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18.01.03 / Beamter als Dichter / Eichendorffs "Taugenichts" entstand in Königsberg

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Januar 2003


Beamter als Dichter / Eichendorffs "Taugenichts" entstand in Königsberg

Joseph von Eichendorff ist bis heute der bekannteste Dichter der deutschsprachigen Romantik geblieben, die weltweite Lesergemeinde, die er bis nach Japan hat, liest seine berückenden Bilder und seine Gedichte wie eine "Autobiographie" und meint, so wie er geschrieben hat, so habe er auch gelebt. Die Wirklichkeit sah völlig anders aus. Der von seinem Vater durch eine Serie gescheiterter Spekulationen verursachte Totalverlust der Familiengüter bei Ratibor in Oberschlesi- en, die etwa 1600 Hektar umfaßt hatten, zwang den Dichter zu einem Berufsleben als preußischer Beamter, das drei Stationen hatte: Danzig, Königsberg und Berlin, bis ihm 1844, mit 56 Jahren, die ersehnte Pensionierung gelang.

Sein Beamtenleben begann 1816 als Referendar am Regierungspräsidium Breslau. Anfang 1821 bezog Eichendorff mit einer Familie von vier Kindern das erste Gehalt. Es war damals Übung, die Beamten in der Referendarzeit unbesoldet zu beschäftigen. Endlich, am 22. Dezember 1820, wurde Eichendorff zum "katholischen Consistorial- und Schulrath beim Oberpräsidium und der Regierung zu Danzig" ernannt. Sein späterer unmittelbarer Vorgesetzter, der preußische Kultusminister Karl von Altenstein hatte den Oberpräsidenten der Provinzen West- und Ostpreußen, Theodor von Schön, dazu angeregt, "den vortrefflichen jungen Schlesier" auf diesen Posten zu berufen. Eichendorff war damit der Aufsichtsbeamte über das katholische Schulwesen beider Provinzen, wobei im preußischen Amtssprachgebrauch "katholisch" fast gleichbedeutend mit "polnisch" war. Ein wesentlicher Grund für diese Berufung war neben der glänzenden dienstlichen Beurteilung durch die Breslauer Regierung seine vollendete Beherrschung der polnischen Sprache.

Für Eichendorff brachte diese Ernennung ein auskömmliches Einstiegsgehalt von 1.200 Thalern im Jahr, das im Mittelbereich der Besoldungsstufe für höhere preußische Beamte lag. Zudem war Danzig zu dieser Zeit eine "wohlfeile", also nicht zu teure Stadt. Gewohnt hat er während der Sommermonate im Schloß der Grafen zu Dohna in Silberhammer im Südwesten von Danzig, in der Nachbarschaft zu der Abtsresidenz des Fürstbischofs von Ermland im Zisterzienserstift Oliva. Fürstbischof von Ermland war damals Joseph von Hohenzollern, mit Eichendorff ähnlich befreundet wie im Alter der Breslauer Fürstbischof Heinrich Förster. Für den Ermländer Bischof war auch der Beamte Eichendorff ein willkommener Partner, wenn es um katholische Interessen in den beiden Provinzen Ost- und Westpreußen ging. Eichendorff hat sich mit seiner Loyalität gegen-über diesen Minderheitsanliegen weder bei seinem Freund und Vorgesetzten, dem Oberpräsidenten von Schön, noch in Berlin beliebter gemacht. Von Theodor von Schön ist der Ausspruch überliefert: "Ich bin durch mehr als 40 Jahre preußischer Beamter gewesen, aber die kantische Philosophie und die ostpreußische Sauerkrautsuppe hat mir das Leben erhalten."

1824 fügte - man könnte auch sagen: preßte - Berlin die beiden Provinzen Ost- und Westpreußen zur "Provinz Preußen" zusammen. Die Regierung zu Danzig zog nach Königsberg um. Nach dem Umzug des Oberpräsidiums nach Königsberg erreichte er den oberen Bereich der Gehaltspyramide seiner Gruppe und bezog ein Jahresgehalt von 1.600 Thalern, das sich bald auf 2.100 Thaler erhöhte. Im billigen Königsberg reichten diese Bezüge zur "Führung eines Hauses" aus, das für Eichendorff ein Ersatz für die verlorene Alltagskultur des Elternhauses sein konnte. Gewohnt hat er während des Behördenumzuges in der "untern Turmstube" des Königsberger Schlosses, mit seiner Familie dann bis 1832 in einem ansehnlichen Bürgerhaus an der Langen Reihe im Zentrum von Königsberg.

Die Königsberger müssen damals eine hörbar fröhliche Bürgerschaft gewesen sein. Ein Beamter aus der Umgebung des - ähnlich wie Eichendorff - genervten - Oberpräsidenten merkte dazu an: "Abends in den Gassen wird zu allen Jahreszeiten unaufhörlich gepfiffen und gesungen!" So fremd sich der Schlesier Eichendorff in der für ihn zu Nordeuropa gehörenden Stadt auch gefühlt haben mag, die Faszination der Universität, der Breslau damals noch kaum etwas entgegenzusetzen hatte, hat er hoch geschätzt. Noch in seinen Altersschriften hat er vielfach betont, was es ihm bedeutet hat, neben der Universität zu leben, an der die mit seinen Worten drei mächtigen Geister Kant, Hamann und Herder studiert haben.

Bei aller persönlichen Freundschaft wollte der Oberpräsident Schön ihn als Beamten aber los sein. Schön konnte mit dem polyglotten katholischen Eichendorff, der noch vom alteuropäischen Universalismus geprägt war, seine Kirchenpolitik nicht verwirklichen. Vor allem wurde ihm Königsberg durch die Wahnidee von Schön zum Überdruß gemacht, die Katholiken setzten zum "Staatsstreich" an und wollten den "Protestantismus in Preußen austilgen". Eichendorffs Spott - im Vergleich zu dem E. T. A. Hoffmanns freilich milde - über die Jagd auf "proselytenmacherische Emmissäre", also "katholische Bekehrungspriester", die in den Angstträumen preußischer Spitzenbeamter hinter jedem Busch lauerten, ist eine bittere Erinnerung daran.

1831 erreichte Eichendorff seine Versetzung von Königsberg nach Berlin als "Hilfsarbeiter" im Kultusministerium. Damit begann eine Zeit der materiellen Unsicherheit, auch der Gefährdung, die volle elf Jahre angedauert hat. Mit der Versagung einer "etatsmäßigen Anstellung", also einer Planstelle und der Verwendung zu Vertretungen aller Art, war auch sein inzwischen ansehnliches Beamteneinkommen von 2.300 Thalern im Jahr ständig fraglich.

Doch das war Amtsleben. Der dichterische Ertrag der Königsberger Jahre sagt nichts über einen Eichendorff, der tief unglücklich gewesen wäre - im Gegenteil. Sein berühmtestes Werk, "Aus dem Leben eines Taugenichts", ist in der Mitte der Königsberger Zeit, 1826, erschienen. Die eigentlich nie spielbaren Dramen "Der letzte Held von Marienburg", der Ertrag seiner amtlichen Arbeit für die Wiederherstellung der Marienburg, das bei der Uraufführung in Königsberg durchfiel, "Ezzelin von Romano" und die satirische Komödie "Meierbeths Glück und Ende", dazu das Märchen: "Krieg den Philistern" entstanden auch in Königsberg. Zum schönsten, was er nach dem "Taugenichts" geschrieben hat, gehört sein zweiter Roman: "Dichter und ihre Gesellen", 1834 erschienen und gleichfalls in Königsberg entstanden. Schauplätze sind das heimatliche Oberschlesien, das Riesengebirge, die niederösterreichischen Waldgebirge entlang der Donau, das nie erreichte Italien und Heidelberg.

Im "anderen Leben" des Joseph von Eichendorff, dem des Dichters, wiederholen sich die Widersprüche seines Beamtenlebens: Er war berühmt, aber nicht bekannt, nämlich beim breiten Publikum nicht. Seine Werke wurden in größeren Auflagen erst ab etwa 1875 bis 1880 aufgelegt und vor allem gekauft. Zu seinen Lebzeiten hat es nur ein einziges Werk zu einer Auflage von 4.000 Exemplaren gebracht, "Aus dem Leben eines Taugenichts". Nach damals geltendem Urheberrecht hatte Eichendorff als Autor für die Folgeauflage keine Honoraransprüche. Er hat sich mit Bitterkeit darüber geäußert. Gesichert festgestellt sind für Eichendorff Gesamthonorare von 1.500 Thalern. Davon entfielen 300 Thaler auf seine "Geschichte der poetischen Literatur in Deutschland", die 1857 erschien und nur einen sehr mäßigen Verkauf erzielt hat. Den größten Teil der übrigen Honorare von 1.200 Thalern haben der "Taugenichts" und seine wiederholt aufgelegten Gedichtbände erbracht. Die Dramen sind zwar im Druck erschienen, haben dem Verfasser aber nur Freiexemplare gebracht, auch das einzige, wirklich spielbare Theaterstück von Eichendorff, das Lustspiel "Die Freier". Für den Jugendroman "Ahnung und Gegenwart", 1815 bei Schrag in Nürnberg erschienen, hat sich eine Honorierung von 30 Thalern ermitteln lassen.

Der zweite Roman "Dichter und ihre Gesellen", hauptsächlich in der Königsberger Zeit entstanden, hat 1834 ein Honorar von 50, das Märchen "Krieg den Philistern" eines von 100 Thalern erbracht. Für E. T. A. Hoffmann, Heinrich von Kleist, Ludwig Tieck oder den jüngeren Eduard Mörike lassen sich ähnliche Honorare feststellen. Es ist recht exakt ein Jahresgehalt des Beamten Joseph von Eichendorff, das ihm aus seinen Dichtungen zugeflossen ist. Es war ein willkommener Zuschuß zu den Kosten der Lebenshaltung, auch zu den Ausbildungskosten seiner Söhne, mehr nicht.

Nach dem Weggang von Königsberg hatte er bis zu seinem Tode am 26. November 1857 noch 25 Jahre vor sich. Gleichwohl kann sich diese Zeit nicht mehr mit der Fülle des dichterischen Ertrages der Jahre in Königsberg messen. Vielleicht ist ein Grund dafür, daß Eichendorff fast jede Nacht von Königsberg nach Oberschlesien gewandert ist, nach Wien und vor allem nach Heidelberg. Dichtung ist für die Dichter nun einmal vor allem ein Anadynum, ein schmerzstillendes Mittel. Dietmar Stutzer