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25.01.03 / Bevölkerung schrumpft weiter

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. Januar 2003


Bevölkerung schrumpft weiter
Kein europäisches Land verzeichnet einen Bevölkerungsüberschuß
von Wolfgang Thüne

Der demographische Wandel ist ein "Faktum", dem von politischer Seite schon seit Jahren eine gewisse Aufmerksamkeit gewidmet wird, das allerdings in seinen durchgreifenden gesellschaftspolitischen Konsequenzen in der breiten Öffentlichkeit noch viel zu wenig wahrgenommen und reflektiert wird. Infolgedessen wird das Thema sehr einseitig betrachtet und "medienwirksam" auf das Thema "Zuwanderung" reduziert.

Es scheint hier ein massenpsychologisches Phänomen zu greifen, das man unangenehme "Wirklichkeiten" nicht sehen will und daher aus dem Bewußtsein verdrängt. Doch damit werden notwendige Entscheidungen zwar aufgeschoben, doch Probleme eher verschlimmert denn gelöst. Dabei ist die Entwicklung schon sehr alt, wenn sie auch aus diversen historischen Gründen überlagert und verdeckt wurde.

Die für Deutschland bedrohliche Veränderung der Bevölkerungsstruktur setzte bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts ein. Der letzte Jahrgang, der sich in der Zahl seiner Kinder ersetzte, war der Jahrgang 1982! Seitdem ist jede Kindergeneration kleiner als ihre Elterngeneration. Daß dennoch die Bevölkerungszahl rein numerisch stieg, liegt an der steten Zuwanderung. Doch diese lange Phase geht ihrem Ende entgegen, denn selbst der Saldo von Zu- und Abwanderung von jährlich 200.000 Menschen würde gerade noch den Sterbeüberschuß ausgleichen.

Zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten, in denen Europa die "Welt" mit seinem Bevölkerungsüberschuß überschwemmte und kolonisierte, würde - und das ist nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Problem - die Bevölkerungszahl schwinden - zunächst langsam, doch dann aber immer schneller. Bis 2040 erwartet das Statistische Bundesamt allein für Deutschland eine Abnahme der Bevölkerungszahl zwischen acht und zehn Millionen. Der Grund liegt einzig und allein im Geburtenverhalten der Bevölkerung. 100 Angehörige der Elterngeneration haben derzeit noch 65 Kinder, 42 Enkel und 27 Urenkel. Der dadurch ausgelöste Bevölkerungsschwund geht einher mit einer Alterung, die in der zurückliegenden Geschichte ohne Parallele ist. In den kommenden 40 Jahren wird sich der Altersaufbau dramatisch verändern. Nur noch eine Minderheit wird zwischen 20 und 59 Jahre alt sein. 40 Prozent werden das 60., zehn Prozent das 80. und zwei Prozent das 90. Lebensjahr überschritten haben. Das zahlenmäßige Verhältnis von jung zu alt kehrt sich um.

Die Europäer sitzen alle in einem Boot. Kein europäisches Land verzeichnet einen Bevölkerungsüberschuß. Europa braucht Zuwanderer und muß sich ihnen öffnen. Aber der Aufwand, den ihre Eingliederung erfordern wird, ist hoch, ohne daß eine Garantie gegeben ist, daß die Integration auch gelingt, zumal alle europäischen Völker keine homogenen Gebilde (Vaterländer) mehr sind. Sie sind in konkurrierende gesellschaftliche Gruppen "zerfallen". Zuwanderer werden voraussichtlich neue "Gruppen" bilden, die bemüht sind, ein weitgehend kulturelles Eigenleben zu führen. Aus dieser Perspektive wäre es einfacher gewesen, eigene Kinder großzuziehen.

Ob es uns gefällt oder nicht, die Entwicklung war seit langem absehbar. Doch nun bricht eine Wirklichkeit mit einer Geschwindigkeit über uns herein, die uns in Handlungszwang versetzt. Ein weiteres Hinhalten und Verdrängen wäre die allerschlechteste Lösung! Erst allmählich und zögernd wird uns bewußt, daß das Fundament, auf dem viele der heutigen Denk- und Handlungsmuster ruhen, nicht mehr trägt. Noch ist kein neues Fundament gefunden, auf dem wir die Zukunft bauen könnten und das auch nur einigermaßen tragfähig wäre.

Neben vielen anderen Dingen ist eines absolut vorrangig: Die den künftigen Generationen aufgebürdeten Lasten, vor allem die Staatsschulden, sind zügig und drastisch zu verringern. Die Staatsverschuldung gehört zu den schlimmsten und zugleich sinnlosesten Entgleisungen der zurückliegenden Jahrzehnte. Sie liegt jedoch in der "Logik" des tradierten Sozialstaats. Das Wirtschaftswachstum konnte stark oder schwach, das Aufkommen an Steuern und Sozialbeiträgen hoch oder niedrig sein, dem Staat langte es nie.

Seine "Sozialpolitik" hatte sich zu einem Faß ohne Boden entwickelt, denn was "Sozialpolitik" genannt wurde, war eine reine Gefälligkeitspolitik gegenüber lautstarken gesellschaftlichen Gruppen. Dem Staat fehlten Wille und Kraft, sich an der jeweiligen Wirklichkeit zu orientieren. Ständig war irgendeine Klientel zu bedienen oder ein latenter Unruheherd zu befrieden. Bei den "Bürgern" waren Wünsche und Bedürfnisse geweckt worden, die schlechterdings nicht zu erfüllen waren, außer durch eine exponentiell wachsende Staatsverschuldung.

Das Verschulden des Staates und aller ihn regierenden Parteien liegt darin, daß auch er sich "blind" stellt und nicht zu bekennen wagt, daß er mit seinen vielen Versprechungen zu hoch gestapelt hatte. Jetzt muß er "seine" Bürger einer Entziehungskur unterwerfen, die äußerst schmerzhaft sein wird. Doch bislang ist kein Politiker in Sicht, der den Mut hätte, dieses Bekenntnis öffentlich abzulegen. Es käme einem Offenbarungseid gleich und wäre eine Kapitulationserklärung, zumal die Politik ehrlicherweise damit beginnen müßte, mit gutem Beispiel voranzugehen und ihre eigenen "sozialen" Pfründe abzubauen.

Der Staat hat eine Grundüberzeugung erzeugt und verbreitet, die darin besteht: "Andere sind für mich verantwortlich!" Dies liegt in der Natur einer Arbeitnehmergesellschaft von Lohn- und Gehaltsempfängern. Noch vor wenigen Generationen verdiente ein Großteil der Bevölkerung seinen Lebensunterhalt als Bauern, Gewerbe- und Handeltreibende wie Freiberufler. Man war gewohnt, für sich selbst zu sorgen und diese Verantwortung nicht an den Sozialstaat abzutreten.

Das prägte nicht nur die eigene Lebens- und Weltsicht, sondern auch diejenige von Staat und Gemeinschaft. Der mit dem "Sozialstaat" geförderte Gruppenegoismus in der Gesellschaft zerstörte das Gemeinschaftsgefüge sehr nachhaltig.

Tatsache ist, daß der Staat "seine" Bürger in eine allzu hohe Abhängigkeit gebracht hat und nun nicht weiß, wie er sie wieder in größere Unabhängigkeit, d. h. Selbständigkeit, führen kann. Dies scheint daran zu liegen, daß der Staat noch kein "Rezept" gefunden hat, wie er bei der extrem hohen Verschuldung und deren gewaltiger Zinslast einerseits die Steuereinnahmen erhöhen, aber andererseits "seinen" Bürgern mehr Geld lassen kann, um eine private Vorsorge aufzubauen. Er müßte rigoros die Subventionen abbauen, wozu ihm aus wahltaktischen Gründen der Mut fehlt. Doch der Staat kann von "seinen" Bürgern auf Dauer nicht mehr Leistungen abfordern, als er selbst zu bringen imstande und gewillt ist.

Sollten, wie derzeit nachhaltig programmiert, für annähernd die Hälfte der Bevölkerung staatliche "Fürsorgeleistungen" die Haupteinkommensquelle bilden, dann werden spätestens in einer Generation alle politischen Ideale von individueller Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie kaum noch aufrechtzuerhalten sein. Bei einer Bevölkerung, die in hohem Maße vom Staat als "Brotherrn" abhängig ist, entwickelt sich dieser fast zwangsläufig zum alles kontrollierenden und reglementierenden "Übervater". Der Weg von einem freiheitlichen "Sozialstaat" zu einem das nackte Überleben sichernden und Freiheiten gewährenden "Versorgungsstaat" ist fließend. Um diese auf uns zukommenden enormen Probleme zu lösen, ohne in die Substanz der bürgerlichen Grund- und Freiheits- rechte einzugreifen, ist eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität auf allen Ebenen notwendig. Doch das setzt voraus, daß man bei allen gesellschaftspolitischen Gegensätzen wieder zu einem Grundkanon an von allen akzeptierten gemeinsamen "Werten" findet. Solch ein tragfähiges Fundament ist zwingend notwendig.