26.04.2024

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26.10.02 / Melodie aus Königsberg

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Oktober 2002


Melodie aus Königsberg
von Margot Kohlhepp

Hör mal!", wie angewurzelt bleibe ich mitten im Zimmer stehen und lausche nach draußen. Mein Mann sieht von der Zeitung auf und sagt dann: "Das war nur der Omnibus."

Es war wirklich ein Bremsgeräusch vom Omnibus, dessen Haltestelle vor unserem Nachbarhaus ist. Täglich bremst der Bus etliche Male an unserem Vorgarten, um dann gleich hinter dem Tor zum Stehen zu kommen. Dies gehört zum Alltag, und man achtet nicht weiter darauf. Aber alle paar Wochen werde ich von dem Bus aufgeschreckt. Vielleicht ist es ein Aushilfsfahrer, der seine eigene Taktik des Abbremsens entwickelt hat, durch schnelles Herunterschalten der Gänge etwa. Wenn ich dieses merkwürdige Geräusch höre, erstarre ich fast, und Heimweh kneift ins Herz, denn so klang es, wenn in Königsberg die Straßenbahnen Nr. 15 und Nr. 3 durch die langgezogene Kurve zwischen Krausallee und Hammerteich fuhren.

Ich muß noch recht klein gewesen sein, als mich meine Eltern zu einem Besuch der Großeltern in Königsberg mitnahmen und dies in meiner Erinnerung blieb. Die Bahnfahrt allein war schon aufregend, aber dann näherten wir uns gegen Abend der Großstadt: ihr Lichtermeer erschien mir schöner als der klarste Sternenhimmel. Quer durch die Stadt ging es mit der Straßenbahn. Auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz das imponierende Standbild vom Kaiser. Gleich danach kam das Schloß in mein Blickfeld. Groß sah es aus, aber bei weitem nicht so herrlich wie die Schlösser in meinem Märchenbuch. Um den hellerleuchteten Nordbahnhof fuhr die Bahn herum und dann immer weiter, bis endlich die Krausallee kam und wir ausstiegen.

Schon an der nächsten Ecke ging es in die kleine Dornstraße, gebogen wie eine Mondsichel und eingerahmt von einer dichten etwa einen Meter hohen Hecke aus rosablühenden Rosen. In Nr. 4 befand sich die recht kleine Wohnung der Großeltern. Das Bett im Besuchszimmer war für meinen Vater bestimmt. Im Wohnzimmer schob Oma Stühle ans Sofa, legte auf deren Sitze und das Sofa Unterbetten und machte so für meine Mutter und mich das Nachtlager.

Da liege ich nun in der fremden Umgebung im Dunkeln und höre auf die leisen Geräusche der Stadt. Ein bißchen gönnerhaft meine ich, diese seien gegenüber denen von zu Hause ziemlich nichtssagend. Wenn dort die Äste der Linde bei Wind sanft ans Fenster streichen oder das Käuzchen auf der Scheune schreit, ist das doch viel eindrucksvoller. Aber auf einmal vernehme ich eine Melodie aus leicht quietschenden, fremdartigen Lauten, sie waren bereits in Andeutung während der Straßenbahnfahrt da. Jetzt in der Nacht klingen sie laut und eindringlich. "Das ist also Königsberg!", ein Gefühl der Zuneigung erfüllt mich, und die Liebe zu dieser Stadt nimmt ihren Anfang; hier werde ich später einige Jahre leben und von der Straßenbahn allabendlich mein Schlaflied bekommen.