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23.11.02 / Wie schlampige Recherchen die Spuren der NS-Vergangenheit zum Mythos verwischen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. November 2002


"Wahrheitsgehalt fragwürdig"
Wie schlampige Recherchen die Spuren der NS-Vergangenheit zum Mythos verwischen

Die Olympischen Spiele von 1936 waren ein gewaltiger Propaganda-Erfolg der Nazis. Dennoch gaben sie das Muster für die späteren Spiele. Gefangen in diesem ärgerlichen Dilemma nehmen Journalisten jede Geschichte begierig an, um die Superschau zu entlarven - und sitzen dabei mancher Legende auf.
von Hans-Joachim v. Leesen

Je größer die Entfernung zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges wird, desto phantasievoller werden Medienberichte darüber. Das mag damit zusammenhängen, daß die jetzt tätigen Presse- und Fernsehjournalisten die Ereignisse nicht mehr erlebt haben und daß ihre in der Schule und teilweise auch in der Hochschule vermittelten Kenntnisse miserabel sind, so daß man ihnen zubilligen muß, es nicht besser zu wissen.

Das entschuldigt die Falschberichterstattung jedoch nicht, gehört doch die gründliche und unvoreingenommene Recherche zu den Grundsätzen eines kompetenten Journalismus - so postuliert es jedenfalls der Deutsche Presserat.

Aber auch einige nun alt gewordene Zeitzeugen fühlen sich bemüßigt, ihre Erlebnisse von damals so zu frisieren, daß sie den Eindruck erwecken, in ihrer tiefsten Seele immer Widerstandskämpfer gewesen zu sein. So können sie sich auf die Seite der Sieger mogeln, und wer gehörte nicht gern zu den Siegern?

Eine ergiebige Quelle, sich sein Mütchen an den Deutschen zu kühlen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten, bilden offenbar die Olympischen Spiele in Berlin von 1936. Nicht wegzudiskutieren ist die Tatsache, daß deren Vorbereitung, Organisation und Durchführung alle vorherigen Olympischen Spiele in den Schatten stellten. Nur ungern wird zugegeben, daß die Berliner Spiele in den späteren Jahrzehnten zum Muster wurden. Es kann auch nicht vergessen gemacht werden, daß in den Sommer- und Winterspielen 1936 die Deutschen die erfolgreichste Nation waren; sie errangen die meisten Medaillen.

So bleibt dann nur übrig, die Olympischen Spiele, seien es die von 1936, seien es daran anknüpfend die der folgenden Jahrzehnte, zum Anlaß zu nehmen, hämische Bemerkungen gegen die Deutschen abzusondern oder Greuelmärchen zu verbreiten. Gern wird angeprangert, daß Hitler sich geweigert haben soll, dem mit vier gewonnenen Goldmedaillen erfolgreichsten Läufer aus den USA, Jesse Owens, die Hand zu geben, als er ihm die Medaillen übereichte, weil der ein Farbiger war. Dabei wird vergessen, daß noch nie ein Staatsoberhaupt Olympia-Medaillen vergeben hat, sondern daß das die Aufgaben des internationalen Olympischen Komitees IOC war und ist. So hatte der Rassist Hitler auch keine Gelegenheit, dem Wunderläufer aus den USA die Hand zu verweigern.

Die Frankfurter Allgemeine veröffentlichte am 7. Februar 2002 eine "Rückblende" auf Olympia und schrieb darin, daß sich "auf dem offiziellen Plakat der Winterspiele 1936 der Hitler-Gruß nur ahnen läßt". Tatsächlich ist vom Hitler-Gruß auf dem Plakat weit und breit nichts zu sehen. Weiter: Der Schwimmer "Karl Schäfer verpaßt ein halbes Jahr später seinen Start beim Brustschwimmen in Berlin wegen einer Verbrennung, die er sich bei einer Erfindung der Nazis zuzieht: dem olympischen Fackellauf. Bis zu den nächsten Spielen wird die Welt wissen, daß es nur eine Fingerübung der braunen Brandstifter war". Darauf muß man erst mal kommen! Läufer, welche die in Olympia entzündete Fackel an den Ort der Spiele bringen, treiben Fingerübungen für spätere Brandstiftungen, etwa von Synagogen. Für was sind wohl die seitdem üblich gewordenen, durch die halbe Welt getragenen Fackeln mit dem olympischen Feuer "Fingerübungen"?

Wie kritiklos Journalisten sich bequemer Klischees bedienen, die ihren Ursprung nicht selten in der psychologischen Kriegsführung der Siegermächte haben, das zeigte wiederum die Frankfurter Allgemeine in einem Beitrag am 19. Juli 2002. In einem Rückblick auf die Olympischen Spiele in Helsinki liest man: "Der (sowjetische) Turner Wiktor Tschukarin war der deutschen Kriegsgefangenschaft nur entkommen, weil die Sprengsätze auf dem Lastkahn, mit dem man ihn und 2.000 andere Arbeitssklaven von Bremervörde zum Sterben auf die Nordsee geschleppt hatte, nicht zündeten."

Der kritische Leser stutzt, klingt die Story doch nach handfester sowjetischer Greuelpropaganda, weswegen er als neugieriger Zeitgenosse den Verfasser des Artikels nach seiner Quelle fragt. Der beruft sich in seiner Antwort auf ein "Standardwerk der olympischen Statistik", nämlich auf das Buch von Volker Kluge "Olympische Sommerspiele - Die Chronik II" aus dem Sportverlag, Berlin, erschienen 1998. Dort heißt es in einer Fußnote über den erwähnten sowjetischen Sportler Tschukarin: "Bei Kriegsausbruch geriet er in deutsche Gefangenschaft. Er kam ins Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde. Dort gab er sich als Landarbeiter aus, was sein Glück war. Er wurde bei einer Bäuerin namens Bruns eingesetzt, die mit ihm menschlich umging, so daß er überlebte.

Bei Kriegsende jedoch wurde er mit 2000 anderen bis aufs Skelett abgemagerten Kriegsgefangenen auf einen Lastkahn von Bremervörde auf das offene Meer hinausgeschleppt, wo das Schiff durch Minen versenkt werden sollte, doch die Sprengsätze funktionierten nicht. So blieben die Gefangenen ohne Wasser und Verpflegung ihrem Schicksal überlassen, bis sie von einem britischen Kriegsschiff gefunden wurden. Im November 1945 kehrte Tschukarin in die UdSSR zurück."

Eine Prüfung ergab, daß der Autor Volker Kluge aus Berlin auch in seinem Nachschlagewerk über die Olympischen Spiele auf eine Quellenangabe verzichtet hatte. Auf die briefliche Anfrage an Kluge, welchen Beleg er für seine Behauptung nennen könnte, erfolgte zunächst nichts. Erst als man nachbohrte und die Vermutung aussprach, sein Schweigen könne bedeuten, daß es keine Quelle für seine Behauptung gibt, antwortete er dem Berichterstatter in rüdem Ton und äußerte den Verdacht, es werde offenbar beabsichtigt, "deutsche Kriegsverbrechen zu leugnen". Dennoch konnte er nicht umhin, nunmehr seine "Quelle" zu offenbaren. Er verwies auf die ebenso bekannte wie renommierte Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel in Bremervörde.

Dort wurde 1939 ein sich immer mehr ausweitendes Kriegsgefangenenlager als "Stalag X B" eingerichtet, in dem dann ab 1941 vor allem sowjetische Kriegsgefangene untergebracht wurden. Im Herbst und im Winter 1941/42 kam es unter ihnen zu einem Massensterben durch Hunger, Seuchen, Erschöpfung und Gewalt. Wie viele Tote auf dem großen Lagerfriedhof beerdigt sind, ist ungeklärt. Die Schätzungen schwanken zwischen 8.000 und 50.000, von ihnen ein großer Teil KZ-Häftlinge, da in den letzten Kriegswochen aus dem Osten zurückgeführte KZ-Häftlinge in dem Lager zusammengepfercht worden waren, von denen viele an Seuchen und Erschöpfung sowie durch Gewaltanwendungen starben.

Die dort eingerichtete Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel verfügt über umfangreiches Material über sowjeti- sche Kriegsgefangene in Deutschland. Dort also sollten nun die Belege über den Versuch zu finden sein, am Kriegsende 2.000 sowjetische Kriegsgefangene in der Nordsee zu ertränken, von dem Volker Kluge in seinem Buch über die Olympischen Spiele berichtete.

Die Antwort der Wissenschaftler der Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel war allerdings ernüchternd. In dem Brief an den Berichterstatter hieß es unter Bezugnahme auf den FAZ-Artikel: "Auf Ihre Fragen kann ich Ihnen nur antworten, daß uns keine einschlägigen Fakten bekannt sind und daß wir über keine entsprechenden Quellen verfügen. Der Artikel erscheint mir bezüglich seines Wahrheitsgehaltes und seiner jour- nalistischen Qualität fragwürdig".

Volker Kluge hatte auch behauptet, Tschukarin habe seine Erinnerungen hinterlassen und mehrere Interviews gegeben, in denen er offenbar die Geschichte von dem zur Versenkung bestimmten Lastkahn kolportiert habe. Nähere Angaben fehlen.

Es ist nicht unmöglich, daß der 1945 ins Vaterland aller Werktätigen zurückgekehrte ehemalige Kriegsgefangene Tschukarin dergleichen erzählt hat, mußte er doch erwarten, daß er, wie fast alle Rotarmisten in deutscher Gefangenschaft, nun als "Landesverräter" schweren Repressalien ausgesetzt gewesen wäre. Da hat dann mancher versucht, sich durch Thesen, die in die Propaganda der Sowjets paßten, zu retten - so vielleicht auch Tschukarin, der allerdings nicht mehr befragt werden kann, da er 1984 starb.

Das Pikante an der Geschichte ist, daß Volker Kluge bereits bei einer anderen Gelegenheit als Verbreiter offenkundiger sowjetischer Propagandathesen in Erscheinung trat.

Die Leser dieser Zeitung werden sich erinnern an einen Bericht, der am 23. Februar 2002 in der Folge 8 unter der Überschrift "Eine bizarre Gruselgeschichte" erschien. Darin ging der Autor ein auf einen Artikel der Welt, wonach 1942 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein Fußballspiel zwischen einer Mannschaft der deutschen Luftwaffe, genauer der Flak, und einer ukrainischen Elf ausgetragen worden ist. Die Ukrainer hätten vorher von der deutschen Besatzungsmacht Weisung bekommen, zu verlieren. Das taten sie aber nicht, sondern schlugen die Luftwaffen-Elf mit 3 : 1 Toren. Daraufhin seien mehrere Mitglieder der Mannschaft zur Strafe von den Deutschen erschossen worden.

Die Story erschien zum ersten Mal in der Stuttgarter Zeitung vom 5. Dezember 1973, woraufhin ein Leser Anzeige beim Landgericht Hamburg wegen Kriegsverbrechens erstattet hatte. Tatsächlich nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf, die jedoch zu keiner Klärung des Vorwurfs führten. Auch die zur Amtshilfe herangezogenen sowjetischen Behörden konnten einen solchen Vorgang nicht feststellen. Weder konnten sie Zeugen ausfindig machen, noch gab es irgendwelche entsprechenden Dokumente. So stellte die hamburgische Staatsanwaltschaft 1976 das Verfahren ein.

Nachdem Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine über diesen Tatbestand berichtet hatte, erhielt der Autor einen langen Brief von Volker Kluge aus Berlin. Er, der seinerzeit offenbar Sportjournalist in der DDR war, habe am 2. Februar 1976, also im selben Jahr, in dem deutsche wie sowjetische Stellen erklärten, keine Belege für das Verbrechen gefunden zu haben, über das Fußballspiel in Kiew und über die anschließende Ermordung ukrainischer Spieler in der Zeitschrift der FDJ, Junge Welt, berichtet, nachdem er bei einer Reise in die UdSSR drei Fußballer in Kiew habe interviewen können, die an jenem Spiel teilgenommen hatten. Auch sie wußten von den blutigen Folgen ihres damaligen Sieges. Als weiteren "Beweis" führte Kluge eine von ihm selbst angefertigte Fotografie des Plakates an, in dem die Bevölkerung Kiews zum Besuch des Spieles eingeladen worden war.

Niemand bezweifelt, daß es das Fußballspiel gegeben hat. Die deutsche Besatzungsmacht war damals daran interessiert, gerade in der Ukraine, wo sie vielerorts als Befreier vom Bolschewismus empfangen worden war, ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung aufzubauen, was dann allerdings konterkariert wurde durch harte Ausbeutungsmaßnahmen der deutschen Zivilverwaltung. Es ist aber in keiner Weise belegt, daß hinterher ukrainische Fußballspieler ermordet wurden, weil sie die Deutschen nicht hatten siegen lassen. Auch hier dürfte es sich um Schutzbehauptungen der befragten Fußballer (wenn es sie denn überhaupt gibt) gehandelt haben, die nach dem sowjetischen Sieg harte Strafen zu erwarten hatten, weil sie mit den Deutschen freundschaftlich Fußball gespielt hatten. Auch hier also fehlt ein seriöser Beweis für eine deutsche Greueltat.

Beim Studium der Medien stößt man immer wieder auf derartige Behauptungen, die häufig genug einer sachlichen Nachprüfung nicht standhalten. Es wäre heilsam, wenn aufmerksame und neugierige Leser und Zuschauer in höflicher, aber bestimmter Form per Brief, E-Mail oder Fax nach Quellenbeweisen für deren Behauptungen fragen. Häufig genug werden sie das gleiche erleben wie in den genannten Fällen des angeblich versuchten Ertränkens von 2.000 sowjetischen Kriegsgefangenen oder der Ermordung von siegreichen ukrainischen Fußballspielern. Wenn auf die Nachfrage nicht reagiert wird, ist das auch eine Antwort: dann gibt es offenbar keinen Beleg.

Rassist Hitler hatte gar keine Chance, ihm die Hand zu verweigern: Jesse Owens, farbiger Star von Berlin 1936, 1972 in München Foto: dpa