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26.10.02 / Nanette Kaiser über ihre Erlebnisse mit Autoren, Büchern, Verlagen und Besuchern auf der Messe

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Oktober 2002


Biographien im Mittelpunkt
Nanette Kaiser über ihre Erlebnisse mit Autoren, Büchern, Verlagen und Besuchern auf der Messe

Im Zug auf dem Wege zur Buchmesse passierte mir etwas Ungewöhnliches. Ich saß im ICE auf der Strecke Hamburg- Frankfurt. In Kassel stieg ein Mann mittleren Alters zu und setzte sich neben mich. An sich ist das weiter nichts Besonderes. Doch dieser Mann war blind. Trotzdem bewegte er sich sehr sicher und gut orientiert. Im Gespräch stellte sich heraus, daß auch sein Ziel die Buchmesse in Frankfurt war. Ehrlich gesagt, ich war etwas verdutzt: Was will denn ein Blinder auf der Buchmesse? Ist das nicht nur etwas für Leute, die sehen können? Und überhaupt, wie soll der sich denn dort zurechtfinden? Die Unterhaltung jedenfalls wurde immer interessanter. Mein blinder Nachbar fing an, mir aus seinem Leben zu erzählen: von seinem Musikstudium bis hin zu seinen Aufenthalten in China, wo er - als Klavierstimmer - junge Chinesen ausgebildet hatte. Sogar ein paar Buchstaben der Punktschrift hat er mir beigebracht. Und zu guter Letzt bekam ich sogar Heine- und Storm-Gedichte vorgelesen. Unglaublich, er las die Punktschrift so schnell, wie ein Nichtblinder die gewöhnliche Druckschrift liest. Am Frankfurter Bahnhof angekommen, trennten sich dann unsere Wege. Wir verabredeten uns aber für den nächsten Tag am Stand des Blindenverlags, an dem er tätig war.

Durch die Messehallen wandernd - bei rund 250.000 Besuchern im ganzen - überlegt man sich doch schon im geheimen:

Ob ich hier einen Bekannten treffe? Wie sagt schon das alte Sprichwort: Die Welt ist klein! Gerade 20 Minuten auf dem Messegelände, laufe ich in der erstbesten Halle einem ostpreußischen Jungverleger aus Berlin über den Weg. Die Messehallen sind regelrecht vollgestopft mit Verlagsständen. Neben den großen bekannten wie Ullstein und Beck präsentieren sich auch unzählige kleine Verlage, angefangen von der Edition Antaios bis hin zum Bund für Deutsche Schrift und Sprache e.V. Unzählige Bücher um einen herum: Irgendwie kommt man sich plötzlich ganz klein vor bei dieser riesigen Menge an Wissen und Bildung, die dort herumschwirrt in der "Welthauptstadt der Gedanken". Die großen Zeitungen präsentieren sich, sammeln fleißig Probeabos, und auch die kleinen - wie die Junge Freiheit - lassen sich den Auftritt nicht entgehen. An allen Ecken und Enden bekommt man etwas geschenkt. Das reicht vom Kugelschreiber über das Gläschen Sekt bis zum Stückchen Schokolade. Fast jeder Aussteller hatte Programm an seinem Stand organisiert: Autogrammstunden und Gespräche mit Autoren, Diskussionen, Vorstellung von Neuerscheinungen. Der Besucher kann sich kaum entscheiden, was und wen er zuerst besucht. Jede Halle ist verschiedenen Themen zugeordnet: Literatur und Sachbuch sind, hinzu gesellt sich die Touristik, hier konnte man einen Stand mit zweisprachigen Höfer-Karten unter anderem von Ostpreußen entdecken wie auch eine riesige Ostpreußen-Ecke am Stand des Verlagshauses Flechsig aus Würzburg. Ins Auge stachen die vielen Rautenberg-Bücher der 144-Bilderreihe. Freundlich begrüßt wurde ich hier vom Ehepaar Glesius, das für den Vertrieb zuständig ist.

Ich glaube, ich bin an einem Wochenende noch nie so vielen unterschiedlichen prominenten Personen begegnet wie auf der Buchmesse. Von Autoren aus allen Schichten über Gewerkschaftsbosse bis hin zu Intendanten aus Rundfunk und Fern- sehen. Ja, ich habe auch Dieter Bohlen gesehen. Man hätte fast denken können, der Bundeskanzler kommt, so ein Aufsehen erregte sein Erscheinen. "Er ist einen Meter neben mir her- gegangen", hörte man begeisterte junge Mädchen kreischen. Von der Sängerin Alexandra hatten wir es ja bereits gewußt, daß sie ihre Wurzeln in Ostpreußen hat, Popstar Bohlen lieferte uns diese Information in seiner Autobiographie "Nichts als die Wahrheit" erst jetzt: "Die Mutter meiner Mutter, Oma Marie, war Hausfrau in Königsberg und flüchtete nach dem Krieg mit Opa Wilhelm, einem Konditormeister, und fünf Kindern in die Nähe von Oldenburg." "Modern Talking" ist also auch "Musik made in Ostpreußen". Ob wir Ostpreußen jetzt stolz drauf sein oder diese Information lieber verheimlichen sollten, bleibt jedem selbst überlassen. Stellen Sie sich einmal vor: Bunter Abend auf dem nächsten Deutschlandtreffen der Landsmannschaft Ostpreußen, und angesagt wird Dieter Bohlen ... Na ja, so als großzügigen Spender für die Bruderhilfe könnten wir den "Multi-Millionär" doch gebrauchen, oder?

Das Programm im ganzen war sehr vielfältig. Insgesamt haben gut 250 unterschiedliche Veranstaltungen mit mehr als 300 in- und ausländischen Autoren stattgefunden. Rund 6.400 Aussteller aus 110 verschiedenen Ländern trafen sich vom 9. bis 14. Oktober in den Frankfurter Messehallen. Das sind ungefähr 250 Stände weniger als in den letzten Jahren. Grund für die Absagen ist die wirtschaftliche Krise der Verlage im allgemeinen. Nach "elektronischen Büchern", die vor zwei Jahren noch ein Lieblingsthema in Frankfurt waren, fragt heute keiner mehr. Das Blättern im Buch zählt eben doch zum Lesen dazu. Hörbücher scheinen hier allerdings eine Ausnahme zu sein. Das Geschäft mit ihnen hat weiterhin Aufwind. Sie sind nicht nur für faule Leser oder solche, die immer zwei, drei Sachen gleichzeitig machen wollen, entdeckt worden, sondern auch für ältere Menschen, die beispielsweise Schwierigkeiten mit dem Augenlicht haben. Immer mehr Bücher er- scheinen gleichzeitig auch auf Kassette oder CD mit der vollständigen oder einer gekürzten autorisierten Fassung. Zu den Bestsellern dieses Jahres gehören besonders die Biographien, die vorher oft aus ideologischen Gründen nicht in dieser Weise geachtet waren. Von Günter Grass über Leni Riefenstahl und Boris Becker bis zu Willy Brandt, man hat das Gefühl, man fände über jeden irgend etwas. Und dabei sollen doch die Biographien laut dem Literaturwissenschaftler Christian Klein die Bastarde der Geisteswissenschaft sein. Aber sie sind eben doch spannend und vor allem interessant zu lesen.

Der mit 15.000 Euro dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ging in diesem Jahr nach Afrika, und zwar an den nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe. Der 71jährige lehrt als Professor in den USA. In seinen Büchern hat er die Erfahrungen der Kolonisierung aus afrikanischer Sicht beschrieben. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und machen ihn zu einem Vorbild für viele andere afrikanische Schriftsteller.

Abschließend läßt sich nur festhalten: ein Besuch lohnt sich und wer immer die Gelegenheit hat hinzufahren, sollte sie nutzen. Und noch ein kleiner Tip: die Hotelübernachtungen sind zu solch einem Anlaß natürlich sündhaft teuer, aber Frankfurt hat eine gute Jugendherberge.

Übrigens: Meine blinde Zugbekanntschaft habe ich am Stand besucht. Der Blindenverlag "Pauline von Mallinckrodt" präsentierte seine vielseitiges Verlagsprogramm von Kochbüchern über Kalender bis hin zu litauischen Bibelübersetzungen. Die Druck-Erzeugnisse werden in alle Welt geliefert. Der Verein entstand aus dem Gedanken der Selbsthilfe heraus, Bücher für Blinde herzustellen. Die Ursprünge dieser Einrichtung reichen zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Wirklich beeindruckend!

Ostpreußen-Ecke: Johannes Glesius vom Verlagshaus Flechsig zeigt einer Messebesucherin einen Bildband über Ostpreußen. Foto: Kaiser