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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Januar 2003 |
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Körper gesund - Seele krank Fitneß-Wahn und Diät-Masochismus sind längst mehr als nur Religions-"Ersatz", sagt der Autor Manfred Lütz Einst suchten die Menschen das "Höchste" im Heiligen, im Göttlichen. Heute steht für die meisten fest: "Gesundheit ist das höchste Gut." Wer dem zu widersprechen wagt, merkt schnell, daß er an ein kaum diskutiertes Tabu rührt. Die selbstverständliche Sorge um den Zustand des eigenen Körpers ist vielerorts längst in eine pseudosakrale Handlung umgeschlagen, meint Psychotherapeut und Theologe Manfred Lütz in seinem neuen Bestseller-Buch "Lebenslust". von Jürgen Liminski Gesundheit ist "in". Es ist, neben Rente und Familie, das große innenpolitische Thema dieser Wochen. Das liegt nicht nur an der Unsicherheit über die Finanzierung des Gesundheitssystems, sondern auch an einer Mentalität, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat und Gesundheit zum "höchsten Gut" des Menschen hochstilisiert. Der Bestsellerautor und Psychotherapeut Manfred Lütz hat seinem Buch "Lebenslust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitneß-Kult" ein Wort von Platon vorangestellt. Es lautet: "Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit". Diese Krankheit behandelt er in seinem Buch. In einem Gespräch mit dieser Zeitung beschreibt er die Diagnose und analysiert die Symptome mit Blick auf gesellschaftliche Trends. Lütz hält Deutschland im Sinne Platons für ein krankes Land. Sein Eindruck sei, daß "die Deutschen sich in einer Weise Sorgen um die Gesundheit machen, die völlig überzogen sind. Jede Geburtstagsrede über 65 hat mit Sicherheit den Satz: ,Gesundheit ist unser höchstes Gut.' Dabei ist das philosophisch völliger Unsinn. Gesundheit ist in der gesamten philosophischen Tradition des Abendlandes und des Morgenlandes niemals das höchste Gut gewesen." Wenn es ein höchstes Gut gegeben habe, dann die Einheit von Heiligkeit und Glückseligkeit oder ganz allgemein Gott. Aber heute gelte Gesundheit als höchstes Gut, und deshalb seien "die Leute von morgens bis abends mit diesen Fragen beschäftigt, laufen zum Arzt, zum Therapeuten. Es gibt einen schlimmen Spruch, der heißt: ,Gesund ist ein Mensch, der nicht ausreichend untersucht wurde.' Also: Je mehr Untersuchungen man macht, desto mehr pathologische Werte bekommt man mit. Es gibt Menschen, die von morgens bis abends nicht mehr leben, sondern nur noch vorbeugend leben und dann gesund sterben". Aber das gilt nicht nur für Deutschland. In seinem Buch stellt der Chefarzt einer Nervenklinik bei Köln Gesundheit dar als neue Weltreligion. Er beschreibt auch die neuen Kultformen. "Von der Prozessionstradition zur Chefarztvisite" heißt ein Unterkapitel. Ferner nimmt er die modernen Bußübungen aufs Korn. Es geht auch um Schönheit, Sex und Tod im Sonderangebot, um das Krankenhaus als Kathedrale des 20. und wahrscheinlich auch des 21. Jahrhunderts. Die Parallelen sind erstaunlich. Der hauptberuflich als Arzt für Psychiatrie tätige Autor hat auch Theologie studiert. Für ihn ist der Gesundheitswahn ein moderner Religionsersatz, so wie vor 200 Jahren etwa die Vernunft die Religion ersetzen sollte. Die Menschen glaubten "nicht mehr an Gott, aber an die Gesundheit". Der Deutsche Fitneß-Studio-Verband beziffere die Zahl seiner Mitglieder für das Jahr 2000 auf 4,59 Millionen. Im gleichen Jahr 2000 seien noch 4,42 Millionen Deutsche in den katholischen Sonntagsgottesdienst gegangen, "also das Jahr 2000 ist ein Wendepunkt. Die Gesundheitsreligion hat sozusagen die Macht übernommen und ich glaube in der Tat, daß alle Formen der religiösen Tradition inzwischen im Gesundheitswesen angelangt sind." Lütz nennt konkret die Wallfahrtstradition: "Die Leute aus Hannover fahren nach München, um sich dort operieren zu lassen, und wegen der gleichen Operation fährt man aus München nach Hannover - je weiter weg, desto mehr Heilserwartung ist damit verbunden." Auch Schuld gebe es eigentlich nur noch im Gesundheitsbereich. "Der Begriff Sünde erscheint im Deutschen eigentlich nur noch im Zusammenhang mit Sahnetorte. Also Sünde, das ist eine Ernährungssünde oder etwas ähnliches, oder man hat nicht genügend auf dem Fitneßpfad zugebracht." Auch Blasphemie ortet man weitgehend "nur noch im Gesundheitsbereich. Sie können heute die größten Albernheiten über Jesus Christus erzählen, aber bei der Gesundheit: Da hört der Spaß auf. Das ist die einzige satirefreie Zone in unserer Gesellschaft und deswegen habe ich in meinem Buch versucht, diesen Bereich mal zu betreten. Ich glaube, daß man der mächtigsten Religion aller Zeiten - für die ich die Gesundheitsreligion in der Tat halte, auch für die teuerste Religion aller Zeiten - mit Satire zunächst einmal begegnen muß, und es gibt inzwischen auch schon einen Fundamentalismus dieser Gesundheitsreligion: Das ist die Ethik des Heilens, die neuerdings erfunden wurde. Das bedeutet, wenn sie heilen, irgendwen heilen, können sie dafür alles machen. Sie können kleine Kinder töten. Denn heilen, das ist ein absolutes Ziel, und wer dagegen redet, gilt als zynisch." Die teuerste Religion aller Zeiten ist Gegenstand heftiger Dis-kussionen und Proteste in Deutschland. Allerdings gehe man nicht zum Kern. Der sei die überhöhte Heilserwartung an die Funktionäre des Gesundheitswahns. Die politischen Konsequenzen aus diesen Erwartungen wolle aber keiner ziehen, "denn weil dieser Bereich geradezu sakral aufgewertet wird, weil der Gesundheitsbegriff religiös aufgeladen ist, traut sich im Grunde kein Politiker mehr, die Pfade der ,political correctness' in diesem Bereich zu verlassen. Jeder muß sagen, daß Gesundheit selbstverständlich das höchste Gut ist und daß aller Einsatz dazu aufgewandt werden muß, um jedem Einzelnen maximale Gesundheit zu sichern. Jedem Kenner der Lage ist bekannt, daß das jetzt schon nicht möglich ist - aber man darf es nicht sagen. Und das ist sehr gefährlich." Das Gesundheitssystem insgesamt verschlinge bereits mehr Geld als der ganze Bundeshaushalt. Und dennoch gebe es niemanden, der diesen gewaltigen Tanker steuern könne. Sobald man steuere, "muß man ja abwägen, muß man sagen: Können wir da mal etwas weniger ausgeben? Und da beginnt die Tabuzone, denn wer sich hier vorwagt, riskiert seine Wählbarkeit. Das sind gravierende politische Konsequenzen." Deshalb hat das Buch des Fachmanns auch schon viele Reaktionen bei Krankenkassen und Ärzteverbänden ausgelöst. Gesundheitswahn und Fitneßkult - auf diese Diagnose des sozialkritischen Beobachters folgt die Therapie des Arztes, um wieder Lust am Leben zu gewinnen. Die Therapie beginnt mit der Wahrheit, mit dem Aussprechen von Wahrheiten. Er versuche das "mit Satire, aber auch mit Kritik an dieser Entwicklung. Wenn Bestseller heißen ,Young forever' (für immer jung), dann ist das ja gelogen - das ist ganz klar -, denn jeder weiß, daß auch dieser Autor sterben wird. Vielleicht gesund, aber er wird sterben. Das heißt, wir müssen von der großen Lüge in diesem Bereich endlich zur Wahrheit kommen. Die ist einfach: Es geht um die Begrenztheit des Lebens - und das ist eigentlich die Weisheit aller Völker immer gewesen: im Bewußtsein der Grenzen des Lebens jeden Tag bewußt leben. Ein Kapitel des Buches heißt ,Sterben und Tod als Würze des Lebens - oder was ein pompejianisches Bordell mit dem heiligen Hieronymus verbindet'. Das ist sicher erklärungsbedürftig: In einem pompejianischen Bordell sind Totenmasken an der Wand, die sagen sollen: Lebe jeden Tag intensiv. Und der Totenschädel auf dem Tisch des heiligen Hieronymus heißt im Grunde das gleiche: Lebe jeden Tag sehr bewußt. Natürlich nicht im Bordell. Aber das bewußte Leben jedes Moments, das ist eigentlich das, was die Alten Muße nannten, das heißt daß man Zeit ganz intensiv erlebt." Das sei zum Beispiel in der sinnlichen barocken christlichen Tradition sehr anschaulich dargestellt. Da komme immer wieder der Schnittertod vor, nicht als Auslöser einer Depression, sondern als Aufforderung zu einem vitalen Leben. Das habe ganz konkrete Folgen für den persönlichen Bereich. "Darum geht es in dem Buch auch um eine ganzheitliche Art von Spiritualität, die man dann leben kann, wenn man sich nicht von morgens bis abends nur um etwas kümmert, was man im letzten, in dieser Absolutheit, gar nicht erreichen kann." Spiritualität gehöre insofern mit zur Gesundheit. Genau genommen, so Lütz, "ist Gesundheit gar nicht so wichtig. Ich glaube, Gesundheit ist relativ wichtig. Sie ist ein hohes Gut, aber wenn man sich übermäßig - und das gilt für alle Güter -, wenn man sich übermäßig nur mit der leiblichen Gesundheit beschäftigt, kann man sich gar nicht mehr mit Spiritualität, mit dem eigentlichen Glück, mit der Lust am Leben in jedem Moment, wirklich beschäftigen." Insofern, folgert der Autor, "stehlen diese Fitneß-Apostel den Menschen auch ihr Leben, wenn man nur noch vorbeugend lebt und gar nicht mehr zum wirklichen Leben kommt". Eine gewisse Ehrlichkeit gebe es allerdings doch. Man sage immer wieder: "fit for fun". Das heiße ja, man mache sich fit, um anschließend Spaß zu haben, "aber die meisten Leute, die ich kenne, haben gar keine Zeit mehr, um anschließend Spaß zu haben, weil sie völlig fertig sind von dem, was sie alles für die Fitneß getan haben". Lütz will sein Plädoyer für die Muße nicht mißverstanden wissen. Er plädiere hier nicht für mehr Faulheit. Aristoteles habe gesagt: "Wir arbeiten, um Muße zu haben." "Also man muß auch arbeiten, damit man dann Muße haben kann, insofern nicht durchgehende Faulheit. Und Faulheit würde ja auch bedeuten, daß man einfach nur Langeweile hat. Muße ist etwas Intensives. Es ist etwas, was Freude bereitet, was auch Spaß mit sich bringt und das Leben farbiger und geschmackvoller macht. Und darum geht es. Nicht um einfaches Sichhinlegen vor der Glotze oder sich von der Sonne bescheinen lassen. Das wäre zu wenig." An wen richtet sich das Buch? Wer sollte, wer muß es lesen? Darauf der Autor: "Das Buch ist geschrieben für Fitneßstudio-Mitglieder, aber für die Sorte, die einen gewissen Sinn für Humor hat und die auch Lust hat, etwas nachdenklich zu werden über das, was am Ende des Fitneßpfads hinaus auf sie wartet. Und es ist natürlich geschrieben für 75 Millionen Deutsche, die noch nicht Mitglied eines Fitneßstudios sind - als Ermutigung zum Durchhalten." Manfred Lütz: "Lebenslust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitneß-Kult", Pattloch-Verlag, München, 210 Seiten, 14,90 Euro, zu bestellen beim Preußischen Mediendienst, Telefon 0 40-41 40 08-27 |