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21.12.02 / Ein Mythos aus Preussen im festlichen Glanz

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. Dezember 2002


Ein Mythos aus Preussen im festlichen Glanz
Das Bernsteinzimmer fasziniert auch mitten im Weihnachtsrummel die Menschen
von Hans-Jürgen Mahlitz

Die Straßen erstrahlen im Lichterglanz, Geschäfte und Warenhäuser sind festlich geschmückt, "Stille Nacht", "O du fröhliche" und "O Tannenbaum" versuchen, sich gegen "White Christmas" und "Jingle Bells" zu behaupten. Die Menschen schwan- ken zwischen weih-nachtlich-besinnlicher Stimmung und - ebenfalls mit dem bevorstehenden Fest zusammenhängender - Hektik.

In Hamburgs nobler Einkaufsstraße, der "Mö", nutzen in diesen Tagen viele Menschen eine ganz besondere Gelegenheit, sich dem Einkaufsstreß für eine Weile zu entziehen. Eines der großen Kaufhäuser (Karstadt Mö) lädt Kunden und Passanten ein: "Schreiten Sie durch das Bernsteinzimmer!" Folgt man der Einladung, gelangt man zunächst in eine faszinierende Ausstellung wertvoller Bernstein-Objekte, präsentiert im Rahmen einer aufwendigen Lichtinstallation, um schließlich in einen 25 Quadratmeter großen Raum zu gelangen, der tatsächlich das Gefühl vermittelt: Jetzt stehe ich in dem legendären, seit mehr als einem halben Jahrhundert verschollenen Etablissement. Möglich wurde die Illusion dank modernster Projektionstechnik - was den Besucher da drei- dimensional umgibt, sind Fotos vom inzwischen vollständig wiederaufgebauten Bernsteinzimmer im Katharinenpalast zu Zarskoje Selo bei St. Petersburg.

Das Bernsteinzimmer als "preußischen Mythos" zu rühmen ist keineswegs vermessen. Das verschwundene Original hatte Friedrich I. im Jahre 1701 unmittelbar nach seiner Krönung zum König in Preußen in Königsberg in Auftrag gegeben. Ursprünglich war es für das Schloß Charlottenburg vorgesehen, wurde dann aber in das Berliner Stadtschloß eingebaut.

Das edle Material, das die Griechen einst als "versteinerte Sonnenstrahlen" bezeichneten, stammte großenteils von der ostpreußischen Ostseeküste. Die bedeutendsten Künstler und Handwerker der Region bearbeiteten es mit solcher Perfektion, daß viele Betrachter das Bernsteinzimmer schließlich als "achtes Weltwunder" einstuften. Leider sah Friedrichs Nachfolger auf dem preußischen Königsthron, Friedrich Wilhelm I., das ganz anders: Er fühlte sich im Bernsteinzimmer nicht wohl - und schenkte es dem russischen Zaren Peter I. Nach einer Zwischenstation im St. Petersburger Winterpalais fand das preußische Prunkstück 1755 seinen Platz im Sommerpalast in Zarskoje Selo - für die nächsten 190 Jahre.

1941 konnten die Russen zwar die bewegliche Ausstattung des Bernsteinzimmers in Sicherheit bringen, die fest eingebauten Teile aber fielen in die Hände der deutschen Wehrmacht. Die demontierte die kostbaren Vertäfelungen und schickte sie, verpackt in 27 Kisten, nach Königsberg, wo die Geschichte ja eigentlich auch begonnen hatte. Bis Ende 1945 war das Zimmer im Königsberger Schloß aufgebaut, dann wurde es erneut abgebaut und verpackt, um es vor der herannahenden Roten Armee zu retten. Damit verlor sich seine Spur, zugleich begann die Legendenbildung: Ist der Schatz in einem Bunker oder einem Bergwerksstollen versteckt worden? Ist er verbrannt und unwiederbringlich zerstört? Oder wurde er - wie der mit Ostpreußens jüngerer Geschichte bestens vertraute Buchautor Heinz Schön in seiner neuesten Publikation behauptet - 30 Meter tief unter dem Königsberger Schloß vergraben und wartet nur darauf, wieder ans Tageslicht befördert zu werden?

Die russischen Restauratoren der Bernsteinwerkstatt in Zarskoje Selo wollten sich auf solche Spekulationen nicht verlassen. Vor gut 20 Jahren begannen sie, das Bernsteinzimmer originalgetreu zu rekon- struieren. Im Frühjahr 2003, zum 300jährigen Jubiläum St. Petersburgs, soll es der Weltöffentlichkeit feierlich präsentiert werden.

Auf diesen Arbeiten basiert auch die auf den aktuellsten Stand gebrachte Ausstellung bei Karstadt in Hamburg, aus der wir, neben der Gesamtprojektion, zwei kostbare Schatullen und einen Prunkpokal zeigen. Die ursprüngliche Ausstellung wandert seit drei Jahren durch die Häuser des Konzerns; bislang wurden 1,3 Millionen Besucher registriert! Und auch bei der neugestalteten Ausstellung in Hamburg muß man etwas Geduld haben: Vor den Aufzügen in die 6. Etage bilden sich schon am frühen Vormittag Warteschlangen. Oben angekommen, wird man dann aber belohnt mit einer wirklich eindrucksvollen, gut aufgebauten Präsentation der Bernsteinkunst, die ja gerade in Ostpreußen eine so große Tradition hat.

Daß diese Ausstellung ein so starkes Interesse findet, hat auch über den konkreten Anlaß hinaus Signalwirkung, in zweierlei Hinsicht: Einmal zeigt es, daß noch sehr viele Menschen in diesem lande einen ausgeprägten Sinn für wahrhaft Schönes und Edles haben, daß noch nicht das gesamte Kulturleben der Diktatur der Häßlichkeit unterworfen ist, daß Ästhetik immer noch ihr Publikum findet.

Zum anderen bestätigt sich, daß immer mehr Menschen in Deutschland sich jenen Themen unserer jüngeren Geschichte öffnen, die jahrzehntelang ideologisch verordneten Tabus unterworfen waren - früher nannte man das "Umerziehung", heute heißt es "political corectness". Diese Tabuisierung betraf den Themenkreis "Flucht und Vertreibung", im engen Zusammenhang damit die Frage nach Schuld und Sühne, die grobschlächtig damit beantwortet wurde, daß es eben nur deutsche Täter, nicht aber deutsche Opfer gegeben haben durfte. Und wo die öffentliche (vor allem aber die veröffentlichte) Diskussion so einseitig von Vorurteilen bestimmt war, durfte an der Geschichte des deutschen Ostens (oder sollte man sagen: der deutschen Geschichte des Ostens?) kein gutes Haar gelassen werden. So wurden Kopernikus zur polnischen Geistesgröße und das Bernsteinzimmer zum ur-russischen Kulturgut.

Gerade der so erfreuliche Zuspruch, den eine Ausstellung wie die zum Bernsteinzimmer heute findet, läßt sich auch verstehen als eine Neubesinnung auf die Kultur-, Kunst- und Geistesgeschichte des deutschen Ostens, der vielleicht eine weitere Zuwendung auch zu den "profaneren" Kapiteln dieser Geschichte folgen wird. Diese Hoffnung sollten wir in die nun anstehenden Weihnachtstage und in den Neue Jahr mitnehmen. Hans-Jürgen Mahlitz