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22.02.03 / Kanadier entwirft fragwürdige Thesen über das Judentum in Deutschland nach 1945

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Februar 2003


Unausgegorenes Ideengerüst
Kanadier entwirft fragwürdige Thesen über das Judentum in Deutschland nach 1945

Der kanadische Soziologe Y. Michal Bodemann betrachtet das Gedenken an den Holocaust seit 1945. Prinzipiell Neues erfährt der Leser dabei nicht; erstrangig verfolgt der Autor politische Intentionen.

Von 1945 bis etwa 1960 sei die Vergangenheit nahezu ignoriert worden. Erst diese "Stille" habe die Nachkriegsdeutschen in "Bundesbürger" verwandelt. Während der 50er Jahre hätten die meisten Deutschen das Thema Auschwitz verdunkelt oder mystifiziert. Jedoch legt Bodemann hierzu keine historisch-empirischen Untersuchungen vor, so daß die wichtige Frage offenbleibt, ob es damals ein unveröffentlichtes Nachdenken über die Judenverfolgung gab. Erste wissenschaft- liche und literarische Publikationen zur NS-Zeit erschienen bald nach Kriegsende, so Eugen Kogons "SS-Staat" oder Carl Schmitts "Glossarium", in dem Schmitt allerdings fälschlicherweise die Opfer des Holocaust mit denen anderer Verbrechen gleichsetze. Diese "Universalisierung der Opfer" verurteilt Bodemann, leider ohne zu erläutern, welche Kategorien er dabei verwendet. Untaten des Nationalsozialismus mit Kolonialverbrechen westeuropäischer Länder zu parallelisieren geißelt Bodemann ebenso schroff.

Die Jahre von 1960 bis 1975, die um den Dreh- und Angelpunkt der 68er-Bewegung kreisten, eröffneten den "Weg zur Erinnerungsexplosion". Der Generationswechsel, verschiedene NS-Prozesse, Brandts Kniefall in Polen, Solidarität mit Israel markierten wichtige Stationen des Wandels.

Seit kurzem, klagt der Verfasser, beurteilten Deutsche die israelische Nahostpolitik negativ. Bodemann nennt explizit die "antijüdischen Ausfälle" des Jürgen Möllemann. "Das eigentlich Skandalöse ist hierbei, daß Möllemann nicht aus Amt und Würden seiner Partei geflogen ist. Auch hier zeigt sich wieder die tatsächliche politische Schwäche des deutschen Judentums. Die nachgeborenen Deutschen lassen sich von den nachgeborenen Juden zunehmend weniger beeindrucken."

Seit Mitte der 70er Jahre steigerte sich die Erinnerung bis zur "faktischen Epidemie des Gedenkens in den letzten zehn Jahren". Warum dieser "epidemische Höhepunkt", der lange mit dem 9. November 1938 verknüpft war, entstand, darüber läßt Bodemann den Leser im ungewissen.

Die Walser-Bubis-Debatte stelle eine Zäsur dar. Martin Walser kritisierte 1998 "Meinungssoldaten, die grausamen Erinnerungsdienst" betrieben, denn sie instrumentalisierten die "deutsche Schande" für aktuelle Zwecke. Walser habe damit einen "massiven Tabubruch" begangen.

Widersprechen nicht "Tabus", also Denk- und Frageverbote, demokratischen Prinzipien? Walser erniedrige, schreibt Bodemann, das "jüdische Ethnos", verlange er doch, daß Juden, die in Deutschland leben, ihre Kultur preisgeben sollten und "hundertprozentige Deutsche" zu sein hätten. Jene, die Walser zustimmen, erstrebten nur "die Tilgung von Schuld" und versteckten antisemitische Motive. Warum belegt der Autor diese Behauptungen nicht?

Im Schlußteil des Buches erläutert Bodemann das gegenwärtige jüdische Leben in Deutschland. Abermals dominiert die verengte Perspektive. Heute würden viele Deutsche allein deshalb die positive jüdische Rolle in der deutschen Geschichte anerkennen, weil es hierzulande nur wenige Juden gebe. Scharf tadelt Bodemann die auch von Juden vertretene These, daß Juden heute in Deutschland verwurzelt seien. Derartige Vorstellungen dienten wiederum nur der "Exkulpation" deutscher Schuld.

Wie aber ist deutsch-jüdisches Leben zu gestalten, sofern es eine Symbiose nicht geben darf? Vor allem müßten hiesige Juden ihr "ethno-kulturelles Anderssein" betonen, welches die Deutschen zu akzeptieren hätten.

Gibt es tatsächlich ein jüdisches "Ethnos", oder fällt Bodemann am Ende bizarren gegenrassistischen Ideen zum Opfer? Auch sind Christen- und Judentum geistesgeschichtlich so eng verwandt, daß es unaufgeklärt erscheint, sie künstlich abzugrenzen, zumal längst alle religiösen Dogmen als fragwürdig gelten. Offenkundig vertritt Bodemann mittelalterlich-inhumanes Denken und widerspricht sich gleichzeitig, weil er den Nationalstaat für obsolet erklärt.

Allerdings genügt es Bodemann bei weitem nicht, die Pflege eines jüdischen Sonderbewußtseins zu fordern. Erst die völlige Umgestaltung Deutschlands in einen "Multikulturalismus", des Pudels oder Buches Kern, fände Gnade vor seinen Augen. Letztlich repräsentiert Bodemanns Studie eher Teile der deutschen "Erinnerungskultur", statt sie wissenschaftlich-nüchtern aufzuarbeiten. Rolf Helfert

Y. Michal Bodemann: "In den Wogen der Erinnerung. Jüdische Existenz in Deutschland", dtv, München 2002, Taschenbuch, 218 Seiten, 12,50 Euro