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16.11.02 / Kämpfe verhindern Aufbau / Lokalfürsten ringen miteinander um Vorherrschaft am Hindukusch

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. November 2002


Kämpfe verhindern Aufbau
Lokalfürsten ringen miteinander um Vorherrschaft am Hindukusch

Mitte der neunziger Jahre. Kabul ist ein Schlachtfeld und liegt in Trümmern. Verschiedene islamische Gruppen, unter ihnen auch Kämpfer der Taliban und der späteren Nordallianz, liefern sich Schamützel. Die Granaten schlagen ein und erschüttern die Stadt. Die rußlandfreundliche Regierung fällt auseinander.

Inmitten der Wirren wird Hamid Karsai, der jetzige Staatspräsident, vom gefürchteten Geheimdienst KHAD festgenommen und zum Verhör verschleppt. Die Häscher stehen im Dienste von Mohamed Kassim Fahim, dem heutigen Verteidigungsminister des Landes. Der ist bekannt dafür, seine Gegner die Macht seiner Truppen mit Gewalt spüren zu lassen.

Sieben Jahre später ist Fahim immer noch Chef des Geheimdienstes. Jetzt jedoch scheinbar mit demokratischen Weihen. Da wird der Vize-Präsident Afghanistans, Hadschi Kadir, durch ein gezieltes Attentat ermordet. Schnell sind Gerüchte im Umlauf, daß die Drahtzieher nicht bei der von allen Seiten bekämpften Al Kaida zu finden seien, sondern in den eigenen Reihen. Als der afghanische Präsident Hamid Karsai beschließt, seine durch den Verteidigungsminister Mohammed Kassim Fahim gestellte Leibwache durch 70 amerikanische "Special Forces" zu ersetzen, geht ein fataler Verdacht durchs Land am Hindusch: Es wird geraunt, der Paschtune Karsai wähne die Pandschiris um den "Marschall" Fahim hinter dem Attentat - wie hinter vielen der regionalen Unruhen. Es kommt zum Eklat und offenen Bruch zwischen Karsai und Fahim. Das ist nur knapp vier Monate her. Nun soll das alles Schnee von Gestern sein.

In einem kürzlich der Zeitung Die Welt gegebenen Interview streitet Fahim jegliche Differenzen und mutmaßlichen Alleingängen ab: " ... Es ist unser Wunsch, zusammen mit Exzellenz Karsai den Frieden in unserem Land durchzusetzen. Eines können Sie mir glauben: Karsai und ich sind wie ein und dieselbe Person. Da gibt es keine Unterschiede ...". Experten mögen der neuen Brüderlichkeit in Afghanistans Kabinett indes nicht recht trauen. Denn es gibt ganz unübersehbare Unterschiede in der politischen Bindung und im politischen Handeln zwischen Fahim und Karsai. Dieser steht eindeutig unter amerikanischer Protektion. Er vollzog den Schwenk der USA von einer Unterstützung der Taliban bis weit über die Mitte der 90er Jahre hinaus hin zu einer Gegnerschaft in diesem Jahrhundert mit, wobei nicht bloß politische Freiheitsliebe, sondern auch ökonomisches und persönliches Kalkül ein Rolle gespielt haben dürften.

Karsai war Berater des US-Ölmultis Unecon für Afghanistan und die Region. Er führte für die amerikanische Ölindustrie Verhandlungen über den Bau von Erdgasleitungen noch bis Mitte der 90er Jahre - mit den Taliban. Schließlich betrieben die USA ganz gezielt Karsais Bestätigung als Präsident durch die Große Ratsversammlung (Loya Dschirga). Doch Karsais Position ist ganz und gar nicht gefestigt. Seine "Macht" ruht auf den Bajonetten ausländischer, auch deutscher, Schutztruppen. Sein Arm reicht kaum weiter als zu den Außenbezirken der Hauptstadt Kabul. Anders die Situation Mohammed Kassim Fahims, dem Nachfolger des "Löwen von Pandschir", Tadschikenführer Ahmed Schah Massud, der nach seiner Ermordung durch die Taliban zum Märtyrer und Volkshelden wurde.

Irritierend ist nicht bloß Fahims undurchsichtiges Verhältnis zum Präsidenten, sondern auch seine außenpolitischen Akzente. Der Verteidigungsminister setzt offenbar weniger auf die USA als auf deren heimlichen Rivalen Rußland. So reiste Fahim kürzlich nach Moskau, um, wie er verlautbaren lies, die guten Beziehungen zu Moskau zu unterstreichen.

Der gute Draht zum Kreml hat für den Wehrminister ganz praktische Reize: Ein Großteil der Waffen der Nordallianz und der Mudschahedin sind russischer Bauart. Rußland bietet sich also als Nachschublieferant an. Waffenexporte und Ersatzteile bringen überdies den Russen Devisen. Noch ärgerlicher für die US-Regierung: Fahim betont immer wieder, daß er ebenfalls die Unterstützung des Iran schätze, der die Nordallianz im Kampf gegen die islamistischen Taliban unterstützt hat. Viele Beobachter der Lage befürchten ein wieder Aufflammen heftiger Kämpfe, insbesondere unter den ethnischen Gruppen, die entweder Fahim oder Karsai nahestehen.

Schon liefern sich im Westen Afghanistans tadschikische Krieger des pro-iranischen Provinzgouverneurs Ismael Khan Gefechte mit paschtunischen Soldaten aus dem Süden des Landes und erst diese Woche sind 16 amerikanische Soldaten durch Attentate ums Leben gekommen. Im Osten Afghanistans ruft Chan Sadran, der über ein Heer verfügt, das größer ist als die nationale Armee, offen zum Widerstand gegen Karsai auf. Diese ethnischen Auseinandersetzungen blockieren wichtige Verkehrswege und verhindern den Wiederaufbau der Infrastruktur. Zudem können die von den USA ins Auge gefaßten Öl- und Gasleitungsprojekte nicht umgesetzt werden.

Dabei geht es bekannterweise nicht nur um Transportwege für Bodenschätze oder die geostrategische Lage Afghanistans. Geld, das aus Opium gewonnen wird, bewegt die Gemüter. Unter den Taliban wurde der Opiumanbau auf Drängen der Uno und Kofi Annans reduziert, während die Produktion im Gebiet der Nordallianz gewaltig expandierte. Bis zum Jahr 2000 war Afghanistan das mit Abstand größte Drogenanbauland der Welt. 4600 Tonnen Roh-Opium sind noch 1999 produziert worden. Der Uno gelang es in Verhandlungen mit dem Taliban-Regime, diese von einem Opium-Bann zu überzeugen. Nicht jedoch die jetzt das Land dominierende Nordallianz.

Die USA unterstützen mit der Nordallianz indirekt auch die Schlafmohnproduktion im durch Krieg zerrütteten Afghanistan. Gerade in Gebieten, in denen die Nordallianz ihr Aufmarschterrain hatte, wurde und wird weiter Mohn angebaut und nach Tadschikistan geschmuggelt. Heute züchten auch jene Bauern, die in den letzten Jahren auf Getreideanbau umgestiegen waren, wieder die Droge, aus der Heroin gewonnen wird. Ihnen muß eine Alternative aufgezeigt werden - sonst bauen sie weiter den gewinnbringenden Schlafmohn an.

In gut einem Jahr wird in Afghanistan frei gewählt. Solange jedoch die Regionalfürsten ein Interesse an der Instabilität im Lande haben, solange braucht das Land internationale Schutztruppen und auch deutsche Soldaten. kpg

 

Opiumfeld: Afghanische Landwirte bauen aus Gewinnstreben statt Getreide wieder vermehrt Mohn an. Foto: reuters