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01.02.03 / Die "Wilhelm Gustloff" und die "Steuben" wurden vor 58 Jahren von Alexander Marinesko versenkt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Februar 2003


Sie wurden seine Opfer
Die "Wilhelm Gustloff" und die "Steuben" wurden vor 58 Jahren von Alexander Marinesko versenkt

In diesen Tagen geht die Erinnerung vieler an das große Rettungswerk der Kriegsmarine in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges zurück. Unzählige Seeleute, Soldaten und Zivilisten sind damals in der eiskalten Ostsee zugrunde gegangen. Als besonders dramatisch stechen die Versenkungen der "Wilhelm Gustloff" und der "Steuben" aus dem Geschehen hervor. Die Seekriegsgeschichte kennt auf Seiten aller Beteiligten Beispiele rücksichtslosen Vorgehens gegen Wehrlose. Die Versenkung der beiden deutschen Flüchtlingsschiffe aber ist in ihrer Brutalität und ihrem Ausmaß herausragend. Warum der sowjetische U-Boot-Kommandant die wehrlosen Männer, Frauen und Kinder so skrupellos in den Tod schickte, wird deutlich, wenn man sich mit der Person Alexander Marineskos auseinandersetzt. Als unbeherrschter Säufer und Raufbold bekannt, wollte der Marineoffizier einfacher Herkunft sich endlich Anerkennung in der Flotte verschaffen und um jeden Preis Versenkungserfolge erzielen.

Alexander Marinesko wurde 1913 in der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer geboren. Er stammte aus einfachsten Verhältnissen. Seine Mutter war Ukrainerin, sein Vater ein rumänischer Seemann, der wegen Meuterei zum Tode verurteilt worden war und der in letzter Minute nur durch Flucht dem Henker entkommen konnte. Sein Sohn wuchs im Hafenviertel von Odessa auf, wo in einem Vielvölkergemisch das Recht des Stärkeren regierte. Heute würde man dies wohl als multikulturelles Milieu mit sozialen Spannungen bezeichnen. Marinesko entwickelte sich zu einem Raufbold, um in dieser Umgebung bestehen zu können. Als Angehöriger einer Jugendbande hielt er sich mit Diebstählen über Wasser. Er sprach eine Mischung aus Ukrainisch und Rumänisch, das von Elementen der vielen anderen Sprachen, die im Hafenviertel gesprochen wurden, durchsetzt war. Ein vernünftiges Russisch lernte er nie.

Als Heranwachsender ging er zur Handelsflotte. Dann wurde er Mitglied der Jugendorganisation Komsomol und trat in die Schwarzmeerflotte der Marine ein. Wo immer er arbeitete und diente, wurde er wegen seiner mangelnden Bildung und seines Kauderwelschs verlacht. Doch sein ausgeprägter Ehrgeiz befähigte ihn zu den Leistungen, die für sein Weiterkommen wichtig waren. Als Maat besuchte er einen Navigationslehrgang, von dem aus er zur U-Boot-Ausbildung kommandiert wurde. Er bestand die Offiziersprüfung und wurde Navigationsoffizier auf einem U-Boot, dann Kommandant auf einem der kleinen und veralteten U-Boote der Baltischen Flotte. Er drillte seine Mannschaft zu Höchstleistungen und wurde schließlich im Range eines Kapitäns 3. Klasse mit dem Kommando über das moderne U-Boot S-13 belohnt. Immer aber blieb er der Raufbold und Säufer, der er schon in Odessa gewesen war. In der deutschen Marine hätte dieser Mann keine Karrierechancen gehabt. Er wäre wegen seiner charakterlichen Mängel schon früh aus dem Dienst entfernt worden.

An Bord aber ließ er die Finger vom Alkohol und zeigte beste Leistungen. Nur deshalb sahen seine Vorgesetzten immer wieder über seine Landgangsexzesse hinweg, die ihn regelmäßig aus der Bahn warfen. So wäre es fast gar nicht zu der Feindfahrt gegen die beiden deutschen Schiffe gekommen, denn am Morgen des Auslauftages im Dezember 1944 fehlte der Kommandant. Während eines ausgedehnten Landganges war er in Freudenhäusern, Absteigen und Kaschemmen, die ein deutscher Marineoffizier nie betreten hätte, versackt. Erst am 3. Januar 1945 meldete er sich leidlich nüchtern und mit erheblicher Verspätung zurück. Wo er die vergangenen Tage verbracht hatte, daran konnte er sich nicht mehr erinnern.

So ein Verhalten war selbst für die Sowjetmarine zuviel. Marinesko wurde unter Spionageverdacht gestellt und vom NKWD verhört. Einzig die Tatsache, daß die Flotte zu wenig erfahrene U-Boot-Kommandanten hatte, rettete ihn vor dem Kriegsgericht. Aber das Maß war voll, Marinesko durfte sich keine weiteren Verfehlungen mehr erlauben. Wenn er nicht auf dem Abstellgleis landen oder gar das Kriegsgericht riskieren wollte, mußte er einen herausragenden Erfolg vorweisen.

Und diesen vermeintlichen Erfolg bescherte ihm die "Wilhelm Gustloff". Der als Großmaul bekannte Marinesko hatte schon lange verkündet, die "faschistischen Hunde" zu erschlagen, wo er sie findet. Doch er fand sie bei seinen bisherigen Feindfahrten nicht. Und auch bei dieser Feindfahrt war das Kriegsglück zunächst nicht auf seiner Seite. Dann aber kam ihm am 30. Januar das große Flüchtlingsschiff in Sicht. Marinesko erkannte seine Chance, die tiefen Scharten auszuwetzen, die seine Raufereien und Sauftouren hinterlassen hatten. Deshalb wagte er es, die "Wilhelm Gustloff" in einem gefährlichen Manöver in den flachen Küstengewässern zu umlaufen und im riskanten Überwasseranlauf anzugreifen. Die Turmbesatzung meldete ihm, daß das Ziel Positionslichter gesetzt hätte und keinen Zickzackkurs liefe - beides Anzeichen dafür, daß es sich nicht um ein bewaffnetes Kriegsschiff handelte. Dennoch ging Marinesko in Angriffsposition und gab den verhängnisvollen Feuerbefehl, der Tausenden Menschen den Tod brachte. Zehn Tage später versenkte er an gleicher Stelle unter ähnlichen Umständen das Flüchtlingsschiff "Steuben" - wieder versanken Tausende hilflos in den Fluten. Marinesko hatte das Schiff angeblich für einen Kreuzer gehalten, weil er im Horchgerät zwei Schrauben gehört und zwei Schornsteine erkannt zu haben glaubte.

Kapitän Alexander Marinesko war mit dem Erfolg seiner Feindfahrt zufrieden. Jetzt war er der "Tonnagekönig" der Rotbannerflotte. Er fühlte sich als Held. Endlich würde er die schon lange ersehnte Anerkennung finden. Stolz meldete er die beiden Versenkungen und seine Beobachtungen an das Marinehauptquartier in Kronstadt. Doch beim Einlaufen in Turku kam dann die große Enttäuschung. Kein großer Bahnhof für den "Helden", keine Erwähnung im täglichen Rotbannerflottenbericht, ganz zu schweigen von der ersehnten Ernennung zum "Helden der Sowjetunion", die für den primitiven Emporkömmling einem Ritterschlag gleichgekommen wäre. Lediglich das traditionelle Einlaufessen für die erfolgreiche Besatzung.

Marinesko wartete zunächst geduldig auf die große Ehrung für sich und sein Boot. Hatte er doch um die 12.000 "Hitleristen" - eine ganze Division - unschädlich gemacht. Das mußte doch mit höchsten Orden und der Aufnahme von S-13 in die Reihe der Garde-U-Boote belohnt werden. Seine Vorgesetzten allerdings sahen die Sache ganz anders. Sie hatten schon Marineskos Funkmeldungen von der Versenkung so großer Kriegsschiffe mit Skepsis aufgenommen. Jetzt, nachdem sie alle Einzelheiten der Versenkungen kannten, wußten sie, wer Marineskos Opfer waren und daß er tausende wehrlose Menschen auf zwei unbewaffneten Schiffen getötet hatte. Das war selbst für die sowjetischen Streitkräfte, die den Krieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung an Land mit äußerster Brutalität führten, nichts, womit man Propaganda machen konnte, kein Grund für eine herausragende Auszeichnung.

Doch so ganz kam die Marine an einer Ehrung des unbequemen Kommandanten nicht vorbei, denn andere Offiziere stellten sich hinter ihn. Von den Hetztiraden Ilja Ehrenburgs infiziert, war ihnen jeder tote Deutsche recht - vom Säugling bis zum Greis. Marinesko wurde mit dem "Orden der Roten Fahne" bedacht, einer Auszeichnung, die vor ihm schon Hunderttausende erhalten hatten. Und sein Boot erhielt die kollektive Auszeichnung "Rotbanner-Boot". Aber nach außen hin wurde strenges Stillschweigen über Marineskos Versenkungen gewahrt. Keine Erwähnung im Flottenbericht, keine Meldung im Radio, kein Artikel in der Zeitung.

Der "verkannte Kriegsheld" war bitter enttäuscht. Doch noch immer stand der Spionagevorwurf im Raum, weshalb sich Marinesko mit offizieller Kritik zurückhielt. Lediglich im regelmäßig wiederkehrenden Vollrausch und im vertrauten Kameradenkreis forderte er die nach seiner Ansicht längst fällige Anerkennung für sich und sein Boot. Er wurde aufsässig, vernachlässigte seine Kommandantenpflichten. Erst wurde ihm das Kommando über sein Boot entzogen, dann seine Degradierung zum Oberleutnant zur See ausgesprochen. Nichts konnte ihn zur Räson bringen. Im Oktober 1945 wurde er schließlich unehrenhaft aus der Marine entlassen.

Marinesko bewarb sich bei der Handelsmarine, die ihn wegen angeblicher körperlicher Mängel ablehnte. Tatsächlich wollte sie den randalierenden Trunkenbold nicht in ihren Reihen haben. So landete er als Lagerverwalter in einem Baukollektiv. Auch hier machte er sich schnell unbeliebt. Er beschuldigte seine Vorgesetzten grundlos der Korruption und des Diebstahls. Bei den Ermittlungen kam heraus, daß er selbst es war, der Baumaterial verschoben hatte. Das Urteil: drei Jahre Arbeitslager im Archipel Gulag. Erst 1955 kehrte er krank zurück. Fortan lebte er von der Fürsorge. Einige Jahre später wurde er überraschend rehabilitiert und erhielt seinen ursprünglichen Dienstgrad mit vollem Pensionsanspruch zurück. Kapitän 3. Klasse Alexander Marinesko starb 1963, noch immer verbittert, im Alter von nur 50 Jahren.

Lange erinnerte nichts und niemand an den beschädigten "U-Boot-Helden". Dann kam der Zusammenbruch der Sowjetunion. Und fast so, als könnten sie mit einer trotzigen Geste den Zerfall ihres Reiches und ihrer "ruhmreichen" Roten Marine noch aufhalten, setzten pensionierte Marineoffiziere ihrem verstorbenen Kameraden ein Denkmal. Seit dem 8. Mai 1990, dem 45. Jahrestag der "siegreichen Beendigung des Großen Vaterländischen Krieges und der Befreiung Europas vom Faschismus", steht in Leningrad, das heute wieder St. Petersburg heißt, eine Granitsäule mit einer überlebensgroßen Bronzebüste Marineskos. Und in Königsberg trägt heute ein Teil des Pregelufers den Namen des Mannes, der über 10.000 wehrlose Menschen in den Tod schickte, nur um ein "Held der Sowjetunion" zu werden. Jan Heitmann

"Wilhelm Gustloff": Fast 10.000 Menschen, unter ihnen viele Flüchtlinge und andere Zivilisten, riß der Kommandant des sowjetischen U-Bootes S-13 mit der Versenkung des Passagierschiffes in den Tod Foto: Archiv

"Steuben": 3.200 Menschen, die meisten von ihnen verwundete Soldaten, gingen mit ihr unter Foto: Heitmann