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21.12.02 / Einkaufsbummel in Tapiau

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. Dezember 2002


Einkaufsbummel in Tapiau
Bärbel Beutner berichtet passend zur Weihnachtszeit vom Angebot auf dem Basar und in den Geschäften

Nach der Übernahme der Verwaltung machten die Russen aus Tapiau einen militärischen Standort und aus der dortigen Heilanstalt eine Kaserne. Trotz der von ihnen vorgenommenen Umbenennung des zirka 35 Kilometer östlich von Königsberg gelegenen typischen ostpreußischen Landstädt- chens in "Gwardesjk" (Garnisonsstadt) hat der deutsche Markt- flecken für die Landbevölkerung viel von seinem Gesicht behalten. Die bemerkenswerte Geschichte der Stadt ist auch heute noch zu erahnen. Hier starb 1568 Herzog Albrecht von Preußen, und das Geburtshaus des Malers Lovis Corinth (1858-1925) steht noch. Eine Gedenktafel in russischer und deutscher Sprache ist an dem Haus angebracht. Neuerdings gibt es auch ein Lovis-Corinth-Museum in dem Haus, eine russische Einrichtung.

Vom Dorf aus fährt man gern nach Tapiau zum Einkaufen; es geht dort ruhiger und gemütlicher zu als in Königsberg. Die Autostraßen sind vorzüglich; im Straßenbau ist in der ländlichen Gegend um Königsberg herum viel getan worden in den letzten Jahren. Die achsenbrecherischen Löcher gibt es mehr in den Städten als auf den Chausseen und Autostraßen des Gebiets. Vor Tapiau grüßt ein Siegesdenkmal, ein Panzer auf einem Sockel in einer Grünanlage, wie vielerorts hier. Man fährt an der Kaserne vorbei, an einem von den Russen erbauten Wohnblock, und bald ist man auch schon im Stadtkern. Die Häuser um den riesigen Marktplatz sind zum größten Teil aus der Zeit vor Flucht und Vertreibung; das große Kaufhaus ist ein Betonbau.

Markt findet auf dem Platz mit den für die ostpreußischen Landstädte typischen Ausmaßen heute nicht mehr statt. Vorstellen kann man ihn sich aber noch, wenn man "Schissomirs großer Tag" von Siegfried Lenz gelesen hat, einen Markt mit Hühnern und Gänsen, mit Töpfen und Früchten, mit Buden und Ständen. Heute stellt man den Wagen dort ab, wirft einen Blick auf Lenin, der immer noch silbern angestrichen und gewichtig auf dem Sockel steht, und in anderer Richtung auf das um 1600 erbaute Gotteshaus, das schon seit längerem wieder als Kirche genutzt wird. Der tüchtige junge Pope hat sie sehr gut restauriert und eingerichtet.

Der Markt heißt heute Basar und wird ein Stück weiter abgehalten. Man geht durch die Gassen an Häusern aus der Vorkriegszeit vorbei und kommt an den Platz, der klein, aber ebenso abwechslungsreich ist wie die Riesenbasare in Königsberg. Auf Holztischen, in kleinen Bretterbuden, an Stoffwänden oder einfach auf der Erde ausgebreitet findet man alles: Kinderkleider, Un- terwäsche, Kosmetikartikel, Bonbons, Stiefel, Gurken, Tomaten, Pullover, Töpfe, Waschpulver - es ist alles da. Die Preise sind mitunter günstig - für Besucher aus dem Westen, wohlgemerkt. Vor zwei Jahren konnte man einen warmen Winterpullover für umgerechnet fünf Euro erwerben. Auch Schuhe können preiswert sein. Bei einem russischen Monatsverdienst von 100 bis 150 Euro sieht das allerdings anders aus.

Fleisch, Wurst und Käse gibt es in Hallen, die eigentlich fensterlose Holzschuppen sind. Dort liegen die rohen Fleischstücke offen auf Holztischen, große Lappen Leber auf Blechen und Hähnchenstücke in Schüsseln. Eine Klimaanlage kühlt den ganzen Raum. Das Fleisch, so wird versichert, sei hier aus privater Wirtschaft von natürlich gezogenen Schweinen und Rindern, ohne Chemie und immer frisch geschlachtet. Wurst und Käse werden in einer anderen Halle in Glastheken angeboten. Es gibt litauischen, deutschen und russischen Käse, wobei der russische Käse von den Russen selbst nicht bevorzugt wird. Es gebe keine russische Käse-Tradition, lautet die Erklärung. Da zahlt man lieber mehr für Importware.

Doch auch hier gibt es eine Veränderung in der Käse-Entwicklung. In Tilsit wird wieder Tilsiter Käse hergestellt, nach deutschem Rezept und benannt auf russisch: Tilsitskij Cir - Tilsiter Käse. Mögen auch heute die Russen die Stadt "Sowjetsk" nennen - der Käsename behauptet sich. Und auf den Dörfern beginnt man, sofern man eine Kuh hat, selbst Käse herzustellen, als besondere, hausgemachte Delikatesse.

Die Preise auf dem Basar sind als Kilopreise ausgezeichnet. Bei der Wurst schwanken sie zwischen 64 und 98 Rubel pro Kilo. Man sollte beim Tausch vom russischen Rubel zur europäischen Einheitswährung Euro auf den Kurs achten; der kann in Königsberg um bis zu vier Rubel pro Euro schwanken. Ein Kilo Wurst kommt demnach durchschnittlich auf drei bis vier Euro. Käse ist teurer.

Doch auch noch andere Abenteuer hat der Basar zu bieten. Hunde laufen sowieso überall herum, auch in der Fleischhalle; niemanden stört das. Aber dann wird einem auch schon mal ein kleines Kätzchen oder Hündchen angeboten, von Marktbesuchern, die ein Zuhause für den Nachwuchs suchen und dabei ein paar Rubel hinzuzuverdienen hoffen.

Auch die Geschäfte in Tapiau sind einen Besuch wert. Warenangebot und Ausstattung haben sich in den letzten Jahren überall im Gebiet entwickelt. Hell gekachelte Lebensmittelgeschäfte bieten alles an: Milchprodukte, Torten, Konserven, Fertiggerichte, Wurst, Käse, alkoholische Getränke, Säfte, Süßigkeiten, Backwaren, Kaffee und Tee. Eine Tiefkühltruhe steht in jedem Geschäft mit Eis, tiefgefrorenen, "Pilmeni" genannten gefüllten Nudeltaschen und Pizza. Die aber ist unerschwinglich, die billigste liegt bei umgerechnet 2,50 Euro. Pizza gibt es in Westdeutschland, wenn die russischen Freunde zum Gegenbesuch kommen.

Wenn an einem Geschäft "Kosmetika" steht, so heißt das nicht, daß dort nur Kosmetikartikel zu bekommen sind. Vielmehr finden sich Hüte, Blusen, Kinderspielzeug und auch eine Ecke mit Haushaltswaren dort. Auch das Schild "Obst und Gemüse" verrät nicht alles, denn innen bedeckt ein Flaschenregal mit allen nur erdenklichen Getränken, vom Bier über Kognac und Martini bis hin zu Cola, Sekt und Wein, eine ganze Wand, und Glasbehälter mit Pralinen und Keksen laden zum Kauf ein.

In den russischen Kaufhäusern gibt es die Einteilung nach "Abteilungen" nicht. In jedem Bereich findet sich ein Mehrfach-Angebot. Vitrinen mit Goldschmuck, Bernstein und Uhren enthalten auch Souvenirs oder Haarspangen, in einer Abteilung für Porzellan gibt es auch Bilder und Puppen. Und überall Verkäuferinnen. Selbstbedienung ist tabu. Man muß genau angeben, was man ausgesucht hat, dann wird der Gegenstand von der Verkäuferin aus dem Regal oder aus der Vitrine genommen. Man bezahlt an der Kasse, bekommt den Kassenbon, geht damit zu dem Verkaufstisch und bekommt die Ware. Diese ineffektive Vorgehensweise schafft Arbeitsplätze.