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15.02.03 / Der Bamberger Reiter als deutsche Chiffre

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Februar 2003


Geschichte am Postschalter: Aufzug der Nation
Der Bamberger Reiter als deutsche Chiffre
von Martin Schmidt

Seit dem 13. Februar kann man an deutschen Postschaltern eine Briefmarke erwerben, deren Motiv Beachtung verdient: die Zwei-Euro-Marke der Dauerserie "Sehenswürdigkeiten" mit dem Bamberger Reiter.

Die zum Jahresbeginn eingeführte Portostufe von 2,- Euro bestimmt diese Marke zwar zur Verwendung für sogenannte Kompaktbriefe ins Ausland, aber der auf ihr abgebildete stolze mittelalterliche Reiter ist vor allem von nationaler Bedeutung - und das, obwohl der unbekannte Bildhauer, der die für die Entstehungszeit um 1230 ungewöhnlich naturalistische Statue gestaltet hat, wohl der Bauhütte von Reims entstammt und die Steinfigur aller Wahrscheinlichkeit nach den heiliggesprochenen ungarischen König Stephan I. darstellt und nicht den "ersten deutschen König" Heinrich I., wie in älteren Geschichtsbüchern häufiger behauptet. Doch nicht von ungefähr hat der jungkonservative Philosoph und Soziologe Hans Freyer (1887-1967) den Bamberger Reiter eingereiht in seine Vorstellung von der deutschen Nation als unsichtbarem Heereszug der früheren und gegenwärtigen Generationen unseres Volkes, überragt von den toten Helden und Königen. Ja, er stellte den Reiter mit den edlen Gesichtszügen und der eleganten Haltung sogar mit an die Spitze dieses mythischen Zuges.

Es gibt in deutschen Landen noch andere alte Denkmäler oder bedeutende Bauten von überragender Ausstrahlung. Man denke an den Bremer Roland, die ostpreußische Marienburg oder die thüringische Wartburg, den Braunschweiger Löwen, den Kyffhäuser oder die Burg Neuschwanstein des bayerischen "Märchenkönigs" Ludwig II.

Sie alle stehen allerdings nur für einzelne Traditionsstränge: für die Hanse, die Reformation, das hochmittelalterliche Deutschland Heinrichs des Löwen bzw. seines Gegenspielers Friedrich Barbarossa sowie das schillernde deutsche Verständnis von Romantik.

Alle diese nationalen Symbole haben im Laufe der Zeit ihre Wirkung entfalten können, doch spiegelte ihre Aura nie die ganze Geschichte des Deutschen Reiches wider, wie dies in den Augen der Menschen zeitweise der Kölner Dom, der Bamberger Reiter oder auch die mit diesem vergleichbare Stifterfigur der Uta im Naumburger Dom vermochten.

Karlheinz Weißmann nennt den Bamberger Reiter eine Ikone der Deutschen, weil er die staufische Zeit repräsentiere, "Deutschlands heroische Zeit" (Ernst Kantorowicz), verbunden mit der Erinnerung an ein überaus mächtiges Reich und den Glanz des Kaisertums. Ein Glanz, der nicht zuletzt - und das sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben - weit nach Osten ausstrahlte.

So wurden damals nicht nur der ostdeutsche Raum, Polen und das Baltikum, sondern eben auch weite Gebiete im Südosten einschließlich Ungarns eng mit den politischen und kulturellen Geschicken des christlich-abendländischen Deutschen Reiches verbunden. Vor diesem Hintergrund wird der mythologische Gehalt für unser Volk kaum geschmälert, sollte die Reiterfigur im Bamberger Dom tatsächlich keinen deutschen Mann, sondern den genannten ungarischen König darstellen.

Jener Stephan der Heilige leitete nach der Niederlage auf dem Lechfeld 955 den Anschluß an das Reich und die römische Kirche ein, ohne sein gerade entstehendes Volk ganz von eigenen Wegen abzubringen.

Städte wie Nürnberg, Augsburg oder eben das fränkische Bamberg, einst Königspfalz und Bischofssitz, spielten für die Fühlungnahme mit dem Südosten Mitteleuropas eine herausragende Rolle. Gerade in Bamberg, das vom Bombeninferno verschont blieb, ist der Glanz des alten Reiches noch spürbar.

Und was den Reiter im Dom angeht, so ist die Hauptsache, daß die herrliche Gestalt überhaupt wieder in breiten Bevölkerungskreisen eine gefühls- wie verstandesmäßige Vorstellung von der eigenen Geschichte wachruft. Ein Anstoß dazu darf ruhig von einer so profanen Sache wie einer Briefmarke ausgehen.

Die Deutschen brauchen heute ein Nationalbewußtsein, um ihr Land aus der umfassenden Krise herauszubringen. Doch mit dieser Erkenntnis allein ist wenig geholfen. Denn das Nationalbewußtsein "ist immer das Bewußtsein der vielen, die es erfassen und die es erfaßt, nicht die abgeklärte Vorstellung einer kleinen intellektuellen Elite, ein ‚spezifisches Pathos', wie Max Weber gesagt hat, Pathos hier verstanden als eine Kraft, die Leidenschaft zu wecken vermag".

Diese Gedanken stammen von dem wohl wichtigsten lebenden deutschen nationalkonservativen Vordenker Karlheinz Weißmann, der 1998 in einem Vortrag die Nation als Bund definierte, der "eine Nation sein will und diesen Willen dauernd aufrechterhalten kann".

Weißmann mißt der gefühlsmäßigen Bindung durch eine fortwirkende große Erzählung der eigenen Geschichte zu Recht zentrale Bedeutung zu. Um so schlimmer erscheint der Umstand, daß der Faden der uns einenden und stark machenden Erzählung von der deutschen Nation abgerissen ist.

Hier gilt es wieder anzuknüpfen, um uns "ein alt-neues Bild von dem zu geben, was uns ausmacht: jener unsichtbare Zug vieler Generationen; irgendwo die Männer, die ihre Stämme gegen feindliche Einfälle verteidigten, und ihre Ungeschlachtheit im Kontrast zu den neben ihnen reitenden eleganten Höflingen der staufischen Zeit, irgendwo im Zug der einäugige Oswald von Wolkenstein (...), Mönche und Handwerker und geflohene Leibeigene, die nach Osten gingen, um das Land urbar zu machen, hansische Kaufleute und weiter die Bauern unter dem Bundschuh und Luther mit dem September-Testament in der Hand, die Hugenotten in der Mark, Maria Theresia und Friedrich der Große, und Leibniz und Mozart und Goethe, und Stürmer und Dränger und Werthergestalten und Theodor Körner singend zu Pferde und die Barrikadenkämpfer von '48, Siemens und Krupp und Lassalle und Marx und Engels und selbstverständlich Bismarck, und Trakl und Klee und Nolde und die Bürgerkrieger und Krieger dieses blutigen Jahrhunderts, und welche in Häftlingskleidung mit dem gelben Stern und junge Frauen, die die Trecks aus dem Osten führten, und Soldaten, die die Trecks noch schützten, und Tresckow und Stauffenberg und irgendwo weit vorn im Zug die Arbeiter des 17. Juni, daneben die Montagsdemonstranten aus Leipzig (...) und irgendwo auch - der Bamberger Reiter".