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15.02.03 / "Demokratie muss von selbst wachsen" / Otto v. Habsburg über den Wahn der Amerikaner, die Welt nach ihrem Muster zu formen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Februar 2003


"Demokratie muss von selbst wachsen"
Otto v. Habsburg über den Wahn der Amerikaner, die Welt nach ihrem Muster zu formen

Als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg in Nordafrika landeten und insbesondere Marokko besetzten, hat der bekannte Berberführer Glaoui der amerikanischen Presse ein Interview über die zukünftige Entwicklung seines Landes gegeben. Er hat dabei die Bemerkung gemacht, daß die amerikanische Politik, die sich damals in Marokko abzeichnete, kaum Erfolg haben würde. Man ginge nämlich davon aus, daß jeder Mensch auf der Welt ein potentieller Amerikaner sei, dem man nur die Glorie des Lebens in den USA zeigen müsse, damit er dann voll und ganz das werde, nach dem er sich in seinem Unterbewußtsein immer gesehnt hätte. Das aber, sagte der alte Berber, sei eine falsche Auffassung. Es gebe in der Welt eine erdrückende Mehrheit, deren Ideal es keineswegs sei, Amerikaner zu werden. Wolle man in der Politik von der derzeitigen Hoffnung Washingtons ausgehen, werde man bittere Enttäuschungen erleben. Demokratie, so bemerkte er, könne nicht mit Hilfe von Flugzeugen und Maschinengewehren durchgesetzt werden. Sie müsse von selbst wachsen. Dann könne man auf Dauerhaftigkeit rechnen.

Diese Äußerung wurde damals in Washington mit ziemlicher Unzufriedenheit aufgenommen und als die Überlegung eines primitiven Menschen, der die Welt nicht kenne, abgetan. Es gab damals noch nicht den Begriff des "Terroristen" als außenpolitische Kategorie der USA, sonst wäre zweifellos auch Glaoui in diese Kategorie eingeordnet worden.

An dieses Gespräch mit dem alten Weisen aus dem Atlas muß man unwillkürlich denken, wenn man heute die poli- tischen Vorbereitungen in Wa-shington bezüglich der Zukunft der arabischen Länder zu lesen bekommt. Es wird heute bereits in Washington dar-über nachgedacht, was man machen müsse, wenn einmal Saddam Hussein gestürzt sei. Dann, so wird gesagt, müsse man endlich darauf hinausgehen, die gesamte islamische Welt zu demokratisieren, das heißt, ihre politische Einstellung mit Hilfe von Sachverständigen aus den USA zu ändern und damit aus den Arabern gewissermaßen eine Art Amerikaner zu machen.

Dies ist abermals ein Zeichen dafür, daß Menschen, die allzu erfolgreich sind, nicht immer aus der Geschichte etwas lernen. Es ist eine alte Erfahrung, daß man dauerhafte Lehren erst nach Rückschlägen findet. Je mehr man sich an eigene Auffassungen klammert, desto größer wird der Rückschlag sein. Das dürfte auch der Fall in den Beziehungen zwischen Washington und der islamischen Welt sein. Der britische Schriftsteller Rudyard Kipling hat einmal geschrieben: Ost ist Ost, und West ist West. Wer die Gelegenheit hat, im Orient herumzukommen, weiß, wie wahr dieser Satz ist. Man muß eben die Menschen als das nehmen, was sie sind, und man kann sie nicht durch äußeren Druck verändern, sondern nur durch geduldige Überzeugung.

Das ist keine harte Kritik an der Einstellung Washingtons. Die Amerikaner sind nun einmal überzeugt, daß sie das beste Land auf Erden haben, wie es nicht zuletzt die Studien über das "Ende der Geschichte" beweisen. Sie sind an sich Menschen besten Willens, aber auch überzeugt, daß sie die Lösungen haben und daß ihr Weg der einzig richtige sei. Das ist übrigens die Grundlage jenes missionarischen Dranges, der die meisten Amerikaner bewegt, aber fast immer erfolglos geblieben ist. Die Menschen haben ihren eigenen Weg. Sie haben ihre Kultur und ihre Tradition und sind nicht bereit, diese aufzugeben. Natürlich gibt es Europäer, die nach Amerika auswandern und die, begeistert von ihrem persönlichen Erfolg in der Neuen Welt, sich dieser dann voll anschließen. Es gibt aber noch viel mehr Menschen, nicht nur in Europa, sondern genauso in Asien und in Afrika, die vielleicht in gewissen Fragen gerne die Verbündeten der Vereinigten Staaten sind, die aber - und das gilt insbesondere für die Milliarde Anhänger des Islam - keineswegs bereit sind, ihre Überzeugung und ihre Struktur aufzugeben. Es ist dabei festzustellen, daß leider, mit einigen Ausnahmen, derzeit in den Vereinigten Staaten wenig Verständnis für diese Einstellung besteht. Zu viele glauben, daß, wenn jemand gut und anständig ist, er ihnen gleichen muß. Sie verstehen einfach nicht, daß die Menschen verschieden sind und auch verschieden bleiben wollen, daß der Gedanke des Einheitstopfes, der in den Vereinigten Staaten gewisse Erfolge gehabt hat - wobei man sich noch immer fragen muß, wie lange diese dauern werden -, nicht auf die anderen paßt. Die Amerikaner schockiert es nicht, daß viele ihrer Staaten viereckig sind, daß die Grenzen nach dem Lineal gezogen wurden. Das wäre für Europa oder für die Menschen des Islam undenkbar und unannehmbar. Man glaubt an eine alte Tradition, die den Amerikanern fehlt. Das ist nicht deren Schuld; aber wenn man versucht, traditionsbewußte Völker, die noch auf ihrem alten Boden leben, in eine Zwangsjacke zu pressen, und von ihnen verlangt, daß sie sich von Grund auf ändern, wird das höchstens negative Resultate haben.

Die Amerikaner nennen diese Versuche, die Völker umzuerziehen, Demokratisierung. Das hat mit der wirklichen Demokratie kaum etwas zu tun. Demokratie ist ein politisches Instrument, das heute, wie Churchill sagte, das am wenigsten schlechte System auf der Welt ist. Sie ist ein Mittel, um den Rechtsstaat und die persönliche Freiheit zu sichern. Das aber müssen die Völker selbst verstehen und selbst erarbeiten. Man kann es ihnen nicht aufzwingen, ganz besonders aber nicht als Ergebnis eines Krieges.

Das gilt vielleicht noch mehr für die islamischen Völker als für die Europäer. Denn schließlich sind die meisten Amerikaner Nachkommen von Europäern, die ihr Land verlassen haben. Das aber ist bei den islamischen Völkern viel weniger der Fall. Es ist daher ein äußerst riskantes, um nicht zu sagen ein gefährliches Experiment zu versuchen, die Welt des Korans nach amerikanischem Muster umzuformen.

Dabei vergißt man im Westen allzusehr, daß es viele demokratische Elemente im Islam gibt. Es gibt auch, wie es das Beispiel von Ländern wie etwa Marokko oder bis zu einem gewissen Grad der Türkei uns zeigt, islamische Völker, die große Entwicklungsfähigkeit auf ihrem alten Grund haben und die daher den Menschen im Rahmen einer religiösen Ordnung auch jene Freiheit und Rechtssicherheit geben, die nach europäischer Auffassung das Wesen jeglichen politischen Systems ist.

Daß manche Bestimmungen des Islam für Europäer mit ihrer alten christlichen Tradition schockierend sind, ist klar. Das betrifft vor allem die Scharia, das heißt jene Rechts-praxis, die in der Zeit des Propheten eingeführt wurde. Man vergißt darüber, daß es, als der Koran geschrieben wurde, bei uns in Europa genau solche harten Strafen gegeben hat wie heute in der Scharia. Diese sind bei uns dann schrittweise abgeschafft worden. Auch die Scharia würde mit der von seiten führender islamischer Persönlichkeiten gesuchten Entwick-lung langsam an jenes Niveau angepaßt, das das unsere ist. Es gibt eine große Bewegung im Raum des Islam in diese Richtung. Diese aber wird bestimmt zerschlagen werden, wenn man versucht, mit Hilfe von Bomben und Maschinengewehren eine Änderung herbeizuführen - oder aber auch mit jener Erziehung durch Fremde, die die Völker, die noch etwas auf ihre Tradition halten, ablehnen.

Gefährlich bei uns ist auch der Versuch, Demokratie ausschließlich mit gewissen parteipolitischen Orientierungen gleichzustellen. Das hat man leider auch in Europa in den Beziehungen zu den Ländern des zerfallenden Jugoslawien nur zu oft bemerken können. Die diesen Völkern von westlicher Seite aufoktroyierten Modernisierungskommissare haben geradezu jene Ablehnung der angeblich modernen Entwicklung erzeugt, die man heute den Völkern dort zum Vorwurf macht. Was wird zum Beispiel allein über Bosnien und Herzegowina geschimpft und gezetert, weil die Bosniaken angeblich nicht den richtigen Weg zur Demokratie finden. Dabei vergißt man, daß jene Satrapen, die nur zu oft aus dem Westen geschickt wurden, viel dazu beigetragen haben, indem sie durch ihre nicht selten rechtswidrigen Vorgangsweisen den Widerstand der Bevölkerung hervorriefen. In Bosnien haben wir sogar einen hohen internationalen Funktionär erlebt, der vor Demokratie nur so getrieft hat, der aber gleichzeitig, als die Wahlen nicht das ergeben haben, was er wollte, den siegreichen Abgeordneten ihr Mandat aberkannte und ihnen die politische Tätigkeit für die Zukunft verbot. Auf solche Weise züchtet man ganz etwas anderes als jenen wirklichen demokratischen Fortschritt, den man auf die Dauer unseren Partnern wünschen muß.

 

Otto von Habsburg wurde am 20. November 1912 als Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I. geboren. 1938 floh er zunächst nach Frankreich ins Exil, dann in die USA. 1944 kehrte er allerdings nach Europa (Spanien, Frankreich, seit 1954 Pöcking/Oberbayern) zurück. Treu dem Erbe seiner Vorfahren folgend, versteht er Politik als Dienst an den Menschen und Völkern. So ist er seit 1972 Präsident der Paneuropaunion, seit 1979 Europaabgeordneter, 1989 Schirmherr des legendären "Paneuropa-Picknicks" in Sopron, das wesentlich zum Fall des "Eisernen Vorhangs" und zum Zusammenbruch des Kommunismus beigetragen hat.