zeigt sich auch in Indonesien, daß Multikultur und Demokratie sich mangels gemeinsamer Werte und Normen oft ausschließen. Eine Vielzahl blutiger interethnischer und interreligiöser Konflikte erschüttert seither das Riesen-Inselreich:

Auf Borneo (Kalimatan) vertreiben seit 1999 systematisch die eingeborenen Dajak-Kopfjäger-Stämme die zu Hunderttausenden aus den übervölkerten Inseln Java und Madura Eingewanderten. Eigentlich friedfertig und gutmütig fühlen sich die Dajak zunehmend in ihrer mit dem Dschungel verbundenen Lebensweise von dem aggressiven Raubbau, Geschäftemacherei und den Privilegien der Javanesen bedroht. Einmal auf dem Kriegspfad soll es Dajak-Sitte sein, seinen Feind zu köpfen, seine Leber und sein Herz zu verspeisen und seine Familie sowie alle Spuren seiner bisherigen Existenz auszulöschen. Auch spielt der abgetrennte Kopf des Gegners für die Weihe der Langhäuser eine wichtige Rolle. Holländische Missionare überzeugten die Dajak in den 30er Jahren, statt dessen Rinderschädel zu verwenden. Jetzt wird die alte Tradition wieder gepflegt. Mindestens 6.000 Tote und Hunderttausende Flüchtlinge unter den Javanesen sind die bisherige Bilanz.

In Aceh, der Nordspitze von Sumatra, kämpfen separatistische Milizen gegen eine brutal agierende Besatzungsarmee von 30.000 Mann. Die Rebellen der "Bewegung Freies Aceh" (GAM) wollen mit libyscher Unterstütznung ein unabhängiges islamistisches Sultanat errichten. Es geht aber auch, wie sonst in Indonesien, um die Kontrolle lukrativer Öl-, Gas- und Holzkonzessionen. Nach 10.000 Toten seit 1976 gewährte die Zentralregierung jetzt regionale Autonomierechte. Sofort wurde vor Ort die Scharia mit einer islamischen Justiz für alle Moslems und Verschleierungsgeboten für alle Frauen, die von einer Religionspolizei überwacht werden, ausgerufen.

Auf den östlich gelegenen Inseln Celebes (Sulawesi), Ambon, den früher als Gewürzinseln bekannten Molukken, auf Papua (Iriyan Jaya) und Westtimor, die rund zur Hälfte christlich sind, mischen sich seit 1998 Stammeskriege, religiöse Konflikte und antichinesische Pogrome. Auf Papua und Westtimor verlangt die melanesische Bevölkerungsmehrheit auch die Unabhängigkeit, die Jakarta angesichts des unerschlos- senen Rohstoffreichtums beider Inselhälften nicht zu gewähren bereit ist. Die Ermordung des papuanesischen Unabhängigkeitsführers Theys Eluay durch das Militär verschärfte vor Jahresfrist die Kämpfe. Vor allem während der Weih-nachtszeit brennen die Kirchen. Im Jahre 2000 wurden allein 400 zerstört. Dabei spielen die 15.000 Mann starken Milizen des Laskar Jihad eine unheilvolle Rolle. Von ihren Quartieren auf West-Java werden sie mit Billigung von Polizei und Militär, die sie oft mit Schnellfeuergewehren und Granatwerfern ausrüsten, auf die weiter östlich gelegenen Inseln zum heiligen Krieg gegen die Christen transportiert.

Dort werden christliche Dörfer vor die Wahl gestellt, entweder zum Islam zu konvertieren oder einer Mord- und Verwüstungsorgie zum Opfer zu fallen. Chinesische Händler und Pfandleiher werden ohnehin als erste geplündert und gebrandschatzt. Mittlerweile wurden auch christliche Milizen namens "Laskar Kristus" organisiert - ohne allerdings die Protektion von Polizei und Militär zu genießen, die sich vor Ort meist auf das Wegsehen und Schutzgeldersammeln spezialisiert haben. Auf den Molukken griffen das Luftlandebataillon 733 und die mobile Polizeibrigade sogar direkt auf islamischer Seite in die Kämpfe ein. Die bisherige Opferbilanz: auf Ambon und den Molukken allein seit 1999 15.000 bis 29.000 Tote.

Traditionell gelten die "Dschungelmuslime" Südostasiens als toleranter und lebensfreudiger als ihre asketischen Glaubensgenossen der arabischen und zentralasiatischen Steppen ("Wüstenmuslime"). Erst im 17. Jahrhundert führten die meisten Malayenhäuptlinge, denen die absolute Machtfülle und die Vielweiberei als muslimische Sultane gefielen, unter dem Einfluß arabischer Händler ihre seit tausend Jahren hinduistischen Untertanen zum Islam. Sie praktizierten ihre örtlichen Kulte und farbenprächtigen Rituale, die auf der einzig hinduistisch gebliebenen Urlaubsinsel Bali noch original zu bewundern sind, aber auch im muslimischen Kultus weiterlebten - oft in der mystischen, außerweltlichen Sufi-Tradition des Islam.

Nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen die Niederlande wurde vom Staatsgründer Sukarno 1947 die Staatsdoktrin "Pancasila", die einen agnostisch-monotheistischen Nationalismus des künstlichen Vielvölkerreiches für alle Bürger verpflichtend darstellte, ausgerufen. Bis in die 90er Jahre wurden islamistische Tendenzen zunächst von Sukarno und dann von seinem Nachfolger Suharto verfolgt.

Mit der Demokratisierung sind die Zeichen einer Islamisierung Indonesiens unübersehbar geworden, da der streng genommene Islam alle Lebensbereiche und Handlungen der Gläubigen kontrolliert: Grußformen, Mahlzeiten, Anzugsordnung, das Familienleben und das Bildungs- wesen, die tägliche Koranlektüre, das fünfmal tägliche Gebet, die Freitagsandachten und die Fastenzeiten des Ramadan werden mehr und mehr öffentlich eingehalten. In Umfragen bezeichnen sich mittlerweile rund die Hälfte der 200 Millionen indonesischen Muslime, die an die 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, als strenggläubig.

Noch sind die Anhänger des Gottesstaates und des islamischen Rechts, der Scharia, deren Parteien bei den Wahlen von 1999 nur acht Prozent erhielten, klar in der Minderheit. Noch lehnen die großen islamischen Massenbewegungen, die relativ liberale Nahlatul Ulama (NU) und die orthodoxere Muhammadiyah, die mit je 35 Millionen Anhängern die meisten Koranschulen und Moscheen kontrollieren, sowie die großen säkularen Parteien, wie Megawatis PDI-P und die vormalige Staatspartei Golkar, und die aktuelle Parlamentsmehrheit die Einführung der Scharia ab.

Doch sind die Anzeichen einer Radikalisierung - zumal unter der studentischen Jugend - deutlich. Der Einfluß der radikalen saudischen Wahabiten äußert sich in der an staatlichen Hochschulen einflußreichen Tarbiyah-Bewegung. Auch jene sechs Millionen Koranschüler, denen ein moderner Unterricht in Naturwissenschaften, Mathematik und Fremdsprachen vorenthalten bleibt, sind ein wachsendes, auf dem Arbeitsmarkt unvermittelbares Radikalisierungspotential. Auf der Hauptinsel Java werden allabendlich von sogenannten Taliban-Brigaden Nachtklubs, Bars, Spielhöllen, Bordelle, Diskos und Getränkehandlungen überfallen und als unislamisch angezündet. Die unterbezahlte Polizei sieht zu, sei es aus Sympathie, sei es, um Schutzgelder zu erpressen.

Die allgemeine Rechtsunsicherheit gibt der die Wirtschaft kontrollierenden, fleißigen und geschäftstüchtigeren, nichtisla- mischen chinesischen Minderheit nur ein Signal: Rette sich, wer kann. Ihr Kapital verlegt sie rechtzeitig ins nahe Singapur oder Australien. Die Entwicklung der krisengeschüttelten indonesischen Volkswirtschaft und die politische Stabilisierung des Landes haben damit selbstverschuldet das Nachsehen.