19.04.2024

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30.11.02 / Ein weiterer akzeptierter Tabubruch / Der Autor Jörg Friedrich thematisiert in "Der Brand" das Leid der deutschen Bombenopfer und die Öffentlich-rechtlichen applaudieren

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. November 2002


Ein weiterer akzeptierter Tabubruch
Der Autor Jörg Friedrich thematisiert in "Der Brand" das Leid der deutschen Bombenopfer und die Öffentlich-rechtlichen applaudieren

Nach der Thematisierung von Flucht und Vertreibung scheint nun auch die Behandlung der angloamerikanischen Terrorangriffe auf die deutschen Städte gesellschaftsfähig zu werden. War es vor einigen Monaten bei Flucht und Vertreibung Günter Grass mit seinem "Krebsgang", der als literarischer Türöffner fungierte, so ist es jetzt Jörg Friedrich mit seinem Buch "Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945".

Kaum weniger bemerkenswert als dieser Tabubruch ist das Echo in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Abgesehen von den wohlwollenden Beiträgen im Hessischen Rundfunk hat sich auch die überregionale ARD dieses Buches und seines Themas angenommen. Das bundesweit ausgestrahlte Kulturmagazin "Titel, Thesen, Temparamente" (ttt) widmete dem "Brand" unlängst einen Beitrag, in dem auch der Autor zu Worte kam. Dieser sehenswerte Beitrag enthielt Passagen wie die Folgenden, die kaum einer weiteren Kommentierung bedürfen:

(ttt:) Seit mehr als 50 Jahren wurde die Bombardierung Deutschlands nie offen diskutiert. Der Berliner Historiker Jörg Friedrich bricht dieses Schweigen.

(Jörg Friedrich:) Man hätte den Krieg gewinnen können, ohne die deutsche Stadtlandschaft auszuradieren. Durch diese Bombardierungen sind die Alliierten diesem Schritt eigentlich keinen Kilometer näher gekommen. Das alles könnte stehen, und Hitler wäre trotzdem geschlagen worden. Das war ein sinnloser und überflüssiger Versuch." (...)

(ttt:) Die geplante Vernichtung von Zivilisten im sogenannten Feuersturm war wissenschaftlich berechnet. Er sollte die gesamte Stadt verbrennen, mit allem, was in ihr lebte.

(Jörg Friedrich:) Wo ist der Anzünder, der eine Stadt flächig verbrennt? Bomber Harris, der Oberkommandierende der britischen Bomberflotte, sagte: ‚Die Innenstadt, die aus dem Mittelalter hervorgegangene alte Innenstadt, das ist der Anzünder, da schlagen wir mit den Millionen von Stabbrandbomben zu, und dieser Brand wird sich Stunden, nachdem die Flugzeuge weg sind, über die äußeren Ringe verbreiten.

Das Leid und die Niedertracht einer solchen Kriegsführung wird an den Angriffen auf die Mittelstädte wie Pforzheim, Darmstadt, Paderborn, Hildesheim sehr viel deutlicher. Die brennen auch besser.

Gucken Sie in irgendein Schulbuch, ob diese Milleniumhandlung, diese Jahrtausendliquidierung der 160 Städte da auch nur mit einem Halbsatz auftaucht. Da steht drin, daß Dresden überflüssigerweise bombardiert wurde. War ja schon so spät, im Februar '45. Wäre es zwei Jahre vorher gewesen, könnte man ja darüber reden. Die Dresden-Debatte versperrt den ganzen Blick auf den Bombenkrieg.

Vom Spätherbst, Winter 1944 an begeben sich britische und amerikanische Jagdflugzeuge auf eine Menschenjagd in Deutschland, auf alles, was sich am Boden bewegt: spielende Kinder auf der Straße, Passagiere auf Bahnhöfen, die auf Personenzüge warten, Bauern auf dem Felde, jede Menschenansammlung gerät in den Streubereich der Bordkanonen, werden abgeschossen wie die Hasen.

(ttt:) Niedergemäht von amerikanischen Jagdbombern werden Menschen, die auf der Flucht vor der Roten Armee sind. Wie Anfang '45 in Swinemünde - dort lagern Tausende von Frauen und Kinder in den Kurparks.

(Jörg Friedrich:) Und die US-Bomber tun in Swinemünde das, was sie in ganz Deutschland tun. Nicht nur, daß sie den Park bombardieren, sondern sie tauchen auch hinunter und mähen diese Bevölkerung, schwangere Frauen, mit Maschinengewehren nieder. Es existiert nicht in unserer Vorstellung vom Charakter des Krieges, der im Zweiten Weltkrieg sich ergeben hat. Ist das nicht jenseits aller Vorstellungen eines zivilisierten Krieges, eines christlichen Volkes, so zu verfahren.

(ttt:) (...) Der Bombenterror änderte nichts an den Naziverbrechen. Er trieb die Überlebenden der Flammenhöllen jedoch derart in die Arme des Regimes, daß dieses sich praktisch einer zweiten Machtergreifung erfreuen konnte.

Indem Friedrich die Fakten des Bombenkrieges präzise beschreibt, Stadt für Stadt, Bunker für Bunker, Leichenhaufen für Leichenhaufen, bricht er das Schweigegebot von Schuld und von Scham - ein Tabu in 50 Jahren Bundesrepublik.

Der Bombenkrieg war das Werk der Westalliierten. Deshalb das jahrzehntelange deutsche Schweigen? Amerikaner und Engländer waren immerhin das politische Über-Ich der Nachkriegszeit geworden.

(Jörg Friedrich:) Der Bombenkrieg wurde verabreicht von der Hand, die uns fütterte, ab 1945, die uns schützte gegenüber der Bedrohung aus dem Osten, die uns umerzog, die uns beibrachte, was richtig und was falsch in dieser Welt sei, was Moral und was Recht ist. Wie irritierend!

(ttt:) Deshalb blieben die Erfahrungen des Bombenkrieges ohne Worte. Ein selbstverordnetes Schweigen. Ein common sense, auch der deutschen Linken.(...) EB