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25.01.03 / Wir müssen an die Wurzeln gehen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. Januar 2003


Wir müssen an die Wurzeln gehen
Die dramatische Bestandsaufnahme der Lage Deutschlands und Vorschläge für eine radikale Wende (Teil III)

Das erste Mal seit über 50 Jahren hat Deutschland in drei aufeinanderfolgenden Jahren ein Wirtschaftswachstum von unter einem Prozent zu verkraften. Für unseren Autor nur das Symptom einer umfassenden Krise. Als CDU-Politiker versucht er, die Grundzüge einer erfolgreichen Unionspolitik zu entwerfen, die den Deutschen eine glaubhafte Alternative zum rot-grünen Stillstand bieten soll.

von Uwe Greve

Von der Bevölkerungs- über die Finanz- bis zur Europapolitik umriß unser Autor in Folge 2 seines Aufsatzes weitere zentrale Reform-Forderungen, um am Schluß des heutigen, letzten Kapitels konkrete Vorschläge auch zu einer Neugestaltung der Unionsparteien in die Diskussion zu werfen.

Verteidigungspolitisch:

- Bei der Mitwirkung an internationalen militärischen Befriedungsaktionen außerhalb Europas sollte sich Deutschland äußerste Zurückhaltung auferlegen. Eine sinnvolle Zukunft der Deutschen Bundeswehr liegt in ihrer Aufteilung in ein Kontingent wehrpflichtbegründeter Territorialstreitkräfte und ein Kontingent von Eingreifstreitkräften für Krisengebiete auf Berufsbasis.

Sicherheitsund rechtspolitisch:

- Mit allen rechtsstaatlichen Mitteln muß verhindert werden, daß auch in Deutschland internationale Kriminalität und mafiöse Strukturen zum Dauerbestandteil des öffentlichen Lebens werden. Eine konsequente Verfolgung bereits von Klein- und Bagatellkriminalität schwächt den Nährboden für die große Kriminalität. Dem noch immer zunehmenden Rauschgifthandel und Drogenkonsum sollte einerseits mit systematischer Anti-Drogen-Erziehung, andererseits mit härteren und wirksameren rechtlichen Mitteln als bisher entgegengetreten werden.

- Opferfürsorge muß wieder den Vorrang vor Täterfürsorge bekommen. Die Verfahrenszeiten in allen Bereichen des Zivil- und Strafrechts sind drastisch zu verkürzen.

- Die Wahl der Bundesverfassungsrichter ist einem parteipolitisch neutralen Gremium zu übertragen.

Gesundheitspolitisch:

- Nur durch systematische Prävention und Stärkung der Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit läßt sich der drohende finanzielle Kollaps unseres Gesundheitssystems noch verhindern. An allen allgemeinbildenden Schulen sollte daher das Fach Gesundheitserziehung eingeführt werden. Ein konsequentes Rauch- und Alkoholverbot für Kinder und Jugendliche an Schulen und in der Öffentlichkeit darf nicht länger aufgeschoben werden.

- Schulmedizin und Naturmedizin sollten in den Studiengängen miteinander ausgesöhnt und zusammengeführt werden. Beide Richtungen - miteinander verbunden, nebeneinander angewandt - bilden die erfolgreiche Medizin der Zukunft.

Medienpolitisch:

- Fernseh- und Rundfunkanstalten - insbesondere die privaten - sind auf ethisch-moralische Grundpositionen zu verpflichten. Bei wiederholter Mißachtung ethischer Grundnormen sollte Lizenzentzug möglich werden.

- Durch geeignete Gesetze sollte einer weiteren Medienkonzentration im Bereich der Verlage und Printmedien vorgebeugt werden, welche die Meinungsvielfalt in Deutschland immer mehr in Frage stellt.

Verwaltungspolitisch:

- Die Verwaltungsschulen sind so zu strukturieren, daß diese eine neue Generation von Staatsdienern erziehen, die Verwaltung an marktwirtschaftlichen Denkkategorien orientiert.

- Staatliche Bauaktivitäten sollten kostenmäßig an vergleichbaren privaten Objekten ausgerichtet werden.

Kulturpolitisch:

- Die Kulturpolitik der Länder und des Bundes hat intensiver als bisher die eigene Kultur zu fördern. Bei aller Offenheit gegen-über auswärtigen Einflüssen und fremden Kulturen - und darin hat Deutschland eine jahrhundertelange Tradition - bedürfen auch die kulturellen Eigenkräfte in Literatur, Malerei, Plastik, Musik, Theater und Film einer systematischen und engagierten Pflege.

- Deutschland bedarf eines Sprachinstituts, ähnlich der Academie Française, zur Pflege und Weiterentwicklung unserer deutschen Sprache.

Umweltpolitisch:

- Der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie ist höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Beide politischen Zielsetzungen sind keine Gegensätze, sondern aufeinander angewiesen und untrennbare Notwendigkeiten.

- Eine breit angelegte, kontinuierliche Forschungsarbeit zur Entwicklung neuer Technologien zur Elektrizitätserzeugung muß in Gang gesetzt werden. Die Nutzung der Sonnenenergie darf - insbesonders wegen der zu erwartenden hohen Exportraten in die Äquatorländer - nicht vernächlässigt werden. Die Ablösung von benzin- bzw. dieselgetriebenen Fahrzeugen durch solche mit neuen Antriebsformen (Wasserstoff/Brennstoffzelle/Methanol/ Erdgas usw.) muß vorangetrieben werden.

- Der Begradigung und Kanalisierung von Flüssen und Bächen sowie der Aufhebung oder Zerstörung von Auen-Gebieten als Hochwasserauslaufzonen muß ein Ende gesetzt werden.

- In der Außenpolitik hat die Erhaltung der tropischen Regenwälder als unersetzliches Sauerstoff-Reservoir für die gesamte Menschheit, ja das Leben schlechthin, eine zentrale Rolle zu spielen.

Was die Frauen angeht:

- Wir brauchen keine Emanzipationsbewegung, die Frauen den Männern angleicht, sondern eine Emanzipationsbewegung, die die typischen weiblichen Eigenschaften (beispielsweise Nähe zum praktischen Leben und zu praktischen Lösungen, Realitätssinn, Einfühlungsvermögen, Teamgeist, Kontaktfähigkeit, Organisationstalent) endlich in ihrem Wert schätzt und in die Politik einbezieht.

- Die Mutterrolle muß wieder als eine der zentralen Leistungen der Frauen uneingeschränkt gesellschaftliche Achtung und Unterstützung finden.

Die Rückkehr von Frauen, die nach der Kindererziehung wieder einer außerhäuslichen Arbeit nachgehen wollen, ist zu erleichtern. Das Prinzip gleicher Lohn bei gleicher Arbeit für Frauen muß vollständig verwirklicht werden.

Mit diesen Reformen, wenn sie noch greifen sollen, muß schnellstens begonnen werden, nicht irgendwann. Noch hat Deutschland die Kraft dazu.

Parteipolitische Elitebildung - eine zentrale Aufgabe:

Ist es vorstellbar, daß die Unionsparteien doch noch einmal nach einer absoluten Mehrheit greifen? Das würde voraussetzen, daß die CDU/CSU sich als eine Partei neuen Typus entwickelt. Dazu gehört in erster Linie die Ausprägung einer neuen parteipolitischen Elite.

Ist der Anspruch auf eine solche Elite in Deutschland zu hoch gegriffen? Pater Basilius Streithofen klagte vor Jahren in seinem Buch "Ist die CDU noch zu retten?", daß Parteikritik in "große Mode" gekommen sei und äußerte die Überzeugung: "Die Bürger überfordern die Politiker, die auch nur Menschen unserer Gesellschaft sind, mit allen Stärken und Schwächen. Was die einzelnen Bürger nicht leisten können oder wollen, das vermögen auch die Politiker nicht zu leisten."

Doch genau diesen Maßstab für Politik muß die CDU/CSU überwinden. Wenn der Anspruch aufgegeben werden würde, vom Politiker mehr zu fordern als von allen anderen Bürgern, dann wäre dies die Kapitulation der Politik vor den anstehenden Problemen.

Humoristen erzielen derzeit die besten Lacherfolge, wenn sie über die Qualität von Abgeordneten spotten. Ein norddeutscher Humorist hat bei seinen Auftritten bereits am Anfang Riesenbeifall, wenn er beginnt: "Ich heiße Günter Willumeit - Deutschlands größter und bekanntester Humorist und Parodist. Ich selbst habe keine Ahnung von Politik; ein Schicksal, das ich mit vielen Bundestagsabgeordneten teile." Schlimmer kann unsere gegenwärtige politische Elite nicht in Verruf gekommen sein.

Welche Charaktereigenschaften sollten einen Politiker auszeichnen? Unbestechlichkeit, Weitsicht, Kooperationsbereitschaft, Initiativkraft, Durchsetzungsvermögen, Mut, Ausdauer, Verantwortungsbewusstsein, Fleiß, Überblick über das Ganze, feste Bindung an ethische Normen und Wertmaßstäbe, herausragende Allgemeinbildung und Fachwissen in den eigenen Spezialgebieten. Nur in den seltensten Fällen kommen diese Eigenschaften freilich in einer Persönlichkeit zusammen, die noch keine Berufserfahrung hat. Deshalb sollte die Christlich-Demokratische-Union in ihre Satzungen aufnehmen: Ein Mandat in Landesparlamenten, im Bundestag oder im Europaparlament sollte nur wahrnehmen, wer mindestens acht Jahre Berufserfahrung hat.

Politik ist eine Aufgabe, die - wie Bismarck es richtig ausdrückte - eine Kunst darstellt. Das gilt ebenso für die Arzt- oder Lehrberufe, in denen die Ausübenden große Verantwortung tragen. Begabung und handwerkliches Rüstzeug sind die Vorraussetzungen, um erfolgreich in diesen Berufen tätig zu sein. Begabungen können gefördert, das handwerkliche Rüstzeug muß gelehrt werden. Dies findet bei in der Politik Tätigen noch nicht ausreichend statt. Zwar haben auch die CDU und CSU ihnen nahestehende Akademien. Aber sie werden zur Ausbildung und Fortbildung der Politiker noch zu wenig genutzt. Das gilt besonders auch für den politischen Nachwuchs. In den Satzungen von CDU und CSU sollten deshalb Bildungspflichten für alle höheren Mandatsträger verankert werden. Sie sollten politisches und geschichtliches Grundwissen sowie Erkenntnisse und Erfahrungen jener Spezialbereiche umfassen, in denen die zukünftigen Abgeordneten ihre Ausschußarbeit leisten. In bezug auf wichtige Zukunftsthemen wäre es für die Allgemeinheit nützlich, auch Abgeordnete häufiger in Kolloquien mit Experten zusammenzuziehen. Hier könnten sie sich zum Beispiel noch mehr als bisher das nötige Rüstzeug für Entscheidungen verschaffen, die im Bereich der Bildung, der Wirtschaft, des Verkehrs, der Energiewirtschaft, der Gentechnik, im Umweltbereich, in der Europa- und Verteidigungspolitik und in der inneren Wie-dervereinigungspolitik in den nächsten Jahren gefällt werden müssen. Auch wenn die Unionsparteien in diesem Punkte anderen Parteien manches voraus haben, ist dies kein Trost.

Wenn andere Parteien diese Notwendigkeiten noch mehr vernachlässigen, so muß es für die Unionsparteien ein besonderer Anreiz sein, die Vorreiterrolle zu übernehmen. Wenn CDU und CSU die Parteien sein wollen, die den Reformstau lösen und Deutschland in eine positive Zukunft führen wollen, dann müssen sie sich jetzt stärker als bisher der Elitefrage stellen.

Wenn hier von Elite im Zusammenhang mit den Unionsparteien die Rede ist, dann darf nicht verschwiegen werden, daß zu diesem Thema auch der Umgang mit den Querdenkern in der Partei gehört. Einer der besten Köpfe zum Beispiel, welche die CDU je hervorbrachte, war Herbert Gruhl. Dieser Mann mit germanistischer, historischer und philosophischer Universitätsbildung war von 1965 bis 1974 Vorsitzender des CDU-Kreisverbands Hannover-Land. 1969 zog er in den Bundestag ein. In der großen Umweltschutzdebatte des Jahres 1970 zeigte er bereits seine hohe Kompetenz in Umweltfragen. Aber die Unionsführung konnte sich mit ihm nicht anfreunden. Statt stolz zu sein, einen solchen Vor- und Querdenker in den eigenen Reihen zu haben, wurde er in eine hoffnungslose Außenseiterposition abgedrängt. Enttäuscht und aus Protest gegen die unzureichende Umweltpolitik der Union verließ er 1978 die Partei. Weder Helmut Kohl noch andere CDU-Spitzenpolitiker hatten zu diesem klugen Kopf eine geistige Verbindung gefunden. Niemand von ihnen begriff, daß dieser in seinem Denken, Fühlen und Handeln wertkonservative Mann in keine andere Partei gehörte als in die Union. Umweltschutz und Lebensschutz gehören zu den grundsätzlichen Bewahrungsaufgaben einer christlichen Partei. Und wenn Gruhl oft mehr forderte, als in der damaligen Situation erreichbar war, so hätte ihm als ständigem Mahner dennoch unbedingt der Raum in unserer Volkspartei erhalten werden müssen.

Herbert Gruhls Bücher "Ein Planet wird geplündert" und "Himmelfahrt ins Nichts", beide getragen von tiefstem Verantwortungsbewusstsein und leidenschaftlichem Willen, die Erde im Zustand der Bewohnbarkeit zu belassen, gehören zu den bedeutendsten, die Unionspolitiker je schrieben.

Selbst wenn manche seiner Zielsetzungen in der praktischen Politik nicht verwirklichbar waren - eine Parteiführung, die das Ausscheiden eines solchen Mannes mit Erleichterung registrierte, fällte damit über sich selbst kein günstiges Urteil.

Ganz zu schweigen von einer anderen Tatsache: Wenn die CDU-Führung sich unter Führung von Herbert Gruhl einen Umweltschutzflügel in der Partei geschaffen hätte, wären die Grünen eine Sammlung von Kommunisten und Chaoten geblieben.

Wertkonservative Umweltschützer und zahllose Umweltschutzpraktiker vor Ort wären nicht den Grünen beigetreten, sondern hätten sich in der CDU sammeln können. Die grüne Bewegung gehört mit ihrem konservativen Ansatz unzweifelhaft in die Union. Dieses Versäumnis hat die Parteienlandschaft zum noch lange wirkenden Nachteil der Christdemokraten verändert.

Für eine neue parteipolitische Elitebildung aber gilt: CDU und CSU müssen es lernen, unbequeme Querdenker zu ertragen.

Weitere Vorschläge zur Erneuerung von CDU und CSU:

Wenn die Unionsparteien einen neuen, modernen Typus von Partei verkörpern wollen, dann müssen sie auch der Verbeamtung der Parlamente entgegenwirken und dafür Sorge tragen, daß mehr Selbstständige, Handwerker, Wissenschaftler, aber auch Hausfrauen und Arbeiter in die Parlamente gelangen. Es gibt viele Wege,

die Zusammensetzung der Parlamente zu verändern. Einer wäre, die finanziellen und beruflichen Vorteile für die Kandidaturen von Beamten abzuschaffen. Für die Landesparlamente, in den kleinen Bundesländern, würde sich eine Umwandlung zu "Feierabendparlamenten" anbieten: Sitzungsbeginn 16.00 Uhr; jeder Abgeordnete gehört nur einem Ausschuß an. Bei verdoppelter Abgeordnetenzahl könnten die Parlamente alle notwendigen Arbeiten leisten.

Für solch eine Form politischer Mitarbeit würden sich auch Wirtschaftsführer, Handwerker und viele andere unterrepräsentierte Berufsgruppen erwärmen können.

Ein Vorschlag von Erwin K. Scheuch könnte ebenfalls die Verbeamtung der Parlamente in Grenzen halten: "Um auch Experten ohne Einbindung in die Basis eine vorübergehende Mitwirkung als Berufspolitiker zu ermöglichen, sind die Listen zu einem Fünftel mit Kandidaten zu besetzen, die nicht lokal kandidieren. Sie werden von den Vereinigungen vorgeschlagen."

Wenn CDU und CSU mit solchen Ideen nicht nur an die Öffentlichkeit träten, sondern sie - soweit das mit ihren Kräften möglich ist - auch durchsetzten, wären sie auf einem Status, dem die Konkurrenz, selbst wenn sie wollte, nicht so schnell folgen könnte.