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30.11.02 / Aufregendes vor Weihnachten

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. November 2002


Aufregendes vor Weihnachten
von Hannelore Patzelt-Hennig

Weihnachten nahte. Unaufhörlich rieselten die Flocken. Felder und Wälder waren tief verschneit. Auch auf den Dächern lastete dick der Schnee. Die Pfähle der Weidegärten trugen, wie die Latten der Staketenzäune, die Blumen- und Gemüsegärten eingrenzten, exakt geformte weiße Hauben. Teiche und Gräben waren erstarrt. Auch der Strom lag schon unter einem festen Eispanzer.

In den Kachelöfen prasselte das Feuer. Und aus der Küche drangen Wohlgerüche, die es nur zu dieser Zeit gab. Sie verrieten, daß dort das erste Weihnachtsgebäck aus dem Backofen gekommen war. Ich bemerkte es, als ich vom Spielen hereinkam und mich im Flur bemühte, aus den schneeigen Sachen herauszukommen. Draußen war es sehr lustig gewesen. Aber was inzwischen in der Küche abgelaufen war, hätte ich viel lieber mitverfolgt.

Als ich meine Sachen am Kleiderhaken hängen hatte, stürmte ich hinein. Ich fand eine Menge dicker, runder Pfeffernüsse und hochaufgegangene, mandelbelegte Katinchen auf dem Tisch. Und keine Ermahnung, nicht der strengste Hinweis auf die Unbekömmlichkeit so warmen Ge-bäcks, konnte mich davon abhalten, beides sofort zu kosten. Auch davon nicht, mir heimlich ein bißchen was in die Taschen meines gerafften Röckchens zu stecken. Das fiel bei der Menge gar nicht auf. Verdacht schöpfte Mutter erst bei der nächsten Mahlzeit, als der Appetit ausblieb.

Und es zeigte sich auch bald durch Bauchschmerzen, die ich nicht verheimlichen konnte. Aber darauf Rücksicht zu nehmen, wäre dumm gewesen, fand ich trotzdem; denn das gesamte Pfefferkuchengebäck verschwand doch, sobald es ausgekühlt war! Nur unter besonderen Voraussetzungen holte Großmutter dann und wann den Leinenbeutel mit den Pfeffernüssen hervor. Die Katinchen blieben sowieso nur für die bunten Teller. Doch obwohl sich nicht genau abschätzen ließ, was Großmutter dazu bewegte, den Pfefferkuchenbeutel dann und wann zu öffnen, sollte meinem Spielgefährten Bubi und mir zwei Tage später diese Freude zuteil werden.

Wir hatten einen Schneemann gebaut, der im Verhältnis zu unserer eigenen Größe beachtlich war. Er war fast doppelt so groß wie wir, und es hatte viel Mühe gekostet, ihm den Kopf aufzusetzen. Obwohl wir uns Melkschemel zum Draufstellen aus dem Stall geholt hatten, gelang es uns erst beim fünften Versuch. Dann aber stand er in voller Pracht da, und wir waren stolz auf ihn. Es fehlten weder Kohleknöpfe noch Karottennase, weder Mund noch Augen. Auch einen Kastrollenhut hatte er und einen Stock unter dem Arm. Dreimal griff Großmutter für jeden von uns in den Pfeffernußbeutel, nachdem wir ihr den Schneemann vorgestellt hatten. "Das ist eine Leistung, die Belohnung verdient!" meinte sie anerkennend. Wir kassierten die Belohnung freudig und mit großem Appetit. Draußen zu sein, machte hungrig. Und wir hatten an diesem Nachmittag mehrere Stunden im Schnee zugebracht.

Aber - draußen sah man uns jetzt gern; denn im Haus lief um diese Zeit manches ab, was wir nicht mitbekommen sollten. So viele Schranktüren waren im ganzen Jahr nicht bewegt und auf- und zugeschlossen worden wie in dieser Zeit. Auch Kommodenschubfächer wurden oft in Eile zugedrückt, wenn man unverhofft vom Spielen hereinkam. Oder es verschwand hastig etwas unter der Schürze von Mutter oder Großmutter. Es war aber auch schon vorgekommen, daß der Ärmel eines Puppenkleidchens aus einer eilig zugeschobenen Lade herausragte. Und all das trug dazu bei, daß der Glaube an den Weihnachtsmann zu wanken begann. Auch der bunte Schal, den ich ein Jahr zuvor zu Weihnachten bekommen hatte, ließ mich ein paar Gedanken zuviel in diese Richtung entwickeln; denn die Wollsorten, die sich in ihm wiederfanden, deckten sich genau mit den Farben, die vorher aus Mutters Strickkorb geleuchtet hatten.

Die Tage vor Weihnachten erwiesen sich schon als eine verwirrende Zeit! Eine willkommene - und auch beruhigende - Abwechslung war deshalb immer die Schlittenfahrt in die benachbarte Stadt, die regelmäßig ein paar Tage vor dem Fest angesetzt war und ihren eigentlichen Sinn darin hatte, die bestellten Weihnachtsgänse abzuliefern. Großvater kutschierte das winterliche Gespann, und ich saß, warm eingemummelt, unter eine dicke Pelzdecke gekuschelt, hinten im Schlitten.

Die Braunen zottelten im leichten Trab durch den weißen Firn. Ihre Hufe und die Schlittenkufen bildeten bis zur Kreuzung die einzige Spur. Märchenhaft verträumt lagen die Gehöfte da in der winterlichen Stille. Fast weltabgeschieden wirkten sie. Die Tannen im Wald ächzten unter der Schneelast und stemmten ihre gefächerten Äste dieser winterlichen Bürde trotzend entgegen.

Nach der Rückkehr hatte die Ofenbank ihren Reiz. So durchgehubbert, wie man war, tat es gut, sich auf ihr niederzulassen und den Rücken an den Kachelofen zu drücken, von dem die Wärme angenehm in die Körper strömte. Zum Schlafengehen kam dann für die kalten Füße noch ein Beutel mit erhitzten Kirschkernen ins Bett. Mit ihm ließ es sich zwischen dickem Unter- und prallem Oberbett leicht dahindämmern in weihnachtliche Träume.

Ein lichterstrahlender Weih-nachtsbaum, üppig gefüllte bunte Teller, sorgfältig verschnürte Päckchen, feierlich gesungene Weihnachtslieder, Gedichte, bei denen das Aufsagen wie am Schnürchen klappte, Fladenteller, Gänsebraten, das alles war schon ganz nah. Denn am nächsten Tag sollte der Christbaum geschlagen werden, und das war der Tag vor dem Heiligen Abend.

Insterburg damals: Durchgang zur Angerapp Foto: Hallensleben