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23.11.02 / Die Moral aus der Knochenmühle

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. November 2002


Gedanken zur Zeit:
Die Moral aus der Knochenmühle
von Hans Heckel

Ich finde nach wie vor die Theorie von Marx richtig, daß der ganze Schlamassel da ist durch das Privateigentum an Produktionsmitteln." "... wenn Theater gut gemacht und eine sinnvolle Botschaft vorhanden ist, kann das eine sehr menschen- und wertebildende Kraft sein."

Zitate, die klingen wie abgeschrieben aus einer Brandrede für sozialistische Massenformung mittels Bühnen-Agitprop. Doch der da so ideologiefest daherredet, ist kein Geringerer als der gefeierte Opernregisseur Peter Konwitschny. Zur Zeit ist die Hamburgische Staatsoper Austragungsort von Konwitschnys Vorstellung eines "Theaters als moralische Anstalt", durchgezogen werden Wagners "Meistersinger von Nürnberg".

Schon bei der Premiere donnerten dem 56jährigen die Buh-Rufe des ansonsten eher zurückhaltenden hanseatischen Publikums entgegen. Wie in anderen Inszenierungen konnte der in der DDR groß gewordene Konwitschny seine politische Notdurft auch (oder gerade) bei dieser Wagneraufführung nicht halten. Mitten hinein in die berühmte Schlußarie kleckerte der Regisseur eine peinlich-penetrante Politbelehrung: Kurz nach Beginn des furiosen Endes, wo Hans Sachs den "deutschen Meistern" huldigt, quatschen die auf der Bühne versammelten Mimen auf Regieanweiseung dem Sänger dazwischen, wie er denn "so was singen kann". - "Deutsche Meister!" Plattestes Antifa-Getöse reißt sodann die Wagnersche Genialität entzwei. Das war doppelt zum Heulen auch wegen der allgemein zu Recht gelobten sängerischen Leistung der Darsteller. Doch schon durch die beiden vorigen Akte mußten sie ihr ganzes Können vor dem Hintergrund einer erbärmlichen Bühnenkulisse zum Glänzen bringen. Der Regisseur wollte es so.

Die lokalen Opernkritiker waren dennoch erwartungsgemäß angetan. Konwitschny habe zur "Entmythifizierung des heiklen Stoffes" beigetragen, dem "Butzenscheiben-Blinkwinkel" der Wagnerfreunde seinen "Provokationsautomatismus" entgegengestellt.

Das Wort "Automatismus" birgt einen Zugang zur tristen Wahrheit. Seit rund 40 Jahren wird nach dem immer gleichen, ausgelatschten Muster "automatisch provoziert", wird derselbe ideologische Schmalz über die Großen der Musik und das Publikum gegossen. Dabei durchzieht alle diese traurigen Darbietungen die unausgesprochene Unterstellung, das anwesende Volk sei geistig simpel, tendenziell "faschistoid" und natürlich reaktionär. Es muß "provoziert" oder auf dem Niveau von FDJ-Polittheatergruppen belehrt werden. Bleiben die Menschen am Ende resigniert zu Hause, macht das nichts - im Gegenteil: "Dafür kommen andere nach", meint Konwitschny zynisch. Kurzum: wer sich nicht zum "neuen Menschen" oder wenigstens "neuen Opernbesucher" umformen lassen will, der wird ausgesondert. Das kennen wir und wir wissen, welche Bahnen derlei marxistische Bühnentheorie im realen Leben außerhalb der Theater genommen hat.

Konwitschny machte seine Karriere in der DDR, zu seinen großen Idolen zählt der Stalinpreis-Träger Bertolt Brecht ("Befohlener Sozialismus ist besser als gar keiner"). Neben vielen Opernproduktionen hatte Konwitschny noch Zeit und Muße, 1982 am "Friedensprogramm für den Zentralrat der FDJ" am Städtischen Theater Leipzig mitzuwirken. Jener Konwitschny, der dem ideologischen Grundgerüst einer Diktatur, die laut Schätzung um die 90.000 unschuldige Menschen in den Tod schickte, durchaus positiv gegenübersteht, erhebt nun das Theater zur "moralischen Anstalt", macht sich über den "heiklen" Wagner her.

Dabei ist nicht allein der dumpfe ideologische Hintergrund, die Dreistigkeit, daß ein Marxist nach den kommunistischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts noch "Moral" verordnet, einfach unerträglich. Neben diesem politischen steht der künstlerische Affront: Diese endlose Wiederkehr des ewig gleichen, ermüdend absehbaren Affentheaters, das so fürchterlich abfällt vor dem Genie der gefledderten Komponisten.

Natürlich ging und geht es bei Wagner stets um die Vorliebe hoher NS-Chargen für den Sachsen. Regisseure wie Peter Konwitschny wollen dies "problematisieren" und stellen sich damit in die lange, trostlose Reihe jener verspäteten Widerständler, die es mit jedem Diktator aufnehmen, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß er entweder tot ist oder weit weg - soll heißen: daß er ihnen aus diesem oder jenem Grunde nichts (mehr) anhaben kann.

Bei real drohenden Gewaltherrschern sind sie weit weniger tapfer. Konwitschny etwa hatte ein Leben lang Gelegenheit, einer sehr lebendigen, sehr nahen Diktatur die Stirn zu bieten. Er zog es vor, in ihr Karriere zu machen. Die Mehrzahl der zeitgenössischen Berufskritiker bewirft ihn nun mit Rosen, nennt ihn kritisch, gar mutig. Warum? Viele werden sich an die eigene, jüngste Vergangenheit erinnern. Da war viel Vergangenheitsbewältigung, Anklage an die Väter, Protest gegen Diktaturen in Chile oder sonstwo - und zynisches Schweigen, Schönreden oder gar Sympathie gegenüber der deutschen Diktatur hinterm Zaun.

Um 1990 brach - für kurze Zeit nur - Nervosität unter ihnen aus. Manche bekamen richtig Angst: Wird ihre obskure Haltung zur DDR nun etwa ähnlich "kritisch hinterfragt" wie die Verstrickungen vergangener Generationen in andere Diktaturen? Wurde sie nicht. Und Leute wie Konwitschny helfen mit, daß dies alles unter dem Teppich bleibt, indem sie den Fokus allein auf jenes Gruselkapitel der deutschen Geschichte reduzieren, deren letzter Vorhang zum Glück schon vor über 57 Jahren fiel.