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11.01.03 / Dezentralisierung in Frankreich / Premier Raffarin will mehr Macht für die Kommunen

© Das Ostpreußenblatt Ausgabe / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Januar 2003


Dezentralisierung in Frankreich
Premier Raffarin will mehr Macht für die Kommunen
von Pierre Campguilhem

Ende Februar soll im Versailler Schloß der parlamentarische Kongreß Frankreichs, das heißt die Zusammenkunft des Senats und der Nationalversammlung, tagen, um mit qualifizierter Mehrheit ein wichtiges Vorhaben der Regierung Raffarin zu billigen, das eine Reform der Verfassung der Fünften Republik nach sich ziehen wird.

Es handelt sich um die Dezentralisierungspläne der Konservativen, die gegenwärtig in Paris an der Macht sind, aber nicht viel ehrgeiziger als ihre sozialistischen Vorgänger erschei- nen. Während der Präsidentschaftswahlkampagne im letzten Frühling hatte Jacques Chirac den Franzosen eine Volksabstimmung diesbezüglich versprochen, hatte allerdings nach Presseberichten darauf verzichtet, aus Furcht, daß seine Anhänger sich noch einmal, wie beim Referendum zum Maas-trichter Vertrag, tief abspalten. Mit Alain Juppé an der Spitze der Regierungspartei und der fügsamen Mehrheit des Senats dürfte eigentlich der Staatschef sicher sein, daß das Dezentralisierungsgesetz problemlos vom Kongreß angenommen werden wird.

Abgesehen von der Verteidigung und den Außenbeziehungen dürften sämtliche Ministerien von dieser Reform betroffen sein. Schon 1982 hatte der damalige Innenminister Gaston Defferre, ein Vertrauter Francois Mitterrands, eine Umbildung des französischen Staatswesens eingeleitet, damit die Regionen - Frankreich zählt 22 davon - und die Départements über echte Machtbefugnisse verfügen. Nun geht es darum, mehr Geld zu verteilen, und so ist es nicht erstaunlich, daß bei den lokalen Politikern die Aussicht, bedeutsame Geldsummen von Paris oder Brüssel zu bekommen, begrüßt wird. Leider muß Jean-Pierre Raffarin auch mit dem Ärger von vielen Lokalpolitikern rechnen, die selbstverständlich ihre ehrgeizigen Interessen möglicherweise in einem dezentralisierten Frankreich nicht durchzusetzen vermögen werden.

Es gibt mehr als 40.000 Gemeinden in Frankreich. Das bedeutet, daß in jeder Kommune ein Bürgermeister und seine Beigeordneten fungieren und daß die Pariser Parteien mit dieser Klientel Druck auf die Zentralbehörden ausüben können. In dieser Hinsicht wurde viel in den französischen Medien über die Äußerungen des Vorsitzenden der Nationalversammlung, Jean-Louis Debré, geschrieben, der scharf gegen die Dezentralisierungsreform Stellung genommen hat und sogar von einem "Integrismus" bei den Dezentralisierungsplänen der Regierung sprach.

Für die Politiker, die die Chance haben, im Senat oder in der Nationalversammlung zu sitzen, scheint es lebenswichtig zu sein, ihre eigenen Interessen und die ihrer Wählerschaft in den Vordergrund zu bringen, obgleich seit vierzig Jahren Frankreich unter dem Druck einer allmächtigen Verwaltung zu er-sticken droht. Die Debatte zwischen der Pariser Staatsgewalt und derjenigen der Provinz ist eine sehr alte Debatte. Erwähnt werden kann der Hof des Sonnenkönigs, Ludwigs XIV., in welchem der Adel aus der Provinz gezähmt wurde. Nach dem Sturz der Monarchie und mit der Französischen Revolution schafften es die Jakobiner, Frankreich zu zentralisieren und dem Staat damit ihren Willen aufzuzwingen. Seither ist es so weitergegangen, und keine Regierung an der Seine hat es gewagt, die vom ersten Kaiserreich eingeführte Straffung des öffentlichen Lebens zu beseitigen. Jetzt will Paris in diesem Bereich aktiv werden, sicherlich auf Grund des europäischen Aufbaus, der freilich frische Luft in die überalterten französischen Institutionen bläst. Der gute Wille von Jean-Pierre Raffarin, der eine lange Erfahrung als Regionalpolitiker hat und die Verwaltungseliteschule "Ecole Nationale d'Administration" nicht absolviert hat, scheint in dieser ganzen Dezentralisierungsangelegenheit offenkundig zu sein. Er hat viel mit lokalen Parteienverantwortlichen über eine Reform gesprochen, und man kann nur hoffen, daß sie erfolgreich sein wird. Problematisch bleibt, daß die öffentliche Meinung für die Pläne der Regierung kein Interesse zeigt und zugleich daß niemand weiß, wieviel die Sache den Bürger kosten wird. Zukünftig sollte der finanzielle Gesichtspunkt ausschlaggebend sein.

Das Regionalparlament der Bretagne in Rennes: Es ist ein Symbol für die seit Jahren geplante und sich fortentwickelnde Dezentralisierung und Regionalisierung des französischen Staates. Die französischen Regionen sind den Bundesländern vergleichbar. Foto: Fouqet