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18.01.03 / De Bolz fahrt noa Berlin

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Januar 2003


De Bolz fahrt noa Berlin
von Rudolf Herrenkind

Wer von den Lesern unserer Wochenzeitung hat ihn noch gekannt? Ich meine nicht den Herrn Bolz. Von dessen Zeitgenossen dürften kaum noch welche am Leben sein. Ich meine den Erzähler dieser humorvollen Geschichte, meinen lieben alten Freund und Jagdgenossen, den Landwirt Heinz Fuchs, der allen seinen Freunden und Bekannten wegen einer ausgesprochenen Begabung, Geschichten zu erzählen, in bleibender Erinnerung ist. Daher bekam er von uns den Spitznamen: Erzähler!

Es gibt da so viele ergötzliche Geschichten, die wirklich wert wären, der Nachwelt überliefert zu werden, und so will ich versuchen, mit der Geschichte vom Lehrer Bolz aus Pillupönen einen Anfang zu machen.

Zum Ende des Jahrhunderts, als die ersten Eisenbahnen noch mit 60 Kilometer Geschwindigkeit über die Schienenstränge von Ostpreußen nach Berlin rollten, gab es in einem Dorf in der Nähe der Rominter Heide einen Schulmeister namens Bolz. Er mag der damaligen Zeit etwas voraus gewesen sein, denn man wußte über ihn zu berichten, daß er neben seinem Amt als Schulmeister und Organist manchmal auch den Herrn Pfarrer bei der Sonntagspredigt vertrat und die Interessen der Lehrerschaft vom Lande sogar in Versammlungen und auf Tagungen in der Regierungshauptstadt Königsberg vertreten haben soll. Sicher hat er auch die anderen Eigenschaften der damaligen ostpreußischen Schulmeister besessen, nämlich Bienen zu halten, Meschkinnes, lies Bärenfang, zu brauen und im Winter, wenn die Binnenfischer auf den Seen Masurens die Eisfischerei betrieben, einen Tagesmarsch nicht zu scheuen, um sich die leckeren Maränen selbst aus dem Zugnetz zu nehmen.

Also sprach es sich eines Tages im Dorfe herum, daß der Lehrer Bolz nach Berlin fahren werde. Mein Gott, war das ein Ereignis! De Bolz fahrt noa Berlin! So ging es im Dorfe von Mund zu Ohr, selbst der ältesten Weiberchen bemächtigte sich eine ungeheure Aufregung und die Schuljungens vergaßen vor lauter Aufregung, die Mützen abzunehmen. Es war ja schon einige Male vorgekommen, daß ein strammer junger Kerl nach Berlin oder Potsdam eingezogen worden war, um seinen Militärdienst bei einem Gardekavallerieregiment abzuleisten. Das war aber nicht so aufregend, denn der kam wohl als schmucker Gardeulan oder Husar nach zwei Jahren mal auf Urlaub, aber meistens hatten sich diese Jungens mit ihrem guten Pferdeverstand dann in Berlin eine Braut ausgesucht und blieben nach der dreijährigen Dienstzeit dann dort hängen.

Aber der Herr Bolz fuhr ja nur für eine Woche zu einer Tagung der Dorfschulmeisterlein nach Berlin und würde dann wieder nach Pillupönen kommen und viel erzählen können. Die Neu-gierde und Erregung unter den Bauern war so groß, daß sie beschlossen, den Herrn Lehrer noch einmal vor seiner Abreise auf ein Bier und einen Bärenfang in den Dorfkrug zu bitten, um ihm gute Reise zu wünschen und ihn ihrer Anteilnahme an diesem Ereignis zu versichern. Als sie dann beisammen saßen, fragte der Szameitat: "Bolz, ware Se ok dem Kaiser to sehne kriege?" - "Na klar", sagte der Bolz, "ek foahr doch extra noa Potsdam un wöll dem Kaiser besöke." - "Mönsch", sagte da der Bauer Uschkoreitis: "Denn vertell em man ok, dat de grote Sechzehn-ender wedder äwer dat Rominter Gadder springt on ömmer in mienem Hoaver steiht. Wenn der Kaiser Lust häd, denn kunn he em ut mienem Luchtfönster schieße." Viele Wünsche begleiteten also den Lehrer Bolz auf seiner Reise nach Berlin. Und der Großbauer Purwien ließ es sich nicht nehmen, den Schulmeister nach Gumbinnen an die Bahn zu fahren.

Während der Abwesenheit des Lehrers hatten die Jungens und Marjellens Heuaustferien. Und dann kam eine Karte vom Herrn Bolz aus Berlin, er sei glücklich angekommen und er käme an einem bestimmten Tage wieder in Gumbinnen an. Auch dieses Gerücht ging wie ein Lauffeuer durchs Dorf. Von den Bauern wollten nun etliche dem Purwien nicht gönnen, den Herrn Lehrer wieder abzuholen, und so geschah es, da einer dem anderen seine Absicht nicht verraten hatte, daß zum Empfang von Herrn Bolz auf dem Bahnhof in Gumbinnen eine stattliche Anzahl von Bauernfuhrwerken aufgefahren war. Bolz soll, um keinem einen Gram zu bereiten, auf der Fahrt nach Pillupönen, bei jedem ein Weilchen auf dem Wagen gesessen haben. Er lehnte es aber ab, jedem einzelnen seine Erlebnisse zu schildern, sondern versprach, wie auch vor seiner Verabschiedung, an einem der nächsten Abende im Dorfkrug allen gemeinsam etwas von seiner Reise zu erzählen.

So trafen sich dann die wackeren Mannen eines Abends wieder beim Wirt, bei Grog, Meschkinnes und Bairisch, und Bolz erzählte. Er berichtete über die Reise, über die Tagung in Berlin und über das, was die Bauern natürlich am meisten interessierte, über seinen Besuch beim Kaiser. "Ja", sagte der Bolz, "also enet Doags fohr ök denn noa Potsdam. Am Schloß verbie käm ök denn äwerm Marcht dörch de Stadt noa Sanssouci. Ersch bekigt ök mi so dem Park e bätke von bute, on an dem grote Där stunde zwee Keerls möt schwarte Böxe on witte Gamasche on ohle blaue Fracks möt blanke Knöp. Wie ök da so stoah, seggt de ehn to mir: ,Wollen Sie in den Park, mein Herr?' ,Ja', säd ök. Da moakt de so einladende Handbewegung on säd: ,Na bitte schön mein Herr, gehen Se man immer gerade aus, dann kommen Sie zum neuen Palais.' Ök frog em denn, ob de Kaiser ok to Hus wör. He säd ja. On nu ging ök denn ömmer driest on gottesförchtig de lange Allee lang. Kinner, ju könne sök gar nich denke, wie schen dat da wör. Da stunde äwerall so grote Poppe, bie de erschte nehm ök forz dem Hot aff, awer ök söch ja glieksch, dat de ut Marmor wör. On de väle Blome, wo doa blögde, Mönsch, dat wör schon ene Pracht.

Op enmal stund wedder so en Körl ver mie, möt witte Gamasche, on de had noch so lange schwartwitte Stang möt ene blanke Spötz. Mie wurd wörklich ganz komisch. He frog mie, wo ök henn wull. Ök säd em nu, dat ök dem Kaiser besöke wull on dat ök ut de Rominter Haid käm. Da moagd de doch forz e Diener on säd: ,Bitte schön mein Herr, dann gehen Sie nur immer geradeaus bis zum Schloß, da wird Sie dann schon jemand weiterleiten.' Nu marscherd ök oawer wie e General groatto op dat Schloß los. Wie ök nu so ömmer neger an de Där komm, da kömmt doch tatsächlich wedder so eener möt blanke Knöp on froagt mi, ob ök biem Kaiser wull. ,Jawoll', säd ök. Da moagd he mi de Där op un säd: Bitte schön, mein Herr, gehen Sie bitte durch jene Tür, dann den Gang entlang und klopfen Sie dann an die vierte Tür auf der linken Seite des Ganges.' Mönsche, ök kann ju dat goar nich vertelle, wie mi to Mod wär. Alles Marmor on Spögel on Sölver on Gold. Nu köm ök an de verde Där, tog mi de West runder, wöscht mi dem Bart af on kloppt an.

,Herrrein', röp da ene Stömm. Ök moak de Där op on seh, da hukt de Kaiser oppem Sofa, had e Bröll op e Näs on lesd Zeitung. Wie ök denn späder sehne kunn, dem Pillupöner Grenzboten. De Kaiser kigd mi denn äwer sein Bröll an, on op enmal stund he op on säd: ,Das ist doch der Herr Bolz aus Pillupönen, nein wie ich mich freue, Herr Bolz, daß Sie mich auch mal besuchen kommen.' He geef mi de Hand on säd, ök sull mi man hennhucke. Denn säd he wedder, nein die Freud ok, denn röp he ganz lut: ,Augustchen, Augustchen, komm doch bitte mal rein, weißt du, wer uns besucht?' Ach du lieber Gott, köm da de Kaiserin op mi to: ,Das ist aber nett, Herr Bolz, daß Sie auch mal nach uns sehen kommen.'

De Kaiser geef mi en Zigarr on säd to de Kaiserin: ,Augustchen', säd he, ,hast du nich noch e Topfche Kaffee in der Röhre', on de Kaiserin säd: ,Aber natürlich, für den Herrn Bolz immer.' Na ja, on denn frog de Kaiser, wie et ju alle geit, ob dem Uschkoreitis sein Su wedder elve Farkel hädd, ob de Uschkoreitis nich dem Haver stoahne loate kunn för dem Sechzehnender, on ob ju ok noch ömmer min Land plögde on noch väl mehr.

Wie hadde ons nu e ganze Weil underhole, da säd de Kaiser denn: ,Na Herr Bolz, dann grüßen Sie bitte alle recht schön und kommen Sie gut wieder nach Hause. Im Herbst werde ich ja wieder in Rominten sein, und dann seh'n wir uns ja wieder. Um eins möchte ich Sie noch bitten, Herr Bolz, singen Sie doch dann nicht wieder immer dasselbe Lied mit Ihrer Schule, "Heil Dir im Siegerkranz", lehren Sie die Kinder doch mal ein andres Lied, meinetwegen "Ich schieß den Hirsch im wilden Forst" oder was ähnliches. Na ök säd denn ,Adjöh Majestät' on ging. On nu si ök wedder hier."

Die Bauern hatten, ohne zu mucksen, die Geschichte mitangehört. Nun nahm erst jeder mal einen kräftigen Schluck, und der Purwien war der erste, der etwas sagte. Er sah den Herrn Lehrer recht mißtrauisch von der Seite an und man vernahm: "Bolz, ök glow, du lögst!" n

 

Rudolf Herrenkind wurde am 21. Januar 1897 in Wehlau geboren; er starb am 16. Juli 1983 in Bordesholm. Er schrieb für viele Jagdzeitschriften, malte und war ein passionierter Jäger und Falk-ner, mit seinen Geschichten konnte er eine ganze Gesellschaft unterhalten.

Rudolf Herrenkind arbeitete in Ostpreußen bei einer Baugesellschaft, die hauptsächlich Silos, die damals aufkamen, errichtete. Da die Gutsbesitzer ihn kannten, hatte er "freie Jagd", was er früh morgens vor Arbeitsbeginn und abends nach Dienstschluß wahrnahm. Er gerbte selbst das Rohleder und arbeitete seine Handschuhe selbst. Im Winter gab es wegen des Frostes nichts zu bauen und sehr wenig Arbeitslosengeld. So war Rudolf gezwungen, unter anderem sein Gewehr ins Leihhaus zu bringen. Zu seinem Geburtstag lösten seine Freunde alles aus und schenkten es ihm. Seine Geschichten wie etwa "De Bolz fahrt noa Berlin" sind in seinem von mir verlegten Buch erschienen. Leider aber ist Rudolf Herrenkind heute kaum noch bekannt. Nur seinen Freunden bleibt er unvergessen. B. F.

 

Vagabundenlied
von Toni Schawaller

Halt ein, Vagabund,

halt ein im Schritt,

nimm dein Herz

auf die Wanderschaft mit.

Wen der Frühlingssturm

durch die Lande trägt,

des Herz wohl

unter der Weste sich regt.

Nur zu, Vagbund,

der Frühlingswind weht,

wahr dein Herz,

daß es nicht verlorengeht.

Die Straße ist hart

und der Weg ist weit,

es hat auch im Frühling

schon oft geschneit.

Hör zu, Vagabund,

was der Wind dir erzählt,

du hast ihn dir selbst

zum Begleiter gewählt.

Er geht vor dir her

über Straßen und Feld

und singt: "Dem Wandrer

gehört die Welt!

Ziehst ein in das Städtchen

durchs alte To,

Vagabund, heb deine Augen

nicht zum Rathaus empor!

Am Fenster im Rathaus

ein Mägdelein steht,

Vagabund, ich warn' dich,

eh es zu spät.

Die Schönste im Städtchen

steht dort fürwahr,

des Ratsherren Tochter

hat goldenes Haar.

Die blauen Augen,

sie leuchten so fromm,

als sagten sie,

Vagabund, willkomm'!

Geh vorbei, Vagabund,

verhalt nicht den Schritt,

nimm dein Herze

auf die Wanderschaft mit.

Des Ratsherren Tochter

zu hoch für dich hing,

Vagabund, dein Herze

verlorenging.