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23.11.02 / "Null-Toleranz" in Mexiko-Stadt / Rudolph Guiliani berät die Polizei in der südamerikanischen Millionen-Metropole

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. November 2002


"Null-Toleranz" in Mexiko-Stadt
Rudolph Guiliani berät die Polizei in der südamerikanischen Millionen-Metropole

Die bevölkerungsreichste Stadt der Welt steht kurz vor dem Kollaps. Kriminalität, Smog und Überbevölkerung setzen Mexiko-Stadt stark zu. Die Stadt wird aufgrund dessen schon von Touristen, Investoren und braven, anständigen Bürgern gemieden.

Der Oberbürgermeister Andrés Manuel López Obrador hat sich fest vorgenommen, wenigstens die Kriminalität rigoros zu bekämpfen. Hierfür hat er den Ex-Bürgermeister von New York, Rudolph Guiliani, als Unterstützung geholt. Guiliani hatte sich einen Namen im Rahmen seiner "Null-Toleranz-Doktrin" gemacht.

Bevor Guiliani Bürgermeister der Weltmetropole wurde, stand New York für Sündenpfuhl, organisiertes Verbrechen, mörderischen Drogenkrieg, Peep-Shows am Times Square, Schnapsleichen und Fixer in nach Urin stinkenden Hauseingängen. Es gab Pappkartonbehausungen der Obdachlosen auf Bürger- und Bahnsteigen, Dreck in Parks und Straßen, brennende Mülltonnen, Polizeischutz in U-Bahnen, Wandschmierereien und an Ampelkreuzungen die Scheibenputzer mit penetrant fordernd aufhaltender Hand. New York war der vielleicht am wenigsten lebenswerte Ort auf Erden.

Heute geht statt dessen das Glanzbild vom "neuen" New York um die Welt: sauber, effiziente Polizei und hilfsbereite Einwohner. Das Erfolgsrezept ist einfacher, als man glaubt. Die Devise heißt einfach nur "Zero Tolerance" ("Null-Toleranz"). Dies bedeutet, daß die Ordnung auch gegenüber kleinsten Gesetzesverstößen aufrechterhalten wird. Eine Art "Wehret den Anfängen!", mal nicht nur auf den Nationalsozialismus gemünzt, sondern auf die Kriminalitätsbekämpfung. In der Praxis wirkt sich das wie folgt aus: starke Polizeipräsenz, die bei den kleinsten Vergehen sofort einschreitet, denn mit jedem kleinen Gesetzesverstoß sinkt die Hemmschwelle der Täter und die Abschreckung vor zukünftigen - vielleicht sogar schlimmeren - Straftaten ist nicht mehr vorhanden. Der frappierende Kriminalitätsrückgang in der ehemaligen Verbrechensmetropole der Welt sucht bisher seinesgleichen. In New York ist die Kriminalitätsrate innerhalb von drei Jahren (1994-1997) um siebenunddreißig Prozent gesunken, die Rate der Tötungsdelikte sogar um fünfzig Prozent. Kritiker polemisieren, daß die Zurechtweisung eines urinierenden Bettlers sich wohl schwerlich als Schlag gegen die Mafia deuten lasse. Andere weisen darauf hin, daß sich in den Jahren des Kriminalitätsrückganges lediglich die Altersstruktur der männlichen Straftäter in New York verändert und so diesen erstaunlichen Rückgang hervorgerufen habe. Alle Einwände vermögen aber den richtigen kriminologischen Ansatz der Null-Toleranz-Strategie nicht zu entkräften. Er basiert auf der ebenfalls in den Vereinigten Staaten entwickelten "Broken-Windows"-Theorie, die besagt, daß Schmutz sich immer in besonderem Maße dort anhäuft, wo schon Schmutz vorhanden ist, daß der äußeren Verwahrlosung die innere folgt, daß Unordnung zu immer weiter gehender Unordnung ermutigt, daß der äußerliche Regelbruch auch zur Verletzung anderer Regeln verleitet. Ein zerbrochenes Fenster, das nicht instand gesetzt wird, ist ein Zeichen dafür, daß niemand sich um die Ordnung kümmert. Ist erst einmal ein Fenster eines Gebäudes eingeworfen, gibt es kein Halten mehr; bald schon werden alle Scheiben eingeschlagen sein. Häuser mit zerbrochenen Fenstern werden aber schnell zum Freiwild für Leute, die etwas plündern wollen. Der nächste Schritt in dieser Kettenreaktion ist die Ausbreitung zunächst leichter, dann immer schwererer Kriminalität. Deshalb müssen zur effektiven Verbrechensbekämpfung alle zerbrochenen Fenster umgehend repariert werden. Hinter dem "Broken-windows"-Effekt verbirgt sich die Überlegung, daß zuerst die scheinbar "banalen" Probleme eines Wohnviertels behoben werden müssen, wie zum Beispiel Ordnungsverstöße aller Art (Bettelei, Urinieren in der Öffentlichkeit, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Ruhestörung, Graffiti, Schwarzfahren), um eine erfreuliche Kettenreaktion in Bewegung zu setzen, die schließlich über die Steigerung der Lebensqualität in die Beseitigung größerer Probleme mündet.

Am 10. Oktober dieses Jahres unterschrieb Guilianis Beratungsfirma einen Vertrag mit der Polizeibehörde von Mexiko-Stadt, in dem das gleiche Ziel für Mexikos Hauptstadt angestrebt wird. Experten weisen allerdings darauf hin, daß die Ausgangslage in beiden Städten gerade hinsichtlich der Korruption in den Polizeibehörden sehr unterschiedlich ist. Viele mexikanische Behörden seien von Korruption geradezu durchsetzt; die Polizei der Hauptstadt bilde da keine Ausnahme. Insgesamt bewege nach Berechnungen der Privatwirtschaft die Korruption in Mexiko jährlich Beträge von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Eine effektive Bekämpfung des Verbrechens in der Hauptstadt erfordere deshalb nicht nur Null-Toleranz gegenüber Kriminellen, sondern auch eine Säuberung des Polizeiapparates von Korrup- tion. Karl H. Lincke