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14.12.02 / Geheimnisvoll und unantastbar / So war es damals: Masurische Volkssitten in der Weihnachtszeit

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. Dezember 2002


Geheimnisvoll und unantastbar
So war es damals: Masurische Volkssitten in der Weihnachtszeit

Was man von den ortseingesessenen masurischen Einwohnern unserer Heimat erzählt bekommt, wirkt wie ein Märchen oder mehr noch wie etwas Geheimnisvolles, Unantastbares, Geheiligtes, vor dem wir eine tiefe Ehrfurcht hegen. Wir sammeln die alten Bräuche unserer Vorfahren, weil ein tiefer Sinn in ihnen liegt, weil sie uns durch innige Bande mit unserer Heimat verbinden, weil sie uns für kurze Zeit aus dem grauen Alltagseinerlei herausreißen und für Augenblicke den Weg zu uns selbst finden lassen.

Im Grunde genommen wiederholen sich dieselben Gebräuche. Aber in verschiedenen Gegenden unterscheiden sie sich in Einzelheiten, sind sie anders bekannt, werden sie anders gehandhabt, anders ausgelegt. Sie erscheinen in umkleideten Formen, in anderen Tönen. Hier findet das Schimmelreiten nur am Heiligabend statt, dort ist es während der ganzen Zeit der "Zwölften" vom zweiten Feiertag bis zum Heiligendreikönigstag gebräuchlich. In der einen Gegend dient das Schimmelreiten nur zur Volksbelustigung, in der anderen hat der Reiter den Auftrag, alles, was ihm in den Weg kommt oder dessen schlechtes Versteck er ausfindig macht, durchzuhauen und durchzuwalken. Und daß dieser Schimmelreiter einen tüchtig durchzubläuen vermag, weiß ich leider aus eigener Erfahrung. Auch des Schimmelreiters Gefolge - der glockenbehängte Narr oder Spaßmacher, der Bärenführer mit seinem in Erbsenstroh verkleideten Tanzbären, der Ziegenbock und andere derartige Mummenschanzfiguren - ist hier und da gar nicht bekannt.

In einem Dorf am Spirdingsee kennt man nur den erwähnten Ziegenbock mit meterlangen Hörnern, der an den Abenden der "Zwölften" auf allen vieren von Haus zu Haus hüpfen muß. Stellenweise besteht des Schimmelreiters Hauptaufgabe darin, Geld zu sammeln, um für sein Roß den hungerstillenden und kraftspendenden "Hafer" kaufen zu können. Denn nur nach reichlicher Haferkost kann der Schimmel seine gewünschten tollen Sprünge ausführen. Und in manchen Dörfern ist es Sitte, dem Schimmel in einer unzerschlagbaren Schüssel Trinkwasser zu reichen, das er mit einer geschickten Kopfbewegung über alle Anwesenden hin vergießen muß.

Nun einiges über die Frühpredigt, diese Christmorgenfeier, wie sie etwa um 1875 stattgefunden hat. Auch hier muß ich vorausschicken, daß ich selbst noch vor siebzehn Jahren an einer Frühpredigt in unserer kleinen Dorfschule teilgenommen habe. Aber wie unterschied sie sich von jener vor sechsundfünfzig Jahren! Die Predigt wurde deutsch gesprochen; alles Bunte fehlte, die "Engel", die kleinen Christbäume. Nur eins hatte sich noch erhalten: in den vier Ecken des Schulzimmers sangen die Schulkinder ihre mehrstimmigen Lieder. Und die Frühpredigt zur Kinderzeit unserer Eltern und Großeltern? Masurische Gesänge, masurische Predigt, masurische Kindersprüche! Die Kleinsten mit bändergeschmückten brennenden Lichtlein in der Hand, die Größeren mit einem kleinen lichtbesteck-ten Tannenbäumchen, die Knaben in übergezogenen langen, weißen Hemden, die Mädchen mit golddurchbänderten aufgelösten Haaren. Schon lange vor Beginn der Feier kamen die Besitzerfrauen zum Lehrer mit den Christgeschenken: mit Flachs, Wolle, Brot, Kuchen, Fladen, Gänsen, Enten und anderem mehr. Und nach der Feier behielt dann der Lehrer diese Frauen wieder-um zum Morgenkaffee bei sich.

Zu Beginn der Frühpredigt erschien auch der Weihnachtsmann in der Schule. Nach altherge-brachter Sitte hatte er die Tage vorher im Dorfe gesammelt und überall reichlich Gaben erhalten. Und nun verteilte er aus seinem großen, groben, über den gebeugten Rücken gepackten Sack die Geschenke und bescherte die Schulkinder und die kleineren mit Nüssen, Äpfeln, Bonbons, kleinen Kuchen, Pfeffernüssen und anderen Leckerbissen.

Wenn man von der Frühpredigt zurückkam, wartete auf die Kinder zu Hause die Bescherung. Auf dem Tisch oder auf dem breiten Fensterbrett lag ein tiefer Teller mit nach oben gekehrtem Boden. Darunter hatte das Christkind die "Geschenke" verborgen: einige Bonbons, Äpfel, Nüsse, Kuchen, eine Brosche, ein farbiges Band oder sonst etwas Augenfälliges. Des Hausvaters Pflicht war es, sofort nach der Rückkehr von der Frühpredigt sämtliche Stallungen zu öffnen und jedem Stück Vieh etwas Brot zu reichen. W. Bethke

In Auszügen aus "Unser Masuren-Land", Nr. 24, 1931