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11.01.03 / Ein Gemütsmensch

© Das Ostpreußenblatt Ausgabe / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Januar 2003


Ein Gemütsmensch
von Gerd Schimansky

In der guten alten Zeit lebte in der Elchniederung der Pferdehändler August Strupjuweit. Der war stolz darauf, daß er als junger Gardekürassier noch den alten Bismarck erlebt hatte, den Eisernen Kanzler. Zwei Gardekürassiere standen neben dem Kaiserthron, der eine rechts, der andere links. Stramm standen sie in ihren weißen Uniformen, "wie de Ärz-ängel standen wir da." Was war dagegen der greise Bismarck? "Nei, nei, was hat der bloß fier piepsiges Stimmchen gehabt!" So richtig dröhnend hätte der doch reden müssen. Aber nur ein hohes, doch wohl schwaches Organ. Dabei war der Mann doch "in Ordnung", war gar nicht zimperlich.

"Zimperlich", das war das Schlimmste für Strupjuweit. Ein Junge etwa, der zimperlich war? Geht mir doch! So richtige "Lorbasse", die waren Strupjuweit am liebsten. "Die Frächsten, das sind die Bästen." Er stellte sich immer auf deren Seite, mochten sie auch anrichten, was sie wollten.

Und sie richteten mancherlei an. Hatten sie doch mal in einer Neujahrsnacht einen sehr unbeliebten Lehrer überfallen - Sack übern Kopf und unter die Pumpe gelegt und dann nichts wie weg! Es kam trotz peinlichster Verhöre und Strafen "für alle" nie heraus, wer den Sack so geschickt übergestülpt und wer die Pumpe so kräftig bedient hatte.

"Kleine Badekur", sagte Strupjuweit nur. Als Junge wäre er wohl auch selber ganz gern so ein Bademeister geworden.

Nahezu zwei Meter war er groß und wog demgemäß auch weit mehr als zwei Zentner. Seine Finger waren so klobig, daß er sie bei aller Mühe nicht durch den Griff seiner Zigarrenschere hindurchzwängen konnte. "Hans", schrie er dann seinem Neffen zu, "Hans, mein Jung', was is' dies fier komische Scher'? Schneid mal ab mein Zigarr'!" Er betonte das Wort auf der ersten Silbe, sagte also "Ziehgarr'". Nur dröhnend konnte er sprechen, und das klang drohend, selbst wenn er jemandem gratulierte oder kondolierte.

Wie paßte es dazu, daß er unansehnliche Pferde liebte, sogenannte "Krücken"? Schon manches dieser armen Geschöpfe hatte er mit viel Geduld wieder auf die Beine gebracht oder ihm zu einem Gnadenbrot verholfen. Überhaupt neigte er zum Gemüthaft-Versöhnlichen hin. Auch in mißlichen Lagen überließ er sich nicht blinder Wut, sondern wahrte ein bedächtiges Wesen. So auch in jener Nacht, als er sehr spät von seinem Abendschoppen, einem recht ergiebigen Schoppen, nach Hause kam. Schwankenden Schrittes, aber doch mit fester Stimme verlangte er von seiner Frau, die schon schlief, "jläich was zu ässen, aber anständig, Eier mit Späck".

Natürlich weigerte sie sich. Und Strupjuweit? Nichts Arges schien er in seiner breiten Brust zu bewegen, als er, bedachtsam wiegenden Schrittes, das Zimmer verließ, nicht unfreundlich murrend: "Wirst schon aufstehn."

Und bald kehrte er zurück, beide Arme voll Stroh, schob diesen rauschenden und knisternden Berg unter das Bett seiner Frau, zog ganz ruhig ein Zündholz hervor, steckte es an und hielt es ins Stroh. Da stand sie auf.

Am übernächsten Tag stand ein riesiger Rosenstrauß an ihrem halbwegs geretteten Bett. Woher? Das ließ sich nicht klären.

Beim nächsten Abendschoppen sprach er mit versöhnlichem Frohsinn von der Ehe. Mit glänzenden Backen und vergnügt schwimmenden Äuglein meinte er: "Der Mann is' der Kopp, aber de Frau is' 's Mützche, das huckt oben drauf." Und seine Frau, na, die war "das Bäste" an ihm. Ach ja, er war ein Trampel. Aber der Pfarrer sagte nach seinem Begräbnis: "Ein Trampel mit Herz."