19.04.2024

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21.12.02 / Die ostpreußische Familie EXTRA

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. Dezember 2002


Die ostpreußische Familie EXTRA
Lewe Landslied und Freunde unserer Ostpreußischen Familie,

da ich ja eine sparsame Preußin bin, habe ich mir für die Weih-nachtsausgabe ein paar Leckerbissen aufbewahrt, nämlich einige der schönsten Geschichten unserer Ostpreußischen Familie, die in der letzten Zeit zu verzeichnen waren. Die will ich Euch nun unter den Weihnachtsbaum legen. Wie schrieben wir doch in die Poesiealben unserer Jugend: "... denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück!"

Beginnen wollen wir wieder mit dem kleinen Mantas Stankevic aus Litauen, er ist ja sozusagen unser "Christkind". Allerdings so klein ist der Junge auch nicht mehr, denn inzwischen wurde er acht Jahre alt und ein richtiger kleiner Lorbaß, aber daß er das sein kann, ist der Hilfe vieler Menschen zu verdanken, die unser Landsmann Dr. Detlef Arntzen mit seiner Hilfsaktion mobilisieren konnte. Als er auf einer Memellandreise vor fünf Jahren eine noch in ihrer Heimat verbliebene Ostpreußin traf, begann sich das Schicksal für den damals dreijährigen Enkel der Ursula Jakubeit zu wenden. Dem kleinen Mantas fehlten einige Organe im Unterleib wie die Blase, "... dem armen Jungchen läuft immer alles aus dem Bauch", wie seine Großmutter sagte, die um "alte Gardinen und anderes Zeug" bat, um ihn wickeln zu können. Kurz und gut: Dr. Arntzen nahm sich dieses tragischen Falles an, und es kam eine großartige Hilfsaktion zustande. Dank der Spenden, die vor allem durch den Ostseereport des NDR 3, aber auch durch unsere Landsleute zusammenkamen, konnte das Kind in der Universitätsklinik Kiel operiert werden. Eine sehr schwierige Operation, doch sie verlief so erfolgreich, daß der Junge in seiner Heimat eingeschult werden konnte.

Inzwischen sind mehrere Nachuntersuchungen erfolgt, die letzte fand im Juni dieses Jahres im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Harburg statt. Der aufgeweckte und lebhafte Junge genoß mit Mutter und Großmutter sichtlich die Tage in Hamburg als Gäste von Dr. Arntzen trotz der strapaziösen Untersuchungen. Die Ergebnisse waren erfreulich: Alle Werte waren bis auf eine Ultraschalluntersuchung gut, für die in der Zwischenzeit aufgetretenen Fieberschübe wurde ein Sulfonamid mitgegeben, das bis zur nächsten Operation reichen soll. Die wird, wie Dr. Arntzen jetzt erfuhr, im nächsten Juli in Hamburg-Harburg stattfinden. Es soll die letzte sein, nach der Mantas dann zu einem gesunden Mann aufwachsen kann. Was das bedeutet, kann man sich vorstellen, man hört, daß eine sehr komplizierte Penis-Rekonstruktion durchgeführt werden muß. Der fehlende Bauchnabel wird operativ gebildet. Als einzige Schwierigkeit bleibt, daß der Urin wie schon bisher auch weiter in den Darm abgeleitet wird, das läßt sich leider nicht beheben. Aber Mantas kommt damit gut zurecht.

Wenn man bedenkt, wie der ursprüngliche Zustand des Kindes war - das damals überhaupt keine Chancen auf ein auch nur halbwegs normales Leben gehabt hatte, weil diese medizinischen Leistungen in Litauen nicht erbracht werden können -, dann ist hier schon ein Wunder geschehen. Wollen wir für den kleinen Mantas und seine leidgeprüfte Mutter und Großmutter hoffen, daß alles gelingt. Ein Teil der Kosten ist bereits gedeckt, die restlichen Gelder sollen wie bisher durch Spenden aufgebracht werden.

Und nun wohl eine der erfolgreichsten Suchaktionen dieses Jahres, die mal wieder an unsere sogenannten "Familienwunder" glauben lassen.

Bei einem Arztbesuch in Trier fand Rudolf Müller aus Tawern im Wartezim- mer unser Ostpreußenblatt und las es mit großem Interesse. Er war als 18jähriger Soldat in Elbing in russische Kriegsgefangenschaft geraten, flüchtete, wurde aufgegriffen und kam zuerst als Zivilperson in das Lager Rosa im Ural, von dort in ein anderes Lager, später in das Lager Kopesk. Als die Russen dann argwöhnten, daß Rudolf Müller doch Wehrmachtangehöriger war, wurde er Kriegsgefangener, bis man ihn 1948 entließ. Da sich in den genannten Lagern viele Ostpreußen, vorwiegend Frauen und Kinder befanden, bat Herr Müller uns, nach ehemaligen Mitgefangenen zu suchen, darunter nach einem "Kurt", mit dem er in den Kohlengruben von Kopesk zusammen als Holzschlepper gearbeitet hatte. Durch das DRK hatte er bereits einen Königsberger, Hans Hintz, gefunden, der damals erst 15 Jahre alt gewesen war.

Ich hatte kaum Hoffnung auf eine Resonanz, da ähnliche Suchwünsche bisher wenig Erfolg brachten, aber nun kam die große Überraschung: Es meldeten sich durch die Veröffentlichung in unserer Familienspalte sieben (!) Leserinnen, die damals ebenfalls in Gefangenschaft geraten waren oder Auskunft über andere Schicksalsgefährten geben konnten. Zuerst meldete sich Gertrud Brockmann aus Walsrode, die allerdings nicht in einem der genannten Lager gewesen war. Aus Ostpreußen kam ein Brief von Irena Ortowska, die glaubt, daß es sich bei dem erwähnten "Kurt" um ihren vermißten Bruder handeln könnte. Herr Müller gab daraufhin eine Suchanzeige beim DRK auf, leider hat er noch keine Nachricht erhalten. Als erste Lagergefährtin meldete sich dann Elly Lange aus Frankfurt, die im Lager Rosa gewesen und dort an Typhus erkrankt war. Sie wurde im Oktober 1945 zusammen mit polnischen Gefangenen nach Warschau entlassen. Und dann ein vierfacher Volltreffer: Anni Blumenbach, geb. Klein, hatte im Ostpreußenblatt den Suchwunsch gelesen und sich sofort mit ihren ehemaligen Schick-salsgefährtinnen Grethe Müller, geb. Böckel, Ursula Welz, geb. Senske, und Eva Aboth, geb. Veith, in Verbindung gesetzt. Sie waren sich einig, daß Herr Müller einer ihrer ehemaligen Lagergefährten gewesen sein mußte - und so war es dann auch.

Die Überraschung war groß und noch größer die Freude. Es gab im September ein erstes Treffen bei Anni Blumenbach in Heim-bach/Eifel, an dem auch Grethe Müller aus dem nahen Gemünd teilnahm. "Wir waren alle so gerührt, daß wir Tränen in den Augen hatten. Wir waren schnell vertraut miteinander, obgleich wir im Lager ja noch fast Kinder gewesen waren, und uns jetzt nach 56 Jahren erstmals bewußt begegneten. Wir konnten uns alle an vieles erinnern, was wir gemeinsam damals erleben mußten." So berichtet Herr Müller und hofft, daß diese Verbindung nicht abreißt, sondern sich sogar noch ausweitet: Im nächsten Frühjahr ist ein Treffen bei Rudolf Müller und seiner Frau in Tawern geplant, an dem auch Hans Hintz, Ursula Welz und Eva Aboth teilnehmen wollen. Vielleicht melden sich ja aufgrund der Namensnennungen noch weitere ehemalige Leidensgefährten bei Rudolf Müller (Bachstraße 18 in 54456 Tawern). Aber zuerst freuen wir uns doch sehr über diesen großartigen Erfolg.

Daß für uns Ostpreußen unsere Heimat unvergessen bleibt, ist selbstverständlich. Daß aber auch ein Berliner, der als kleiner Junge mit seiner Mutter nach Ostpreußen evakuiert wurde, die dort verbrachten Kinderjahre nie vergessen hat, ist schon eine andere Sache. Und daß es dann noch zu einem unverhofften Wiedersehen mit seiner ostpreußischen Spielkameradin kam, ist wohl eine Geschichte in unserer "Weihnachtsfamilie" wert. Um diese hatte mich Horst Brause aus Oranienburg gebeten, und seine Wunsch schloß sich auch Christa Hermanni, geb. Motzkus, an. Und nun will ich ihn erfüllen.

Die Erinnerungen von Horst Brause, der im Olympiajahr 1936 in Berlin geboren wurde, gehen in die Kriegsjahre zurück, als der Siebenjährige mit Mutter und Schwester nach Ostpreußen verschickt wurde. Der erste Aufenthaltsort war das Gut der Familie Wilken im Kreis Gumbinnen. Dort gab es reichlich zu essen und viele Spielkameraden für die kleinen Berliner, die zwischen Mietskasernen aufgewachsen waren. Aber dann kam die Nachricht, daß ihr Wohnhaus durch Bomben zerstört worden war. Nun war es keine "Verschickung" mehr, sondern eine Evakuierung. Horst Brause erinnert sich noch heute daran, daß seine kleine Schwester immer erzählte, daß sie "ewukquaiert" seien.

Sie bekamen nun ein anderes Domizil im Kreis Gumbinnen: Bei der Familie Motzkus in Bergenbrück (Sabadszuhnen). Für die Kinder geradezu ein Paradies, denn hier gab es zwei kleine Mädchen in ihrem Alter. Unvergessen die warmen Sommertage mit Toben im weichen Heu, mit Plan-tschen im Dorfteich - und die Wintermonate mit Schlittenfahren und ersten Versuchen auf Skiern. Aber dann war auch diese unbeschwerte Zeit zu Ende: Die Front rückte näher, und zuerst mußten die Evakuierten fort. Die Brauses kamen nach Sachsen-Anhalt. Von der Familie Motzkus aus Bergenbrück hörten sie nichts mehr ...

... bis zu jenem Tag vor drei Jahren, als der nun in Oranienburg wohnende Horst Brause und seine Frau sich einen neuen Schrank kauften. Er stöberte noch in den alten Sachen, und da fiel ihm ein Gumbinner Heimatbrief von 1994 in die Hände, den seine Frau einmal im Sperrmüll gefunden hatte. Und da ihr Mann ihr immer von seinen Kinderjahren in Ostpreußen vorschwärmte, hatte sie ihn mitgenommen - doch er blieb ungelesen. Heute bereut Herr Brause das, denn damals lebte seine Mutter noch. Und wie hätte die sich gefreut, denn in diesem Heimatbrief stand der Name von Christa Motzkus - nun Hermanni - aus Bergenbrück, der Spielgefährtin seiner unvergessenen Kinderjahre in Ostpreußen. Sie lebt heute in Karlsbad-Langensteinbach.

Das weitere ist schnell erzählt: Es gab ein Wiederfinden, ein Wiedersehen, ein gemeinsames Zurück in die Kindheit, denn die Mutter von Herrn Brause hatte viel fotografiert und einige Fotos bewahrt. Die Familie Motzkus hatte auch den Weg in den Westen gefunden, allerdings nur die Mutter mit den Kindern. Inzwischen war auch Frau Motzkus verstorben, "... so daß ich nun der Älteste bin, der noch ein bißchen vom Dorf, vom Hof, vom Schulweg nach Angereck und von der Angerapp erzählen kann," schreibt Horst Brause. Ja, und nun haben wir die Geschichte von diesem unverhofften Wiederfinden erzählt. Sagt selbst, ist sie nicht eine hübsche Geschichte?

Auch diese gehört zu meinen schönsten Geschichten, obgleich sie eigentlich keine ist - eher ein Bericht, sogar nur ein Zwischenbericht, denn vielleicht findet sich ja noch die endgültige Lösung. Im Februar hatte ich einen Suchwunsch der Russin Galina aus Königsberg veröffentlicht, den unser Leser Herbert Salk übermittelte. Ihn hatte die heute 72jährige nach einem Gottesdienst in einer Königsberger Kirche angesprochen mit der Bitte, nach einem deutschen Mann zu suchen, der ihr an einem Sommertag im Jahre 1946 eine Rose geschenkt hatte. Einfach so im Vorübergehen hatte der blutjunge Mann der damals 17jährigen mitten zwischen den Trümmern die Blume mit den Worten "Mädchen, bitte!" überreicht. Galina hat diese Begegnung nie vergessen, sie schrieb sogar ein Gedicht darüber - und hofft immer noch, den "Rosenkavalier" wiederzufinden.

Das ist leider nicht gelungen - wie sollte es auch, wo der Mann wohl kaum den Suchwunsch gelesen hat, falls er überhaupt noch - und wo? - lebt und sich an die Begegnung erinnert. Aber etwas anderes ist geschehen, wie mir Herr Salk jetzt mitteilte. Im Frühjahr erschien in Galinas Wohnung eine Ostpreußin zusammen mit einer Dolmetscherin. Die Besucherin erklärte, daß dieser Suchwunsch aufgrund der 1946 geschenkten Rose sie so angerührt habe, daß sie Galina gerne kennenlernen wollte. Es wurde eine herzliche Begegnung zwischen den beiden Frauen, die für Galina so überraschend kam, daß sie noch immer dafür dankbar ist. Auch die Veröffentlichung ihrer Bitte, die in der Königsberger Kirche erfreut kommentiert wurde, dankt Galina, von der Herr Salk dieses Foto gemacht hat.

Lewe Landslied, liebe Freunde, das sind so ganz unterschiedliche "wahre" Geschichten, und sie zeigen, wie unsere "Ostpreußische Familie" gelesen und geliebt wird. Noch viel mehr Wünsche haben sich erfüllt - doch damit will ich im neuen Jahr anfangen, damit es recht erfreulich beginnt. Und dann sind auch wieder die neuen großen Suchwünsche fällig - mein Wunschpungelchen ist wirklich schon am Platzen. Ein frohes und zufriedenes Weihnachtsfest allen "Landslied" und Freunden unserer Ostpreußischen Familie und einen - aber bitte symbolischen - guten Rutsch ins neue Jahr.

Eure

Ruth Geede

"Verlorene" schöne Kinderjahre: Kinderlandverschickung von Horst Brause aus dem von Bomben bedrohten Berlin nach Ostpreußen

Unverhofftes Wiedersehen: Die Russin Galina aus Königsberg

Zusammentreffen nach so vielen Jahren: Grethe Müller, Rudolf Müller und Anni Klein Fotos (3): privat